30
Mrz 12

Die wechselvolle Biographie des Christian Lindner

Die New Economy habe ich nur sehr passiv erlebt. Damals studierte ich Jura und immer wieder passierte es, dass ein Seitenscheitel vor Aufregung verrutschte, weil wieder jemand über Nacht mehrere zehntausend Mark verdient hatte. In den Nachrichten hieß es, wer jetzt keine Infineonaktien kaufe, werde den nächsten Winter nicht auf den Bahamas verbringen, und im Duschraum des Fitnessstudios unterhielten sich die gemachten Männer von Morgen über ihre Start Up-Beteiligungen.
Das Land war ein Casino. Und wie es in Deutschland so ist: Casinos sind Sache des Staates.
Also förderte der Staat alles, was bei drei noch nicht “Ich würde erst lieber noch zuende studieren” gesagt hatte. Unter anderem auch eine Firma, die sich auf Avatare spezialisierte. Die Firma hieß Moomax.
Im Mai 2010 stand im Lebenslauf des damaligen FDP-Generalsekretärs Christian Lindner:
“2000
Am 29. Mai gründet er mit seinem Kumpel Hartmut Knüppel ein „New Economy“-Unternehmen, die Internet-Firma und Werbeagentur Moomax GmbH.”

Und weiter im Jahr 2001:
“2001
Verläßt er Moomax wieder, die im Oktober Insolvenz anmeldet.
Ein weiterer Versuch, die Unternehmensberatung Königsmacher GmbH, kam erst gar nicht in Gang.”

Das ist nicht ruhmreich, aber das ist offen.
Einem Leser des oben verlinkten Blogs fiel auf, dass der Karriereschritt “1999
endet sein Dienst bei der Bundeswehr mit dem Dienstgrad Oberleutnant d.R. (Luftwaffe).” so nicht stimmen konnte, weil man innerhalb so kurzer Zeit gar nicht Oberleutnant werden könne, aber das wurde in einer späteren Fassung des Lebenslaufs auch korrigiert. Heute heißt es dort: “Lindner ist Hauptmann der Reserve bei der Luftwaffe.” Die Wikipedia dröselt die Lage dankenswerterweise für uns auf: “Lindner hatte zunächst Zivildienst geleistet, sich später jedoch für die Laufbahn als Reserveoffizier entschieden, als der er einmal jährlich eine zweiwöchige Reserveübung absolviert.[9] Verteidigungsminister Thomas de Maizière beförderte Lindner im September 2011 zum Luftwaffen-Hauptmann der Reserve.”
Ich bin kein Militärexperte, aber 1999 war Christian Lindner also noch nicht Oberleutnant d.R. Sagt er heute ja auch nicht mehr.
Was er heute auch nicht mehr sagt in seinem Lebenslauf: Dass er ein Unternehmen versenkt hat.
“Von 1997 bis 2004 war Lindner Inhaber einer Werbeagentur
sowie Mitgründer eines Internet-Unternehmens. In dieser Zeit
gab er zwei Fachbücher heraus.” (Hier ein Link zu einem der Fachbücher: “Avatare: Digitale Sprecher für Business und Marketing”.)
So heißt es also in der neuen Fassung seiner wechselvollen Biographie. Ist ja auch viel eleganter. Bei zu Guttenberg wurde übrigens die Zahl seiner Praktika immer kleiner, bis dann schließlich sogar sein Name um zwei Buchstaben und einen Punkt schrumpfte.
Ich würde mich nicht wundern, wenn bei Christian Lindner am Ende noch weniger übrig bliebe: Screenshot seines Lebenslaufs von heute, 8:00.

UPDATE:
In der Slideshow mit biographischen Details ist die Moomax-Pleite noch erwähnt.


26
Feb 12

Nichts ist Bombe: Wie sich die Sicherheitsbehörden auf die Jagd nach Schrödingers Katze machen

Siebenunddreißig Millionen Zweihundertzweiundneunzigtausend und Achthundertzweiundsechzig. So viele Mails haben deutsche Geheimdienste überprüft, weil in ihnen Schlüsselbegriffe wie “Bombe” aufgetaucht sind. (Ergänzung: Max sagt in den Kommentaren, überprüft worden wäre eher der gesamte Mailverkehr.)

Hätten also die Terroristen vom Nationalsozialistischen Untergrund sich Mails geschrieben, in denen sie beispielsweise geschrieben hätten: “Mundlos! Am Samstag holen wir die Pistole und dann ermorden wir wieder einen von den Dönerverkäufern. Fluchtauto brauchen wir nicht, wir haben Fluchtfahrräder! Endlich wieder Terror verbreiten! Bombe! Mit besten Grüßen und Sieg Heil, dein hässlicher Kamerad!” – dann wäre unendlich viel Leid verhindert worden.

Als ich noch in Bonn gelebt habe, war ich zu Beginn des Studiums in einem Kifferfreundeskreis. Alle haben sich geweigert, am Telefon “Gras” oder “Haschisch” oder “Kiffen” zu sagen, weil es hieß, “der amerikanische Geheimdienst” würde gewohnheitsmäßig alle Telefonate in Bonn abhören. Und bei bestimmten Schlüsselbegriffen wäre man geliefert. “War on Drugs und so, du weißt schon.” Wollte man also in Erfahrung bringen, ob jemand Gras hatte, wurde gefragt: “Ist Paul da?”. Oder: “Kannst du mir noch die Loseblattsammlung mitbringen?”

Als dann die ersten von uns als Referendare bei der Staatsanwaltschaft arbeiteten, erfuhren wir, dass Codewörter nichts bringen; hatte ein Nachbar verdächtige Aktivitäten beobachtet, dann wurde das Telefon abgehört, und wenn jemand sich allzu oft “Unterlagen” oder “CDs” mitbringen ließ, war er fällig.
Der Staat kann also durchaus etwas ausrichten und mit angeschaltetem Kopf überwachen: Wenn es um Haschischverbrecher geht, die in ihrer Wohnung kiffen, und die Nachbarn mithelfen.
Hätte ich solche Geschichten nicht gehört, hätte ich gedacht, dass es gar keine Polizei gibt. Ich kenne Leute, die sind jede Woche nach Holland gefahren und nie erwischt worden, über Jahre.
Wer erwischt wurde, das waren diese Spezialkiffer, die mit Hanfblatt-Shirt und Rastalocken zu Fünft aus Dortmund mit Dortmunder Nummernschild nach Kerkrade fuhren und noch auf dem Parkplatz glückselig die Bong auspackten.
Die Polizei, halten wir das kurz fest: Bekommt Kiffer, die ein Kiffershirt tragen und Terroristen, die “Bombe” schreiben.

In 62 meiner Mails kommt das Wort “Bombe” vor. (Hier ein Link zu einem Screenshot meines Mailaccounts.)
“Lieben Gruß, drücke die Daumen, dass es einschlägt wie Bombe”
“Der Joker kennt die Menschen und richtig witzig wäre es nur gewesen wenn die Auslöser gar nicht vertauscht worden wären, bzw. der Wurf des Auslösers durch das Bullauge die Bombe gezündet hätte.”
“Angenommen man würde grundsätzlich militärische Mittel als geopolitisches Instrument der internationalen Gemeinschaft für sinnvoll erachten – wovon ich persönlich nur in absoluten Ausnahmefällen zu überzeugen wäre, sollten sie nicht zumindest die ultima ratio bleiben? Nachdem alles andere erfolglos versucht wurde? Und man mit Sicherheit davon ausgehen muss, dass morgen “die Bombe” da und ihr Einsatz ernstlich zu befürchten ist? Keinen anderer Weg vernünftigerweise ersichtlich, die reale Bedrohung auszuschalten?”
Zu den letzten beiden: Ich bekomme auch die Kommentare zu meinen Blogs per Mail – wie wahrscheinlich die meisten Blogger.
Gehe ich also recht in der Annahme, dass es von Steuergeldern bezahlte Menschen gibt, die sich durch ellenlange Texte lesen müssen, die irgendwelche Politnerds und Filmnerds und Arschnerds geschrieben haben, die dann nach Kontext suchen müssen, die zu untersuchen haben, wie der Rest der Kommunikation beschaffen war: Gehe ich also recht in der Annahme, dass es von Steuergeldern bezahlte Menschen gibt, die genau das tun, was ich mache, bloß mit der Intention, so Terroristen zu fangen?

Ist es nicht so: Wenn man so Terroristen fängt, dann sind die nicht gefährlich, weil es ihnen nie gelingen wird, einen Plan umzusetzen, der ausgeprägtere Skills erfordert als der Plan, ein Loch in den Schnee zu pinkeln?
Ob sich wohl jemals ein Heroindealer, ein echter Pate des Drogenhandels, in einen Kombi zusammen mit seinen fünf besten Kumpels aus Dortmund gesetzt hat, gewandet in ein Cannabisshirt, die Bong im Rucksack?

Kann es sein, dass in Deutschland Terroristen jahrelang morden können, ohne dass jemand es merkt, weil die Polizei Schrödingers Katze jagt? Weil sie im Netz rumhängt und schaut, wer mp3s tauscht und weil sie Kiffern hinterherstellt und bei beiden Aktivitäten immer nur die unglücklichsten Vollpfosten drankriegt, weil ihre Ressourcen gebunden sind auf der Suche nach Hirnriss, weil sie einen iMac nicht von einem Bildschirm unterscheiden können?
Wäre es: Nicht vielleicht sinnvoller, Polizisten und Geheimdienstler besser zu bezahlen, im Gegenzug Menschen mit Gehirn einzustellen, die Strafgesetze der Gegenwart anzupassen und vielleicht dann einfach mal echte Mörder zu jagen?


23
Feb 12

Zitatbingo: Könnte Friedrich Nietzsche Bundespräsident werden?

“Beiläufig gesagt: das ganze Problem der Juden ist nur innerhalb der nationalen Staaten vorhanden, insofern hier überall ihre Thatkräftigkeit und höhere Intelligenz, ihr in langer Leidensschule von Geschlecht zu Geschlecht angehäuftes Geist- und Willenscapital, in einem neid- und hassenserweckenden Maasse zum Uebergewicht kommen muss, so dass die litterarische Unart fast in allen jetzigen Nationen überhand nimmt – und zwar je mehr diese sich national gebären -, die Juden als Sündenböcke aller möglichen öffentlichen und inneren Uebelstände zur Schlachtbank zu führen.”

“Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave.”

“Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage »was ist deutsch?« niemals ausstirbt.”


17
Feb 12

Der Anspruch

Lehrer erzählen einem privat gerne, es gäbe ein neues Phänomen unter Schülern: Bekommen sie eine schlechte Note, sind sie nicht etwa geknickt; sie bestehen darauf, eine bessere Note zu bekommen. Sie hätten doch so viel gelernt.
Sie glauben, durch ihr Verhalten einen Anspruch auf eine gute Note erworben zu haben.
Insofern ist unser in diesem Moment noch amtierende Bundespräsident Christian Wulff trotz seiner blechernen altmodischen Stimme und seines alten Haars ein Kind seiner Zeit, ein ins Monströse aufgeblasenes Kind allerdings, das ein ganzes Land dazu zwingt, sich mit seinem Anspruch zu befassen.
Eine von den wenigen verbliebenen Wulff-Unterstützern in den Fernsehshows ins Spiel gebrachte Lesart der Skandalflut um den Präsidenten ist: Es gelte die Unschuldsvermutung.
Um zu begreifen, wie abseitig diese Idee ist, muss man einen Moment lang versuchen, den Begriff Unschuldsvermutung zu verstehen: Er existiert zum einen wegen der logischen Unmöglichkeit, gerichtsfest zu beweisen, etwas nicht getan zu haben, zum anderen, weil der in Rede stehende staatliche Eingriff so ungeheuer massiv wäre.
In allen anderen Gebieten des Lebens gilt die Unschuldsvermutung nicht. Glaube ich etwa, dass mein Partner mich vernachlässigt, dann muss ich ihm das natürlich nicht nachweisen. Ich muss dem Kellner nicht beweisen, dass mir das Essen nicht schmeckt und dem Verkäufer nicht, dass ich in der Hose dick aussehe.
Und natürlich muss ich dem Präsidenten nicht nachweisen, dass er nicht für das Amt taugt. Ich muss es nur so empfinden.
Wenn ich hier “empfinden” sage, dann lenkt das davon ab, dass es natürlich um Einiges geht. Korruption legt ganze Staaten lahm, sie bevorteilt die Unlauteren und beschädigt die Innovativen und da sie ein gar so vernichtendes Verbrechen ist, man sie aber niemals nachweisen könnte, da man ja nicht in den Kopf der Staatsdiener schauen kann, gilt es für alle Amtsträger, den Anschein zu meiden.
Was damit gemeint ist: Ich darf niemals Geld oder geldwerte Vorteile annehmen, denn niemand kann hinterher sagen, warum ich wie entschieden habe.
Das gilt vom Lehrer bis zum Standesbeamten, vom Polizisten bis zum Präsidenten: Man muss etwas genauer hinschauen als der gemeine Autor, wer einem was schenkt, weil der Autor beinahe nie über den Bau von Autobahnen oder über Mathematiknoten oder Bußzettel entscheidet.
Die Idee, man habe zwar das höchste Amt im Staat inne, sei aber zu behandeln wie der Geringste unter den Bürgern seines Landes, die Idee, man habe einen Anspruch auf dieses Amt, weil man doch so fleißig war: Diese Idee ist in ihrer Zeitgemäßheit herzwärmend.
Und sie ist der Grund, warum man Wulff nicht nur fortjagen, sondern auch noch auslachen sollte.


05
Dez 11

Ihr seid Menschen

I’m sorry, but I don’t want to be an emperor. That’s not my business. I don’t want to rule or conquer anyone. I should like to help everyone, if possible, Jew, gentile, black man, white. We all want to help one another. Human beings are like that. We want to live by each other’s happiness — not by each other’s misery. We don’t want to hate and despise one another.
In this world there is room for everyone. And the good earth is rich and can provide for everyone. The way of life can be free and beautiful, but we have lost the way. Greed has poisoned men’s souls, has barricaded the world with hate, has goose-stepped us into misery and bloodshed. We have developed speed, but we have shut ourselves in. Machinery that gives abundance has left us in want. Our knowledge has made us cynical. Our cleverness, hard and unkind. We think too much and feel too little. More than machinery we need humanity. More than cleverness we need kindness and gentleness. Without these qualities, life will be violent and all will be lost.
The aeroplane and the radio have brought us closer together. The very nature of these inventions cries out for the goodness in men, cries out for universal brotherhood, for the unity of us all. Even now my voice is reaching millions throughout the world — millions of despairing men, women and little children — victims of a system that makes men torture and imprison innocent people. To those who can hear me, I say — do not despair. The misery that is now upon us is but the passing of greed — the bitterness of men who fear the way of human progress. The hate of men will pass, and dictators die, and the power they took from the people will return to the people and so long as men die, liberty will never perish.
Soldiers! Don’t give yourselves to brutes — men who despise you — enslave you — who regiment your lives — tell you what to do — what to think or what to feel! Who drill you, diet you, treat you like cattle, use you as cannon fodder. Don’t give yourselves to these unnatural men — machine men with machine minds and machine hearts! You are not machines! You are not cattle! You are men! You have the love of humanity in your hearts. You don’t hate! Only the unloved hate — the unloved and the unnatural!
Soldiers! Don’t fight for slavery! Fight for liberty! In the 17th Chapter of St. Luke it is written: “the Kingdom of God is within man” — not one man nor a group of men, but in all men! In you! You, the people have the power — the power to create machines. The power to create happiness! You, the people, have the power to make this life free and beautiful, to make this life a wonderful adventure.
Then, in the name of democracy, let us use that power! Let us all unite! Let us fight for a new world, a decent world that will give men a chance to work, that will give youth the future and old age a security. By the promise of these things, brutes have risen to power, but they lie! They do not fulfill their promise; they never will. Dictators free themselves, but they enslave the people! Now, let us fight to fulfill that promise! Let us fight to free the world, to do away with national barriers, to do away with greed, with hate and intolerance. Let us fight for a world of reason, a world where science and progress will lead to all men’s happiness.
Soldiers! In the name of democracy, let us all unite!


18
Nov 11

Gefühlte Zeit: 1929

Ich bin meistens ratlos. Sollte man als Kolumnist nicht sein, aber gerade den jüngeren Lesern kann ich versichern: Ratlosigkeit nimmt mit dem Alter zu (außer bei Helmut Schmidt).
Ein Ratlosigkeitsgipfel ist bei mir in diesem Jahr erreicht. Ich verstehe die Finanzkrise nicht, ich habe keine Ahnung, was die europäischen Staaten da tun sollten, ich verstehe Anonymous nicht und ich hoffe immer wieder kurz, Occupy zu verstehen, aber dann ist der Moment der Erkenntnis und des Verstehens auch schon wieder vorbei.
Ich verstehe braunen Terror nicht. Es gibt Psychopathen, in Ordnung, aber dass Psychopathen Anhänger haben, erschließt sich mir nicht. Ich finde auch tatsächlich den Gedanken schwierig, dass jemand Bilder von Auschwitz sieht und mit denen auf der sicheren Seite des Zauns sympathisiert. Ich verstehe aber auch nicht, was ein Verfassungsschutz so macht.
Das Wesen der Demokratie ist ja nun einmal Transparenz und Mehrheitsentscheidung, nicht Geheimnis und klandestine Autorität.
Wenn jemand aus Gründen der Tarnung den Nazi gibt – ab wann ist er einer geworden?
Und warum eigentlich fällt es so schwer, um Menschen zu trauern, deren Großeltern nicht zusammen mit unseren Großeltern eines dieser Konzentrationslager betrieben haben? Es gehe nicht um Gesten der Anteilnahme, sagt die baden-württembergische Integrationsministerin im Interview mit Spiegel Online. Geht es nicht bei Trauer immer genau darum?
Manchmal möchte man gar nicht nach vorne schauen.
Ich jedenfalls möchte das nicht. Ich würde gern kurz mal stehenbleiben und mich sortieren.


29
Okt 11

Im Herzen die Weißeste von Allen

Die Autorin Noah Sow wurde zu einer Lesung in Fulda eingeladen. Die Organisatorin, Mitglied in der Grünen Jugend und von Sow als im “antifaesken Look”gekleidet geschildert, versteht die Abkürzung PoC nicht und reagiert auf die Empörung, die Sow äußert, als diese in dem Café, in dem gelesen werden soll, eine (in der Tat geschmacklose) Mohrenfigur sieht, mit den Worten: “Das können wir doch lösen. Ich kannte ja das Café vorher gar nicht.”
(Ein Bild des Mohren ist verlinkt in Sows Blog mit den Worten “Achtung; Bild nicht gewaltfrei”).

Sow weigert sich daraufhin, die Lesung zu absolvieren. Über diesen Skandal berichtet die Feministin und Bloggerin (Mädchenmannschaft) Nadine Lantzsch. In einem offenen Brief an die Veranstalter schreibt sie:

“Ich bin entsetzt darüber, dass Sie die Dreistigkeit besitzen, eine PoC in einen weißen Raum einzuladen, in dem sie es sich neben kolonialrassistischen “Raumverschöner_innen” gemütlich machen und ein (wahrscheinlich) mehrheitlich weißes Publikum darüber aufklären soll, was Rassismus ist. Das bodenlose Fass könnte nicht größer sein, wird leider aber noch übertroffen von den gewaltvollen wie übergriffigen Reaktionen und der Supremacy-Haltung, denen sich Noah Sow bei Betreten des Raumes in Gegenwart einer der weißen Organisator_innen ausgesetzt sah.”

Das schlägt der Fäss_in doch die Böd_in aus! Die Reaktion der jungen Grünen war ein gewaltvoller Übergriff, nein Entschuldigung: eine Übergriff_in!

Wer ist der bessere Mensch in diesem titanischen Kampf der politisch korrekten Geisteselite: Antifa-Frau oder PoC-Schriftstellerin, linker ASTA oder die Feministin?

Im März 2009 war Nadine Lantzsch bei mir zu Besuch und wir haben gemeinsam einen Podcast gemacht.
Im Vorgespräch hatte sie gesagt, sie würde sich gern “über Linke aufregen”. Während des Podcasts sagte sie dann auf die Frage, was sie denn gegen Linke habe: “Ich finde die irgendwie hohl. Ich weiß auch nicht.” (etwa ab Minute 9)
Linkssein definierte Lantzsch im Folgenden als “Steinewerfen für den Weltfrieden”, was sie “irgendwie diffus” fand.
Sie beklagte dann, dass Linke sich in jede Form von Protest hineindrängen und die Ziele dieses Protests damit deligitimieren würden, denn: “Deren Ziele sind so weit weg von der Realität, dass man damit niemals die bürgerliche Mitte erreichen kann, die dann wirklich was ändern kann.”
So weit, so irgendwie. Es war ein irgendwie diffuser Podcast mit einer irgendwie diffus unpolitischen jungen Frau, die halt in erster Linie jung war.

Heute allerdings ist Nadine Lantzsch hochsensibilisiert. Ihr innerer Geigerzähler schlägt nicht nur bei subtilsten Sexismen zuverlässig aus, auch für Rassismus ist sie innerhalb der vergangenen zwei Jahre durch ihr Studium der Gender- und Diversitiy-Kompetenz Expertin geworden.

Man kann in zwei Jahren zweifelsohne eine Menge lernen, und nichts, was sie heute schreibt, ist allein schon dadurch diskreditiert, dass sie vor zwei Jahren eine reine Tor_in war. Und doch ist der Konvertitenfuror das, was ihre Texte so unerträglich macht. Es gibt in ihrem Denken keine Gelassenheit, keine Freundlichkeit, keinen nach vorne gerichteten Enthusiasmus. Alles ist Häme, jedes Wort ein nach oben gereckter Arm, der dem Mitschüler signalisiert: “Ich weiß was. Und du nicht.”
Da lädt jemand eine Autorin ein, hat das Café, in dem gelesen wird, vorher nicht untersucht, und kennt die Abkürzung des in Deutschland nicht besonders üblichen Begriffs People of Color nicht: und wird dafür hingestellt, als hätte sie das Dritte Reich mit Gaskammern beliefert.
Das ist ein Ichbinbesseralsdu-Wettbewerb, bei dem ich kotzen muss. Ich habe halt einen Privilegienpenis und bin weiß wie Schnee. Aber so weiß wie Lantzsch im Herzen ist, das werde ich wohl nicht mehr werden.

UPDATE:
Cigar Store Indian von Seinfeld muss da natürlich erwähnt werden.


20
Okt 11

Das Originalskript der Rede von Hans-Peter Uhl (Auszug)

Das Land wird mit Sicherheit von Beamten regiert, ja gut – und da wissen wir ja alle, dass da nicht immer sooo genau hingesehen wird.
(Lachen abwarten)
Aber wo bleibt das Menschliche?
(unter Umständen hier Metapher einfügen)
Der Verkehr wird von Ampeln geregelt, im Flugzeug haben die Bitte-Anschnallen-Leuchten das Sagen, im Staudamm der Stau ….
(Lachen abwarten)
im Meer die Bojen und in Bayern halt das Landratsamt Oberschaffenhausen,
(hier ruhig etwas Verve), ja Kruzifixtürken, wenn der Hoeneß beim FC den Balljungen ins Tor stellen tät, dann tät da halt der Balljunge halten.
Und wie wir den Hoeneß kennen, er tät das auch ganz ordentlich machen, ja seien wir doch mal ehrlich.
Im Internet, da wurde vor kurzem einer alten Frau ihr Pudel gestohlen! Ihr Pudel!
Soll da der Kriminalobermeister sagen: „Ja schön, gnädige Frau“ (obwohl sie natürlich a Trutschn is, a leidige, aber in Bayern hat man eben noch einen Anstand – (vielleicht aufheben fürs Bierzelt)), aber da kaufen Sie sich wohl besser einen neuen Pudel, uns sind da die Hände gebunden, wegen die Piraten aus Berlin?“
Ja soll denn die Frau pudellos sterben wegen ein paar Chaoten aus einer Stadt, wo sowieso jeder auf die Straße macht, ob Hund oder Türkenkind?
Da haben ja nicht einmal die Ampeln alle Kameras.
Wenn Sie meine Damen und Herren, in Berlin vom Reichstag aus Richtung das Judendenkmal gehen, aber das ist vielleicht ein Slalom, da können Sie hier aber sauberer vom Flughafen, also wenn man das mal vergleicht von den Dimensionen, Berlin ist ja kaum viel größer, aber was den Dreck angeht, meine Mutter sagt immer: „Junge, bleib sauber“, aber da kann ich meine Mutter beruhigen: Ich hab nämlich gar kein Internet.
(Applaus abwarten, vielleicht verneigen)


(via)


09
Sep 11

Wählerverdrossenheit

Ich habe per Briefwahl gewählt. Und zwar Grün, Pirat, Pirat. Erststimme Grün, Zweitstimme Piraten, Bezirksdings ebenfalls Piraten. Schon mit der Drittstimme war ich ehrlich gesagt überfordert, weil ich nicht die geringste Ahnung hatte, ob es da nach Verhältnis- oder Mehrheitswahlrecht geht, ob es also überhaupt Sinn hat, eine Zwergpartei zu wählen.
Ich würde verstehen, wenn Politiker Wählerverdrossenheit hätten, denn mein eigener Bürgersinn war dieses Mal besonders unterentwickelt. Ich habe auf dem Wahlomaten durchgespielt, mit wessen Programm ich am ehesten übereinstimme und heraus kam: Grün, Linke, Piraten.
Allerdings habe ich bei ungefähr 60% aller Fragen gesagt, dass sie mir egal sind, bei 20% wusste ich beim besten Willen nicht, welche Lösung für mich, Berlin oder das Land am besten ist und dazu habe ich auch viel aus dem Bauch entschieden. Heraus kam also meine Herzenspartei, die Grünen, und eine, die ich recht herzhaft verabscheue, die Linke. Und dann noch die, die ich mit dem Bauch wähle. Abgeschlagen wie immer CDU und NPD, ohne dass ich die jetzt in einen Topf stecken wollen würde, das will ich tatsächlich nicht.
Ich weiß nicht einmal, warum die CDU so völlig abgeschlagen bei mir ist, wenn ich ihr Programm lese, wünschen die sich genauso wie ich weiße Weihnacht.
Na klar, es ist putzig, wenn man sich immer aufpumpt, man würde die Bürokratie abbauen und so, und dann sieht das eigene Wahlprogramm so aus:

Aber das ist es nicht, warum ich die CDU nicht wähle. Ohne dass sie oder ich es wüssten, scheinen wir in jedem Punkt unterschiedlicher Meinung zu sein, so als wären wir schon sehr lange sehr unglücklich verheiratet.

Was ich eigentlich sagen wollte: Mit 15 konnte ich noch besser Politik machen als der Bundeskanzler. Jetzt kann ich nicht mal sagen, wem die Berliner S-Bahn gehören soll. Berliner Politiker: Ich verstehe, wenn ihr enttäuscht seid von mir. Ich habe meinen Job nicht gemacht. Mit mir ist kein Staat zu machen.
Aber ich gebe ab jetzt mein Bestes. Wartet nicht drauf, aber: versprochen.


24
Aug 11

Club ohne Konsequenzen

Es gibt diesen Club, dessen Eingang kann überall sein.
Jeder kann rein.
Er ist riesig, unübersichtlich. Und doch kann man nicht verloren gehen.

Man hat dort Vergnügen ohne Ende. Und kommt niemals mit einem Kater raus.
Sex mit wem man will. Ohne Geschlechtskrankheiten.
Streit mit wem man will. Ohne blaues Auge.

Dieser Club macht glücklich, also sagen die Leute, er mache süchtig.
Aber nein, sagen die, die häufig da sind: “Als ich klein war, da konnte ich, wenn ich ein cleveres Kind war, Terra X schauen. Terra X, ich bitte Sie! Heute kann ich immerzu den klügsten Menschen der Welt lauschen. Ich höre von Regisseuren, wie sie ihre Filme erklären, Wissenschaftler zeigen mir ihre Studien im Original, ich muss sie mir nicht mehr von jemandem, der sie nicht verstanden hat, erzählen lassen – im Ernst, ich bin nicht süchtig: Ich bin hier gern.”
Neuerdings trifft man dauernd Leute, die man nicht mehr sehen wollte. Und selbst das ist toll. Auf einmal merkt man, dass die Leute viel netter sind, als man sie in Erinnerung hatte. Selbst der größte Vollidiot ist mit seiner Mutter da; und die ist eigentlich eine ganz anständige Frau.
Es sei da sehr gefährlich, sagen die Leute, die Angst brauchen.
Man müsse unterschiedlich viel Eintrittgeld verlangen, sagen die Leute, die mit dem Club Geld verdienen wollen.
Man müsse ein Namensschild tragen, sagen die Leute, die mit dem Club noch mehr Geld verdienen wollen.

Nö.

Nö.

Nennt mich ruhig konservativ. Ich will, dass der Club offen, frei und diskret bleibt. Was im Club passiert, bleibt im Club.
Die einzige Konsequenz ist, dass man klüger wird.
Eine schlechte Sache ist das nicht.
Deswegen wähle ich in Berlin die Piraten.