Onkel Toni war ein schöner Mann

Es ist nicht wie bei den Leuten, die im Fernsehen von ihren Verletzungen erzählen. Olivia weint nicht, ihre Stimme bricht nicht. Olivia ist als Kind missbraucht worden, wir haben uns getroffen für diesen Artikel, wir kennen uns, sie ist sowas wie eine angeheiratete Verwandte, und ich rede jetzt erst einmal über alles, was es sonst so gibt. Wie geht es den Kindern, was macht die Arbeit, was muss der Sommer auch immer so verregnet sein.

Ich fühle mich wie ein Zahnarzt, der Angst vor seinem Patienten hat, ich muss gleich bohren, aber ich kann bloß hoffen, dass es nicht wehtut. Ich sitze auf dem anderen Sofa schräg gegenüber, meine Freundin tippt Notizen in ihren Laptop. Unnatürlicher, weniger intim könnte die Situation kaum sein, aber hinterher wird Olivia sagen, das Gespräch sei schön gewesen.

Eine grüne Liege, so eine Art Massageliege aus Kunstleder, im Keller ihres Großonkels. Und wenn sie hochschaute, kleine gerahmte Stiche an der Wand. Auf der grünen Liege aus Kunstleder lag sie nackt auf dem Bauch. Das war die eine Situation, die sich wiederholte, und ist das erste, wovon Olivia nun spricht. Die andere: Sie auf dem Schoß ihres Großonkels, seine Finger in ihrer Scheide. Kein Schreien, keine Drohung, keine Gewalt, strafrechtlich wohl eher ein minder schwerer Fall.

Architekt im tiefschwarzen Dorf

Einmal die Woche, zweimal oder dreimal, vier Jahre lang vielleicht. Die grüne Liege, die Bilder und sie nackt, irgendwo im Raum ihr Großonkel Toni. Einmal, da schaute sie nach hinten und sah ihn nicht. Vielleicht war er nicht da, vielleicht beobachtete er sie, vielleicht machte er irgendwas.

Toni war ein schöner Mann, ein stattlicher Mann, ein Mann, der die Welt gesehen hatte, ein Architekt, der nun im Alter wieder in das Eifeldorf gezogen war, das so hieß wie er mit Nachnamen hieß.

Siebenundachtzig Prozent der Einwohner wählten CDU, der Ort war katholisch, wenn ein Dorf so katholisch ist, sagt man, es sei tiefschwarz. Olivia glaubte, sie müsste beichten, was da passierte im Keller des Großonkels. Aber sie hatte ja gar keine Worte dafür. Sie war ein katholisches kleines Mädchen, so katholisch, dass sie samstags hoffte, der Blitz möge sie gleich nach der Beichte treffen, weil dann die Seele am reinsten wäre.

1961 war Olivia zehn Jahre alt, und wütend macht sie nicht die Erinnerung an Toni, wütend macht Olivia die Erinnerung an die Zeit. Diese Enge. Diese gestrickten lachsrosa Unterhosen bis über die Knie. Alles schnürte einen ein, nichts durften die Kinder, nie „Nein“ sagen, zu gar nichts.

Sie wurde immer zu ihm hingeschickt. Sie weiß nicht, ob er erst anfing, sich für sie zu interessieren, als sie zehn wurde, ob das sein Beuteschema war, sein Beutealter, oder ob er vorher noch nicht so weit war, sich an Kinder ranzumachen. „Vielleicht klappte es mit den Zwanzigjährigen einfach nicht mehr.“

Weiter bei der Berliner Zeitung

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