Politik und Sprache

Die größten Sätze des vergangenen Jahrhunderts stammten von Politikern oder Lothar Matthäus.
“Ich bin ein Berliner!” (John F. Kennedy)
“Ich glaub’ mich tritt ein Pferd.” (Hans Apel)
“Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.” (Uwe Barschel)
“Hol’ mir mal ‘ne Flasche Bier!” (Gerhard “Naturhaar” Schröder)
“Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…” (Hans-Dietrich Genscher)
“Ich hab gleich gemerkt, das ist ein Druckschmerz, wenn man drauf drückt.” (Lothar Matthäus)

Der Leser merkt: Nur Lothar Matthäus war in der Lage, der Menschheit tatsächlich zeitlose Sentenzen zu schenken, der Politiker lebt vom Kontext. Ein Politiker sollte aber auch gar nicht Zeitloses sagen wollen.
Friedrich Dürrenmatt legte sich fest: “Je öfter sich ein Politiker widerspricht, desto größer ist er.”

Hören wir uns diesen aufstrebenden Staatsmann an:
“Das Blut, das auf dem europäischen Kontinent seit dreihundert Jahren vergossen wurde, steht außer jedem Verhältnis zu dem volklichen Resultat der Ereignisse. Frankreich ist am Ende Frankreich geblieben, Deutschland Deutschland, Polen Polen, Italien Italien. Was dynastischer Egoismus, politische Leidenschaft und patriotische Verblendung an scheinbaren tiefgreifenden staatspolitischen Veränderungen unter Strömen von Blut erreicht haben, hat in nationaler Beziehung stets nur die Oberfläche der Völker geritzt, ihre grundsätzliche Markierung aber wesentlich kaum mehr verschoben. Hätten diese Staaten nur einen Bruchteil ihrer Opfer für klügere Zwecke angesetzt, so wäre der Erfolg sicher größer und dauerhafter gewesen.
Wenn ich als Nationalsozialist in allem Freimut diese Auffassung vertrete, dann bewegt mich dabei noch folgende Erkenntnis: Jeder Krieg verzehrt zunächst die Auslese der Besten.”

Seit Hitler hat sich die Politik deutlich professionalisiert. Konnte man dem Postkartenmaler und Ex-Soldaten diese Rede noch Jahre später vorhalten und ihn der Lüge bezichtigen, lässt sich heute kein Staatsmann, der etwas auf sich hält, zu Aussagesätzen hinreißen, die von irgendeinem Menschen einfach so verstanden werden können.

Thomas Jurk, sächsischer Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit, antwortete in einem Chat auf die Frage von Gast 208:

(Gast208) “Wieso schränkt die SPD die einfachsten Grundrechte durch die (wirkungslose) Internet-Zensur des Zugangserschwerungsgesetztes ein? Für mich verstößt die SPD damit gegen das Grundgesetzt!”

Thomas Jurk: “Hallo lieber “Pirat”. Wenn wir gegen das Grundgesetz verstossen, weil wir Pädophilen unmöglich machen kinderpornografische Bilder aus dem Internet herunterzuladen, dann nehme ich das in Kauf. Ich persönlich hoffe darauf, dass wir das Problem lindern, wenn wir den Kunden von Kinderpornografie das Leben schwerer machen. Wenn deshalb irgendwo auf der Welt nur ein Kind nicht zu pornogrfischen Bildern mißbraucht wird, hat sich das gelohnt.”

Thomas Jurk könnte damit gemeint haben: “Was juckt mich das Grundgesetz?”.
Vielleicht wollte er aber auch sagen: “Wenn jemand glaubt, dass allein dadurch, dass der Zugang zu Kinderpornografie erschwert wird, das Grundgesetz in Mitleidenschaft gezogen wird, dann muss ich akzeptieren, dass es diese irrigen Meinungen gibt.”

Politiker sind heutzutage im Flippermodus. Der Wähler merkt: Der will uns etwas sagen. Allein: Der Sinn der Worte muss dunkel bleiben. Ebenso verhielt es sich mit dem Interview, das Ursula von der Leyen dem Hamburger Abendblunt gegeben hat.

Will sie nun die Zugangssperren ausweiten oder nicht? Weiß sie, ob sie es will? Will sie die Umfragen abwarten und es dann je nachdem immer schon gesagt haben? Oder sind Jurks und von der Leyen keine Muttersprachler?

Früher haben Politiker gelogen. Die Lüge setzt voraus, dass der Lügner die Wahrheit kennt. Jurks und von der Leyen traue ich so viel Reflexionsvemögen nicht zu. Sie sind Politdarsteller wie Dieter Bohlen ein Musikerdarsteller ist oder Jürgen Klinsmann ein Trainerdarsteller. Man möchte beinahe Kulturpessimist werden. Aber andererseits: Was hat es uns genutzt, dass Hitler schöne Reden halten konnte?

12 comments

  1. Man könnte ja auch das Grundgesetz neu formulieren….

    Ich verstehe durchaus, was Jurk sagen wollte und gesagt hat. Das heißt nicht, dass ich ihm zustimme. Er sagte ja auch nicht “das Problem aus der Welt schaffen”, sondern “lindern”.

  2. Haha,
    “Berliner Abendblunt”, war das beabsichtigt oder ein Freudscher?

    Ansonsten schönes Statement, wenn auch das Ende mit Hitler einen Tick zu zynisch ist.

  3. @dschu_
    Blunt wat schon Absicht:)
    Und den letzten Satz finde ich gerade gar nicht zynisch.

    @Tinchen
    Dann übersetzt doch mal aus dem Delphinischen.

  4. imKopfgedacht

    Thomas Jurks Antwort ist ein ziemlich allumfassendes Armutszeugnis, das gleich mehrere interessante Aussagen enthält:
    Zum einen mal ganz banal: Er hat keine Ahnung vom Internet und seiner Technik. Sonst wüsste er dass dieses Stoppschild billige Symbolpolitik, Blendwerk ohne Wirkung ist. Nur gut um die kleinen Dussel zu hängen, während man die Großen laufen lässt.
    Zum anderen ist es nach seiner Sicht der Dinge also legitim, dass das Grundgesetz gebeugt und gebrochen wird, wenn eine einfachen Mehrheit von (zu allem Überfluss nach verfassungswidrigen Regelungen gewählten, Stichwort: Überhangmandate) Parlamentariern es für richtig hält.

    Vielleicht ist er aber auch einfach nur von der Zensursulaschen und Schäuble’schen Kontrollsucht ergriffen? Vom Wahn beseelt, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger – gegen die Grundfesten der Verfassung – zu bevormunden. Doch wer Freiheit aufgibt um Sicherheit zu erhalten … aber gut, diesen Franklin kann jeder selbst nachschlagen ;-)

  5. Matthias Schumacher

    Jörg Tauss fehlt in Deiner Zitatenliste! Tauss hat immerhin zwei Sätze geprägt, die für nachfolgende Politikergenerationen von entscheidender Bedeutung sein könnten:

    1.) “Mich erstaunen die Vorwürfe.”

    2.) “Ich habe Mist gebaut!”

  6. Im Grunde gibt es da nichts zu übersetzen. Aber wenn ich es dann doch versuche, sagt er: Mixing and juggling it this is the geringste Übel for now and only a beginning. But for sure – it is. And that’s what makes my heart feel a blend of peace.

    Ich hab mal eine sehr interessante Erfahrung gemacht. Ich war mal mit einem Rechtsanwalt liiert, der ständig versuchte mich zu übersetzen und ich konnte ihm dabei zusehen, wie es ihn im Sekundentakt gegen Mauern crashen ließ, was ihn immer fuchsiger und crashiger machte. Und es war wirklich aufschlussreich, welche Gestalt er aus mir formte…
    Sagt Mutti mal ganz weise…
    :-)

    Nein, also, das war halbernst.
    Natürlich muss man wachsam sein. Und so weiter.

  7. Zitat zum auswechseln oben:

    Lothar Matthäus: De Gürdel muss zu de Schuh basse’

  8. Lupe, der Satire-Blog

    “lässt sich heute kein Staatsmann, der etwas auf sich hält, zu Aussagesätzen hinreißen, die von irgendeinem Menschen einfach so verstanden werden können.”
    … leider trifft dies in der schweiz nicht zu. jener politiker (christoph blocher, rechtsaussen, aussländerfeinflich), der genau dies macht, war am erfolgreichsten, wurde sogar zum bundesrat gewählt.

  9. Was hat es uns genutzt, dass Leni Reifenstahl schöne Bilder machen konnte?

  10. RIEfenstahl, sorry

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