Paul im Puff

„In den Puff? Ist das auch ein hochironischer Akt, Sexsklavinnen durch Konsum zu befreien?“
„Käse, du hast natürlich falsche Vorstellungen. Das sind Fair-Trade-Huren, das ist der Bioladen unter den Puffs. Von einer Frau geführt, die Hälfte sind Studentinnen, du kannst auf der Seite nachlesen, welchen Anteil der Laden behält, die können absagen, wie sie wollen. Alles super.“
„Aber das hast du doch echt nicht nötig.“
„Siehst du, auch da hast du falsche Vorstellungen. Das hat nichts mit „nötig haben“ zu tun. Puff ist Wellness, kein Lügen, kein Gebagger, kein Gemurkse an deinem Schwanz, die wissen, was sie tun, glaub mir, das wissen sie sehr genau.“
Ich habe nichts gegen Puffs. Also nicht aus ideologischen Gründen. In Coupling heißt es, Stripbars seien der Albtraum eines Mannes, „Porno der dich ansieht“. Der Autor von Coupling ist der einzige Mensch, der mich versteht. Zum ersten Mal heute spüre ich meinen Schwanz nicht.
„Ok, ich komme mit, aber erst muss ich noch Elisa anrufen.“
„Klar, du Baggerkönig, ich mach mich noch untenrum frisch.“

Wir fahren durch endlose Tunnel und kommen in einem Stadtteil wieder heraus, in dem ich noch nie war. Könnte auch Lima oder Göteborg sein. Ich fühle mich kurz sehr alt und dann wie ein Kind, das aus einem schrecklichen Traum erwacht ist. Wir steigen aus dem Wagen. Bei dem Puff steht nicht etwa Puff draußen an der Tür, sondern der Name einer Werbeagentur. Ein ganz normales Wohnhaus. Auf Matzes Klingeln hin geht der Summer und wir steigen die Treppen hoch in den dritten Stock. Eine überhaupt nicht puffmutterige Frau Mitte Dreißig im Rollkragenpulli steht am Türeingang und lässt uns freundlich lächelnd herein. Sie führt uns in ein Zimmer und bittet um einen Moment Geduld. Kann sie haben, das Gras hat mich geduldig wie eine indische Kuh gemacht.
Sieht das hier scheiße aus. Wenn Jeff Koons ein blinder Innenarchitekt wäre, würde er Wohnungen so einrichten. Grellbunte Aktzeichnungen, verspielte goldene Vasen und griechisch-chinesische Skulpturen. Ansonsten alles rot. Rote Tapeten, rote Glitzerstoffe, rote Kissen auf dem abartigen roten Riesenbett. Es läuft leise Bumsmusik.
Die freundliche Frau kommt wieder rein und fragt, was wir wünschen.
„Nichts Ausgefallenes, wie gewohnt, nur sehen, wer da ist“, sagt Matze.
Die Frau zählt ein paar schlecht ausgedachte Künstlernamen auf (Venus, Vanessa, Aphro, Chantalle, so die Liga) und Matze sagt: „Super, dann schick die doch mal rein.“
„Wollt ihr die gemeinsam buchen?“
Matze schaut mich fragend an und ich sage: „Um Gottes Willen.“
Dann vergehen ein paar Minuten, in denen ich meine wahnsinnig kalten Hände anstarre und schließlich kommt eine riesenbusige Greisin mit mal hübsch gewesenem Gesicht und klugen Augen herein.
Sie lächelt, gibt uns die Hand, sagt ihren Namen und geht wieder raus. Dann reißt eine junge Ultrabraune ungestüm die Tür auf, zuppelt an ihrer Lack-Korsage, lacht laut, gibt uns die Hand, Namen und raus. Dann drei wirklich Hübsche mit kleinen Fehlern. Die eine hat Plastiktitten, die andere hässlichen Nagellack und die dritte nicht den geringsten Hinweis auf Brüste. Bis jetzt alles Deutsche. Die nächste ist eine riesige Afrikanerin, die akzentfrei ihren Namen sagt, mir zuzwinkert und dann ihren unwahrscheinlichen Hintern herausträgt. Dann eine mit Perücke, eine mit Doppel-D-Hängebusen, eine mit braunem Lippenstift und Rastalöckchen und endlich zwei, die wirklich Studentinnen sein könnten, lustigerweise Soziologiestudentinnen.
Dann haben wir alle gesehen, es hat höchstens zwei Minuten gedauert. Alle hatten unglaublich hohe Schuhe an mit Plateausohlen, bis auf zwei mit Over-Knee-Stiefeln. Der Raum riecht jetzt nach Calvin-Klein-Nightflight-Gabriela-Sabatini und nassem Hund. Wahrscheinlich tragen alle Curious von Britney Spears.
„Ich kann mich gar nicht entscheiden“, sagt Matze. „Mona bläst mit Unterdruck, Arabella schreit beim Ficken als ginge die Welt unter und Cindy hat die schönsten Titten, die man sich vorstellen kann. Aber vielleicht probiere ich mal was Neues.“
Ich kann mich auch nicht entscheiden, aber aus anderen Gründen. Ich könnte was essen.
Jetzt kommt wieder die Eingangsfrau rein und fragt, für wen wir uns entschieden hätten.
„Wie immer schwierig“, sagt Matze. „Ich würde gern Cecilia nehmen.“
Beide schauen mich an.
„Ich will ja nicht unhöflich sein.“ Das ist jetzt aber unangenehm.
„Aber für mich war.“ Wie sagt man das denn?
„Also keine, also ich weiß nicht.“
„Gar kein Problem.“ Matze erlöst mich. „Wartest du dann unten auf mich?“
„Wie lange denn?“
„Ich buche erstmal eine Stunde.“
„Ok.“
Ich lasse mich rausführen. Ein paar Häuser weiter ist ein Sonnenstudio. Na dann. Ich lasse mich 20 Minuten färben und denke an Greta. Ich versuche sie mir in Plateauschuhen und Bräunungscreme mit Nuttenlächeln vorzustellen.
Als die Sonnenbank anfängt zu piepen, krieche ich hervor, wische mir den Schweiß vom Rücken und schaue in den Spiegel. Ich sehe traurig aus.
Draußen geht das Leben weiter und ich fühle mich wie jemand, der Hiroshima erlebt hat und jetzt auf einer Tagung von E.ON sitzt und sich von den Wundern der Atomkraft erzählen lassen muss.
Alle sehen so glücklich aus, so gesund und zukunftsorientiert, so gelassen und naturbraun und selbst die Rentner tragen heute ihre Milchzähne spazieren. Ich rauche zwei, drei Zigaretten, starre in ein paar Schaufenster. Die Zeit steht still, kein schöner Tag. Das einzig Revolutionäre an mir ist mein Magen. Der dreht sich, Säure sprudelt in meine Speiseröhre. Ich kotze den Rauch in einen Hauseingang und lasse mich von einer Rentnerin anbrüllen, ob ich das zuhause auch so mache, „Ich habe kein Zuhause“, murmele ich. Ich gehe zurück zum Puff.

Vor dem Eingang wartet Matze auf mich.
Er sieht entspannt aus.
„Jetzt fahren wir nach Hause und du schreibst was Tolles.“

Matze zögert nie. Er ist gedanklich so viel schneller als ich, er ist visionärer, skrupelloser, positiver.
Er ist Intelligenz ohne Angst.
Hillary Clinton hat mal zur Verteidigung von Bills Blow-Job-Eskapaden gesagt, Selbstzweifel seien die Kehrseite von Intelligenz. Aber Hilary Clinton kennt Matze König nicht.

Nachts träume ich, dass sich mein Schwanz in eine riesige Warze verwandelt. Meine Mutter kommt in Plateauschuhen herein und sagt, ich hätte Germanistik studieren sollen, dann hätte ich auch meinen über alles geliebten Schwanz noch. Ich schlage nach ihr, aber dann nimmt mich Greta in den Arm und sagt, das sei alles nur ein böser Traum.

Meine Träume sind so uninspiriert, dass mich jeder Psychologe rauswerfen würde.

17 comments

  1. Juhu, und ich dachte schon Paul wäre tot, wie hast du ihn den jetzt wieder errettet?

  2. Auf dem Laptop der Lieblingslektorin habe ich gerade noch etwas gefunden, schön, dass das noch jemanden freut:)

  3. Ich beantrage hiermit offiziell, dass der Satz:
    “Draußen geht das Leben weiter und ich fühle mich wie jemand, der Hiroshima erlebt hat und jetzt auf einer Tagung von E.ON sitzt und sich von den Wundern der Atomkraft erzählen lassen muss.”
    in die Liste des Unesco Kulturerbes aufgenommen wird.

  4. und wie das jemanden freut :)

  5. Matthias Schumacher

    Wie kommt Autor M.W. dazu, auf dem Laptop seiner Lieblingslektorin X.Y. was zu finden?

    Onlinedurchsuchung?

    Dank an den Autor, Frau Lektorin und ihre Vorratsdatenspeicherung!

  6. Bravo!

  7. Ich wollte hiermit auch noch mal meiner Freude über den Artikel und Trauer über den Festplattencrash Ausdruck verleihen!
    Paul ist super, ich hoffe nach dem Sachbuch kommt ein Roman. :)

  8. Wenn du einen Paul-Roman schreibst, kaufe ich den auf jeden Fall !

  9. ja, die paul dinger sind wirklich grandios, ein neuer text davon ist immer eine riesenfreude.

  10. yes! ..mich freut das auch..

    übrigens, wenn ich keine lust mehr auf lernen habe, schreib ich kleine geschichten. und eine ganz wichtige person in diesen, heißt Paula… as a tribute.. ist jetzt natürlich nicht so sensationell aber freuen kann man sich darüber ja vielleicht trotzdem…

  11. Ja, ich freue mich sehr über die Paul Geschichte und jede, die noch folgt.
    Solltest du ein Buch schreiben, kaufe auch ich es. Und wenn es abgeschrieben ist.

  12. “Meine Träume sind so uninspiriert, dass mich jeder Psychologe rauswerfen würde. ”
    :)))

    Welcome back, paul!

  13. @hans
    Das ist wirklich schön:)

  14. Hey, endlich mal wieder ein wirklich guter Text. Danke, und mehr davon!

  15. Also jetzt bin ich noch mehr in Paul verliebt. Hab mir nämlich mal als Kind geschworen, dass ich mich nie auf Männer einlassen werde, die mal im Puff waren. Also ich meine aktiv. Hach Paul.

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