Kommt aus dem Lemke-Umfeld. Bleibt.
18
Mrz 13
Sind Blogs geeignet für Kampagnen und Aktivismus?
Ich lese gerade, dass Teresa Buecker vom “feminist burnout” spricht. Das erinnerte mich daran, dass ich mich kürzlich gefragt habe, ob Bloggen als Kampagnenwerkzeug überhaupt taugt. Die erste Antwort ist natürlich: Aber klar, was könnte schneller und trotzdem bleibender sein?
Vergleicht man den Aufschlag, den Günter Wallraff mit seinen BILD-Büchern gemacht hat, mit dem des BILDblogs, oder den von Alice Schwarzers frühen Büchern mit dem der Mädchenmannschaft, dann stellt man fest, dass den Bloggern immer mal wieder der Vorwurf der Kleinteiligkeit gemacht wird, der Korinthenkackerei.
Eine Dokumentation des Arbeitsstils der BILD auf ein paar hundert Seiten ist natürlich etwas anderes als die Langzeitstudie, die das BILDblog macht, Großthesen wie die, dass in der Vagina gerade einmal so viele Nervenzellen seien wie im Dickdarm, lassen eher aufhorchen als ein Link zum Frauen*Barcamp in Iserlohn.
Aber gehen solche Monolithen in Blogform? Könnte man den einen, großen 200 Seiten langen Text schreiben, als pdf auf sein Blog klemmen und sagen: lest – das ist alles, was ich zu sagen habe?
Ich bewundere jeden, der beim täglichen Bloggen zu einem Thema nicht ausbrennt. Ich habe es mal mit Fußball gemacht, ich konnte bald keine Bälle mehr sehen.
09
Mrz 13
„Frau, die Milch kocht über“ – Frauen sind die Packesel der Emanzipation
„Frau, die Milch kocht über!“ Es muss irgendwann Anfang der Achtzigerjahre gewesen sein. Unser Nachbar Herr Fröhlich saß in der Küche, bemerkte, dass die Milch auf die Herdplatte schäumte und tat, was zu tun war. Er rief seine Frau. Die eilte sogleich aus dem Waschkeller herbei und rettete die Milch. Mein Vater war Zeuge dieser Szene und zusammen mit dem uralten Bilderwitz aus der Funk Uhr, in dem ein Mann zu seiner Frau, die schwer beladen vom Einkaufen kommt, sagt: „Schatz, was trägst du denn so schwer, geh doch zwei Mal“, gehörte dieser Ausruf von da an zum Familienrepertoire.
„Frau, die Milch kocht über!“ kam damals schon aus einer anderen, längst untergegangenen Welt, einer Welt, in der Männer daheim Drohnen waren und Frauen Arbeitsbienen. Eine Welt, an die wir heute erst recht nur noch sehr ferne Erinnerungen haben, nicht wahr?
„Deutschland gehört neben Irland, Griechenland, Luxemburg, Australien, Spanien und Italien zu den Ländern, in denen sich die Erwerbsbeteiligung der Väter mit mehreren betreuungsbedürftigen Kindern von der der Mütter besonders stark unterscheidet.“
Dieser etwas komplizierte Satz findet sich auf der Homepage des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Er bedeutet: Sobald es in einer Ehe Kinder gibt, bleibt die Frau zu Hause und der Mann arbeitet.
Können Männer eigentlich Kinder und Karriere unter einen Hut bringen? Diese Frage wird nie gestellt und zwar zu Recht, denn für Männer existiert diese Problematik nicht. Eine Studie aus der Schweiz kommt zu dem Ergebnis, dass 90,1 Prozent aller männlichen Führungskräfte verheiratet sind, aber nur 41 Prozent der Frauen. Die Emanzipation der Frau hat bisher hauptsächlich für Männer Verbesserungen gebracht: Frauen kümmern sich nun nicht mehr bloß um Haushalt und Kindererziehung, darüber hinaus verdient die Frau jetzt auch noch Geld.
Schon seit einigen Jahren wird bei manchen Entwicklungsprojekten in Drittweltländern Geld nur noch an Frauen ausgezahlt, weil diese das Geld für ihre Familien verwenden, während Männer dazu neigen, es für sich selbst auszugeben.
In Deutschland käme natürlich niemand auf den Gedanken, Sozialhilfe für Familien an die Frauen auszuzahlen, denn deutsche Männer sind ja vollständig emanzipiert.
Oder?
Renate Schmidt, Ministerin für „Gedöns“ unter Gerhard Schröder, sagte, „die Angst vor dem feuchten Textil, ob Windel, Wäsche oder Wischlappen“ sei „bei Männern ungebrochen“.
Zwei Minuten täglich wenden Männer für das Wäschewaschen auf (pdf). Zwei Minuten an der Waschmaschine müssten einem als Mann eigentlich genauso peinlich sein wie zwei Minuten beim Sex.
Denn am Sex scheitern Ehen in der Regel nicht. Karriere der Frau (68 Prozent), Haushalt (67 Prozent) und Beruf vs. Privatleben (50 Prozent) sind nach einer Allensbach-Studie die größten Konfliktfelder zwischen Männern und Frauen. Sexualität nennen nur knapp 30 Prozent als Problem (vermutlich, weil sie sich daran nicht mehr erinnern).
Zwei Minuten brauche ich alleine schon, um an der Waschmaschine den Feinwaschgang zu finden. Ich bin selber erstaunt, denn wenn mir meine Freundin mit ihrer freundlichen Pädagoginnenstimme, die sie benutzt, wenn sie merkt, dass ich gerade wieder einmal drei Jahre alt geworden bin, erklärt, wie es geht, dann sehe auch ich: Den Feinwaschgang kann ich da einstellen, wo auf der Maschine Feinwäsche draufsteht. Aber in der Hitze des Gefechts trübt sich mir oft der Blick.
Es verlangt mir schon übermenschliche Kräfte ab, zu entscheiden, mit welchen anderen Farben zusammen ein hellblaues Hemd gewaschen wird. Auch als Mann, der in einem gentrifizierten Viertel lebt, in dem sogar die
Rindersteaks, die ich beim Biometzger kaufe, in nicht-geschlechtsdiskriminierenden Ställen von veganen Lesbierinnen großgezogen wurden, mache ich eben nicht alles richtig.
Katja, eine Bekannte, die Genderakrobatik oder so studiert, fragte meine Freundin und mich einmal, wer denn bei uns die Pille bezahle. „Ich hole die Pille in der Apotheke ab, wenn ich sowieso da bin, und bei dieser Gelegenheit“, setzte meine Freundin an, und wurde von einem Aufschrei meiner feministischen Bekannten unterbrochen.
„Aha! Das ist nämlich so typisch. Ich habe gerade erst an der Uni eine Umfrage gemacht, und es ist nämlich immer so: Männer scheren sich nicht um Verhütung. Wer bezahlt, ist da ein ganz klares Indiz.“ Ich war zutiefst beschämt. Meine Freundin stotterte etwas von:
„Schon okay“, und zählte ein paar Sachen auf, die ich bezahle und von denen sie auch profitiert, aber Katja ließ Ausflüchte nicht gelten: „Nein, nein, nein. Wenn ich schon Hormone schlucken muss, dann MUSS der Mann die Dinger selber abholen und bezahlen. Alles andere ist Sexismus.“
Ich fühlte mich, als hätte sie gerade meinen Ku- Klux-Klan-Mitgliedsausweis entdeckt.
Reicht es nicht, irgendwie nett zu sein, einkaufen zu gehen, zu spülen, zu schnipseln, Bereitschaft zu signalisieren, eines fernen Tages Windeln zu wechseln, das Bad zu reinigen, bei der Magisterarbeit zu helfen und andere Frauen zu ignorieren oder ist man als Mann im Grunde immer ein notdürftig rasierter Taliban?
Abends habe ich mir dann zur Beschwichtigung ein Schuljungenkostüm und tolle Wäsche drunter angezogen und mich lasziv durch die Wohnung bewegt.
Scheiß Emanzipation.
Früher waren die Dinge klarer. Gott hielt nicht viel vom weiblichen Geschlecht und deswegen sagte er zu Eva, der Stellvertreterin aller Frauen: „Du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.“
Man hatte mit der Erbsünde eine praktische Begründung dafür, warum Frauen immer den Abwasch machen mussten.
Heute machen Frauen immer noch den Abwasch, aber kaum jemand glaubt, dass das etwas mit Eva, Adam und der Schlange zu tun hat. Man glaubt stattdessen, das sei halt in den Genen festgeschrieben.
In „Der falsch vermessene Mensch“ erzählt Stephen Jay Gould, wie den alten Griechen die natürliche Ordnung erklärt worden ist. Denen, „welche geschickt sind zu herrschen“, zitiert er Platon, wurde „Gold bei ihrer Geburt beigemischt, weshalb sie denn die köstlichesten sind, den Gehilfen aber Silber, Eisen hingegen und Erz den Ackerbauern und übrigen Arbeitern.“
Später maß man Schädelgrößen, um zu belegen, dass die Weißen eine überlegene Rasse sind. Immer nahm man das, was gerade der neueste Stand der Wissenschaft war, damit man nach allen Regeln der Kunst einen Beweis dafür fabrizieren konnte, dass alles schon immer so gewollt war, wie es ist. Die aktuelle Ordung ist immer die natürliche Ordnung.
Ganz gleichgültig, wie außerordentlich wahnsinnig diese Ordnung auch ist.
Bei den Sambia, einem kriegerischen Stamm in Papua-Neuguinea, leben die Jungen bis zum zehnten Lebensjahr bei ihren Müttern, getrennt von ihren Vätern, die unter sich in Männerhäusern leben.
Dann werden sie in brutalen Initiationsriten blutig geschlagen, müssen tagelang im Wald leben und wenn sie das überstehen, dann kommen sie ins Männerhaus, wo sie gezwungen werden, die Junggesellen zu fellationieren.
Ja, Sie haben richtig gelesen: Tag für Tag müssen die kleinen Jungen die Älteren oral befriedigen und – das ist besonders wichtig – den Samen trinken.
Denn durch den männlichen Samen werden die Jungen zu Männern. Blut ist in der Vorstellung der Sambia weiblich, weswegen die Sambia-Männer höllische Angst vor menstruierenden Frauen haben; sie könnten durch das Blut ja feminisiert werden.
Der Unterschied zwischen Männern und Frauen: Mal liegt er im Blut und im Sperma, mal in der Erbsünde begründet, Biologisten sehen ihn in den Hormonen und Genen.
Man kann nicht mit letzter Sicherheit entscheiden, ob Männer und Frauen von Geburt an unterschiedlich sind. Es gibt feststellbare statistische Unterschiede in Verhaltensweisen und Vorlieben, die für die einzelne Person nichts aussagen, aber nun einmal so sind wie sie sind. Es ist dabei gleichgültig, ob sie von Natur aus gegeben sind oder durch die deutlich unterschiedliche Erziehung, nur Leute, die davon leben, dass diese Debatte weiter läuft, halten das für relevant.
Lassen Sie uns also der Einfachheit halber so tun, als seien alle sich einig, dass Frauen die gleichen Möglichkeiten im Leben haben sollten wie Männer. Und da wird es leider offensichtlich, dass die bisherigen Bemühungen um Chancengleichheit in eine Sackgasse geführt haben.
Schon zum „Jahr der Frau“ 1975 schrieb der Spiegel, dass Mädchen deutlich bessere Schulnoten als Jungs hätten und die Männer vermutlich abgehängt werden würden.
Dieselben Sorgen um die armen Männer werden heute geäußert, als hätten nicht die vergangenen 35 Jahre gezeigt, dass bessere Noten für die Frauen nicht mit einem besseren beruflichen Fortkommen einhergehen. Für eine Karriere braucht man Eigenschaften, die Frauen nicht anerzogen werden und man braucht einen Partner, der einen unterstützt.
Es verhält sich in der Welt der Wirtschaft so, als würde ein Mann beim Hundertmeterlauf der Frauen teilnehmen. Die Regeln sind so gemacht, dass sie Männern nutzen, sie sind von Männern gemacht und Männer bestimmen die
Teilnahmeberechtigung. Wie soll man da als Frau in den Wettbewerb treten können?
Clay Shirky, Professor für Neue Medien an der New York University, erzählt in seinem Blog von einem früheren Studenten, der ihn um ein Empfehlungsschreiben bat. Shirky ließ den Studenten das Schreiben aus Bequemlichkeit selbst aufsetzen, musste es dann aber erheblich dämpfen, da die Begeisterung des Studenten von sich selbst dermaßen überzogen war, dass es klang, als habe nicht ein Mensch, sondern eine PR-Agentur die Empfehlung verfasst.
Selbst mit den von Shirky vorgenommenen Abmilderungen war es das beste Empfehlungsschreiben, das er je abgegeben hatte. Mit einer solchen Empfehlung in der Tasche hat der größenwahnsinnige Student nun natürlich die besten Voraussetzungen für eine steile Karriere. Eine Karriere, die Frauen verwehrt bleibt, so Shirky, weil sie schlecht darin seien, sich wie „selbstdarstellerische Narzissten, anti-soziale Besessene und aufgeblasene Aufschneider” zu verhalten. Man bräuchte neue Spielregeln für ein Miteinander, man bräuchte eine Gesellschaft, in der nicht der, der am lautesten Alphamännchen spielt, sich durchsetzt.
Auf das Spielerische kommt es übrigens auch in anderer Hinsicht an: Es kann sehr schön sein, zeremoniell Rollen einzunehmen, Türen aufzuhalten, in Mäntel zu helfen, die Kinokarten zu bezahlen. Dr. Rainer Ehrlinger, der Ethikratgeber des SZ-Magazins, wurde von einem Mann gefragt, ob er richtig handelte, als er unter Berufung auf die Geschlechtergleichheit einer Bekannten die Hilfe beim Aufpumpen ihres Fahrradreifens verweigert habe.
Genau richtig, befand der Ethikexperte, Klischees aufrecht zu erhalten sei schließlich ein Übel und sowieso könne die Frau ruhig selber pumpen. Wie gut muss es ein geschlechtergerechter Mann haben! Er kann auf Frauenparkplätzen sein Auto parken, muss sein Geld nicht in Blumen investieren, kann zuerst aus einem brennenden Gebäude sprinten und wenn sein Schiff von einem Eisberg gerammt wird, ist es völlig in Ordnung,
Frauen und Kinder aus den Rettungsboten zu schubsen. Hey, schließlich wollen die doch auch wählen gehen und Mathe studieren!
Es wird fürchterlich anstrengend und unschön, wenn man nichts mehr tun darf, was mit einem Gechlechterklischee verbunden ist. Das habe ich bei der Schnittchenaffäre gemerkt. Bereits von zwei Bekannten ist meine Freundin dabei erwischt worden, dass sie mir ein Brot macht. Das ist ein echter Skandal, nur noch einen Schritt davon entfernt, sich die Schürze umzubinden und zu Mutter Beimer zu werden.
Diese Brote sind ein Verrat, eine Zementierung längst hinter uns geglaubter Traditionen, der Dolchstoß in den Rücken einer jeden berufstätigen Frau. „Der kann sich doch wohl selber ein Brot schmieren!“ Natürlich kann ich das. Genauso, wie meine Freundin sich selber Wasser in ihre Flasche füllen kann. Aber ich fülle ihre Flasche auf, damit sie sitzen bleiben kann. Nicht, weil sie keine Beine hätte, sondern weil es um winzige Gesten geht in einer Beziehung. Weil das Wasser besser schmeckt, wenn es einfach so neben dir steht und du nicht aufstehen musst. Weil ich dein Mann bin und dein Durst mein Feind.
Schnittchen sind im Schnitt kein Problem, das Problem ist die Wirklichkeit. Und die steht eben spätestens dann im Türrahmen, wenn ein Kind zur Welt kommt.
Wenn ein berufstätiges Paar ein Kind bekommt, steht die Frau vor folgendem Problem: Sie verdient im Schnitt 25 Prozent weniger als der Mann; hinzu kommt, dass der Mann auch dann nicht im Haushalt mitarbeitet, wenn die Frau berufstätig ist.
Die „neuen Väter“ bleiben ein urbaner Mythos.
Die Frau kann sich also ausrechnen, wie viel Zeit er mit den Kindern verbringen wird. Die Frau hat demnach die Wahl zwischen einem Dreifachjob, also Hausarbeit, Kindererziehung und Beruf zu dreiviertel der Bezüge des Mannes – oder sie bleibt zu Hause und lernt das Gesamtwerk Benjamin Blümchens kennen.
Und Halbtagsstellen?
Die sollten doch wohl eher Halbgeldstellen heißen, denn gerade höhere Positionen werden nicht gerne aufgeteilt – wo bliebe sonst auch der Spaß bei Machtspielen? – aber die Hälfte bezahlen ist schon ganz in Ordnung.
Langweilt es Sie, wenn Skandinavien dauernd als Vorbild hingestellt wird? Dann müssen Sie da jetzt durch: Schweden verhält sich beim Thema Emanzipation zu Deutschland wie Deutschland sich beim Erfinden von immer schnelleren Autos zu Burkina Faso verhält.
1974 hat Schweden das Elterngeld eingeführt, zu dieser Zeit wurden Männer in Deutschland noch angestaunt, wenn sie einen Kinderwagen vor sich herschoben und ihre Frau nicht schlugen.
In der New York Times („In Sweden, the Men can have it All“) wird die schwedische Europaministerin mit der hübschen Aussage zitiert, „Machos mit Dinosaurierwerten“ würden es nicht mehr in die Attraktivitäts-Top-10-Listen schwedischer Frauenmagazine schaffen. Was darauf hindeutet, dass man zwei Geschlechter benötigt für einen Wandel: Männer, die ihren Daseinszweck nicht mehr in einer 80-Stunden-Woche sehen und Frauen, die bei der Auswahl auf die weichen Faktoren achten wie „Hört mir zu“, „Geht einkaufen“, „Ist kein Arschloch“.
Väter, die sich eine Auszeit für ihre Kinder nehmen, sind in Schweden so üblich geworden, dass Frauen keine finanziellen Einbußen mehr hinnehmen müssen. Denn ob ein Unternehmen nun eine Frau oder einen Mann einstellt: Beide würden im Fall einer Geburt der Firma für einige Zeit fehlen.
Weil Männer ihre Vorstellung vom Mannsein längst mit dem Anschnallen eines Babybjörn überein bringen und Frauen nicht mehr zu Hause unter Windelbergen verwahrlosen und abhängig vom Taschengeld sind, sinkt sogar die Scheidungsrate. Die Liebe ist auf dem Weg der Besserung bei den Schweden.
Einer der Gründe dafür dass Frauen weniger verdienen, liegt darin, dass sie nach der Geburt eines Kindes häufiger zu Hause bleiben, was nach männlicher Logik bedeutet, dass Frauen selber schuld daran sind, wenn sie weniger verdienen. Ohne Bezahlung zwei Jobs oder bei geringer Entlohnung drei, das ist die Wahl, die Frauen haben.
Und damit bleiben sie die Packesel der Emanzipation.
Aber stürzen sich Frauen nicht sehenden Auges in die Unmündigkeit, weil sie einfach nichts studieren, was Geld und Karriere verspricht? Warum studieren so viele Frauen Floristik, Solalalogie, Saunatuchkunde und Vasenhinundherschieberei? Ich weiß es nicht.
Ich weiß bloß: Wenn sie einen Männerstudiengang belegen, wird es auch nicht leichter (wenn übrigens viele Frauen ein Männerstudium absolvieren, dann sinkt es im Ansehen und die Entlohnung in den Tätigkeitsfeldern sinkt, weil: siehe oben).
Meine große Schwester hat Maschinenbau studiert, ein Fach, von dem man damals, sie fing 1984 an, recht unverhohlen sagte, eine Frau habe da keine Chance. Und schreiben nicht Allan und Barbara Pease („Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“) Buch um Buch darüber, dass Frauen eben kein mathematisches Verständnis haben und räumliches schon gar nicht? Meine Schwester war eine von drei Studentinnen unter 1000 Männern in ihrem Studienjahrgang. Kam sie in den Hörsaal, wurde gejohlt und hatte sie einen Rock an, dann ließ man sie absichtlich über die Bänke klettern. Als sie mit einem Kommilitonen zusammen ein Projekt vorstellte, fragte der Professor anzüglich grinsend: „Was haben Sie denn dafür getan?“
Aber meine Schwester ist aus besonderem Material geschnitzt, aus echtem Ingenieursmaterial eben, und sie machte sich hervorragend. Sie veröffentlichte ein, nein: DAS Buch über Kunststoffrecycling, promovierte Summa cum Laude und holte Millionen an Geldern aus der Industrie an die Uni. Vielleicht würden Allan und Barbara Pease ja
sagen, das sei kein Wunder, schließlich sei sie als Frau eben besonders geschickt im Umgang mit Menschen – vielleicht würden sie auch einfach mal den Mund halten.
Wenn mir meine Schwester die Integralrechnung mit einem Beispiel, das ich sofort verstand, erklärt hat, während es mein Mathelehrer gar nicht erst versuchte, habe ich nie gedacht: „Klar kann sie das erklären, sie ist halt eine Frau.“
Ich dachte einfach immer, dass meine Schwester der klügste Mensch weit und breit sei.
Meine Schwester schickte sich also an, die Welt des Maschinenbaus aus den Angeln zu heben, dann bekam sie zwei Kinder und blieb daheim. Das ist, als hätte Josef Ackermann seine Karriere aufgegeben, um auf Spielplätzen rumzusitzen. Meine Schwester hatte den Ehrgeiz, den Intellekt und die akademischen Weihen, die man braucht für eine Karriere.
Aber sie wollte bei ihren Kindern sein. Es ging nicht um Geld, das war reichlich vorhanden, es wäre weder schwierig noch zu teuer gewesen, die Kinder von jemand anderem betreuen zu lassen.
Ich fand diese Entscheidung skandalös. Was für eine Verschwendung geistigen Potenzials. Genaue Kenntnis der Dramen in der 1b der Luise-Hensel-Grundschule anstelle von Revolutionen in der Kunstofftechnik?
Aber heute denke ich: Welcher Mann hätte diese gewaltigen Eier, seine Karriere einfach abzublasen? Die Geschichte meiner Schwester ist nicht symbolisch zu verstehen. Sie bedeutet nicht, dass Frauen eben einen
Brutinstinkt haben. Die Geschichte steht ganz allein für sich selbst als Geschichte einer emanzipierten Frau, die ihren eigenen Kopf hat. Schade bloß, dass so wenige Männer über ihren Kopf verfügen (wobei die meisten Frauen nicht auf spülende Daheimbleiber stehen, aber das ist eine andere Geschichte).
Jeder halbwegs emanzipierten Frau wird meine Schwester jetzt als blöde Glucke erscheinen, denn das ist ein Naturgesetz: Eine Frau kann sich nur falsch entscheiden. Die einen machen aus dem Recht auf Erwerbsarbeit eine Pflicht und wer gerne bei seinen Kindern bleiben möchte, ist eine Verräterin. Für die anderen ist jede kinderlose Frau, die Karriere macht, eine frigide Fregatte.
Dieses Naturgesetz gilt ausnahmslos für jede Frau.
Eine Frau begibt sich mit der Geburt ihres Kindes nicht einfach in ein Dilemma, sie begibt sich ins tiefe Tal der Dilemmata, dort, wo niemals die Sonne scheint und man nur noch vor sich hinstolpert.
In diesem tiefen Tal ist die Frau dann unzufrieden. „The Paradox of declining female happiness“ heißt eine Studie von Justin Wolfers und Betsey Stevenson. Frauen werden seit Jahrzehnten immer unglücklicher. Das hat Auswirkungen. Denn die Frauen versuchen natürlich, aus ihrem Unglück herauszukommen. Der beliebteste Fluchtweg ist die Scheidung. Dem statistischen Bundesamt zufolge werden 57 Prozent der Scheidungen von Frauen beantragt, „im Vergleich zu 36 Prozent bei den Männern. 7 Prozent entfallen auf gemeinsame Antragstellungen.“
Der Neuanfang führt auch für den Mann zu einem ganz neuen Leben – der Pädagoge Martin R. Textor kennt die Probleme, die mit der Scheidung auf Männer zukommen: „Da ihnen das Kochen Probleme bereitet, verschlechtert sich ihre Ernährung. Auch essen sie unregelmäßig und nehmen häufig Mahlzeiten am Imbissstand oder in Restaurants zu sich.“
Das Kochen bereitet den Männern Probleme.
Ich schreibe den Satz gleich noch einmal hin, weil er so hübsch ist.
Das Kochen bereitet den Männern Probleme.
Ich lasse Sie jetzt mit diesem Satz in zweifacher Ausführung alleine.
(Der Text ist ein Ausschnitt aus meinem Buch “Frauen und Männer passen nicht zusammen – Auch nicht in er Mitte” und ist zum Erscheinen 2010 in der Berliner Zeitung veröffentlicht worden. Angesichts dieser Statistik schien mir eine Wiederveröffentlichung sinnvoll. In der Redaktion hieß es übrigens damals, das sei doch ein Thema aus den Achtzigerjahren.)
02
Mrz 13
Wir verstehen das Internet nicht
“Die verstehen das Internet nicht.” Dieser Satz hat einst unseren Spott begründet und genährt. “Die”, das waren die langsamen und schwerfälligen Verlage, die zwei Euro für ihre Artikel wollten, die bornierte Politik, deren Repräsentanten ohne Umschweife einräumten, nicht einmal “einen Email” zu haben.
Wir, das waren die Blogger, die Leecher, die Auskenner, die Piraten.
Wir zogen frei und ungehindert durch die Weiten, wir teilten, wir veränderten, wir waren der Weltgeist, wir prägten eine Epoche.
Wir waren auf den Kopf gefallen.
Aber wir waren längst in Therapie, wir wussten es bloß noch nicht.
Wie in “Kampf der Häuptinge”, dem Asterix-Band, in dem Miraculix auf den Kopf fällt, war alles, was wir brauchten, ein weiterer Schlag auf den Kopf, um wieder klar zu sehen.
Wir wurden zu Zeugen eines epischen Ringens der alten Contentindustrie mit den neuen Giganten des Netzes. Amazon will Verleger werden, Google kopiert Bücher, Apple verkauft Lieder, die Inhaltemacher laufen hinterher.
Für uns im Zuschauerraum war es an der Zeit, den alten Satz zu rufen: “Die verstehen das Internet nicht!”
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Je mehr aber das Internet Teil des Alltags wurde, desto mehr gewannen die Oberhand, die im Alltag die Hosen anhaben.
Und das waren nicht wir.
Mir zum Beispiel gehört kein Politiker.
Meine Leistung schützt niemand.
Nun ist das Leistungsschutzrecht nicht das Ende des Internets. Es markiert nur den Moment, in dem wir im Krankenhaus erwachen. Eine Schwester kommt herein, sie sieht aus wie eine CDU-Ministerin. Sie sagt, wir seien wieder gesund. Wir schauen aus dem Fenster, atmen vorsichtig, gewöhnen uns rasch an die sterile Krankenhausluft, wir lächeln der Schwester unbeholfen zu. Die Schwester zeigt auf unser Namensschild und sagt, dass sei ja der falsche Name. Wir schauen runter, dort steht “Saugbär” oder “nurfuerdich23″. Sie gibt uns ein neues Namensschildchen. “Das ist Ihr richtiger Name”, sagt sie. “Wir müssen doch wissen, wer Sie sind”.
Wir haben seit einer Ewigkeit nicht gesprochen, unseren Gedanken gelingt es kaum, sich zu sortieren. Wir öffnen den Mund.
Der erste Satz, den wir sprechen, wir hören ihn selbst kaum, so leise sagen wir ihn:
“Wir haben das Internet nicht verstanden.”
18
Feb 13
Wir kamen aus dem Monopol – Warum Telekommunikation in Deutschland fast grauenhaft ist
Dieser Artikel ist sinnlos. Sie müssen ihn nicht lesen. Er wird nichts ändern an dem Problem, um das es hier geht.
Er ist wie das Brüllen des Säuglings einer tauben Mutter nach Nahrung. Ein instinktiver Schmerzensschrei, der ungehört verhallen wird.
Ich habe während der Recherchen von Menschen gelesen, die dem Wahnsinn nahe waren, von Menschen, die Aktionen im Internet gestartet haben, von Tobsuchtsanfällen, Drohungen, Verwünschungen. Es wurden jahrelange Verhandlungen mit Interessenverbänden geführt, Konferenzen abgehalten, es gab Gerichtsprozesse, Fernsehreihen, die sich damit beschäftigt haben, Bücher. Nichts hat sich geändert. Es ist eher schlechter geworden.
Die deutschen Telekommunikationsdienstleister machen, was sie wollen. So war es, so ist es, so wird es immer bleiben. Wurde beispielsweise 2011 noch jede zehnte Mail, die Kunden an die Unternehmen schrieben, ignoriert, war es 2012 jede fünfte.
Das ist der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Konzern und Kunde.
Die Konzerne beherrschen leidlich Routinen. Sie sind nicht vorbereitet darauf, dass etwas Unvorhergesehenes passiert. Unvorhergesehen bedeutet etwa: Ein Gerät geht kaputt, die Wohnung hat mehr als einen Raum, jemand zieht um.
Ist es also Unsinn, eine Narretei, in Deutschland umziehen und trotzdem einen Telefonanschluss behalten zu wollen?
Fast grauenhaft empfand ich meine Situtation nach meinem Umzug von Schöneberg nach Prenzlauer Berg. Das sind zwei Orte, die sich, Sie werden lachen, in derselben Stadt befinden, in Berlin, Weltstadt mit Herz, arm, aber flughafenlos, man ist hier Kummer gewohnt.
Vier Wochen vor dem Umzug meldete ich mich bei Vodafone, ich wollte von der Telekom wechseln. Jeder, dem ich von meinen Wechselabsichten erzählte, hatte gesagt, das könne nicht gut gehen, aber ich beantragte debn Wechsel und fragte die Vertriebs-Dame im Callcenter, ob ein Monat Vorlauf denn reiche, um beim Einzug sofort über einen Anschluss zu verfügen. „Das ist überhaupt kein Problem“, sagte sie. Ich zog also vier Wochen später um, blieb aber ohne Telefon und Internet.
Die Vodafone-Callcenter-Agents, die ich alle paar Tage anflehte, mir Zugang zu verschaffen, konnten mir keine Hoffnung machen. Ein paar Wochen könne das schon dauern, vielleicht einige Monate. Ich verbrachte Ewigkeiten in Warteschlangen, die Gespräche waren schnell vorbei. Da könne man nichts machen.
Erstaunlich war, dass man das Gefühl hatte, es mit einer gespaltenen Persönlichkeit zu tun zu haben. Nicht nur war alles, was vor Vertragsabschluss besprochen worden war, nun ganz anders, vor allem hatte der Ton sich vollständig geändert. Wurde im Vertrieb zunächst gesäuselt und geflötet, wurde ich nun im Amtsdeutsch abgebürstet.
Der schöpferische Umgang der Vertriebsleute mit der Wirklichkeit wird im Internet recht ungeniert „Betrug“ genannt. Abertausende Nutzer klagen in Foren darüber, die mächtigen Konzernen hätten sie über den Tisch gezogen.
Ich wandte mich, auf einem o2-Surfstick mit wenigen kb/s durch das Netz dümpelnd, auf dem Facebookprofil Vodafones an die dortigen Mitarbeiter. Ich schrieb, schon deutlich schlecht gelaunt:
„Vor 5 Wochen habe ich bei Vodafone einen Anschluss bestellt, seitdem werde ich vertröstet. Ist Vodafone ein DDR-Unternehmen?“
Wenige Stunden später schon kam eine Antwort.
„Hallo Malte, wenn Du bei Vodafone einen DSL-/Festnetzanschluss bestellen möchtest, so ist dies nur über unsere Kundenbetreuung oder vor Ort in einem Shop möglich.“
Angeduzt und verhöhnt fragte ich Freunde um Rat. Alle sagten, dass alle Konzerne so seien. Man habe mich gewarnt. Jetzt könne ich nur warten.
Die Menschen in früheren Zeiten haben eine Menge Fehler gemacht. Doch einer sticht besonders hervor. Sie bauten, um sich zu schützen, dicke Mauern. Obwohl es doch eine wesentlich effektivere Methode gegeben hätte: Sie hätten ihre Narren im Umland verteilen können, so dass vagabundierende Feinde unweigerlich genau diese Narren hätten nach dem Weg fragen müssen.
Überall wären diese Feinde gelandet, aber nicht an ihrem Ziel.
Die menschliche kulturelle Entwicklung hat von den Mauern von Ur bis heute sechstausend Jahre benötigt, bis sich endlich eine neue Methode etabliert hat.
Diesen Narrenverteidigungswall nennt man eben Callcenter.
„Internet macht Kunden mächtiger“, titelte 2010 Der Tagesspiegel, „Der Kunde ist ein Kaiser – Die neue Macht des Verbrauchers“ im Dezember 2012 die FAZ. Einen Monat zuvor sah die Wirtschaftswoche gar „Das Zeitalter der Verbraucher“ angebrochen.
Angebrochen ist eigentlich nur mein Nervenkostüm. Was ist da los? Wie kann es sein, dass riesige Unernehmen sich verhalten wie die Hütchenspieler und gleichzeitig der Glaube um sich greift, der Verbaucher habe immer mehr Macht?
Der Wirtschaftswoche zufolge liege die neue Kraft in der „exponentiellen Wirkung der Verbrauchermeinung“. Sei diese Kraft entfaltet, entstehe „ein Sturm der Entrüstung, den man heute Shitstorm nennt.“
Ja, der berühmte Shitstorm, den Unternehmen angeblich so fürchten. Der Bösewicht Bane sagt in „The Dark Knight Rises“ zu Batman, dieser möge glauben, die Dunkelheit sei sein Verbündeter. Doch er, Bane, sei geboren in der Dunkelheit, geformt von ihr.
So wenig Bane die Dunkelheit fürchtet, so wenig fürchten Telekom, o2, Vodafone und Konsorten den Shitstorm. Sie sind geboren im Shitstorm, geformt von ihm.
Woche für Woche sendete RTL in „Wie bitte?“ von 1992 sieben Jahre lang den schlimmsten Unsinn, den die Telekom verbrochen hatte, ohne Ergebnis.
Egal, was gespielt, gesendet, geschrieben wurde, alles blieb gleich. 1993 berichtete der Focus von einer Journalistin, die nach vierwöchigem Urlaub eine Rechnung über 800 DM vorfand. Weil sie wusste, dass niemand telefoniert haben konnte, verweigerte sie die Zahlung, worauf die Telekom den Anschluss sperrte. Neue Rechnungen wurden dennoch geschrieben, schließlich verfügte die Telekom, die Frau werde nie wieder einen Anschluss bekommen.
Der damalige Telekom-Chef Helmut Ricke, Vater des späteren Telekom-Chefs Kai-Uwe Ricke, war sich bewusst, dass sein Konzern beim Kundenkontakt eine Schwäche hatte.
Und nun folgt ein Zitat aus dem 20 Jahre alten Focus, bei dem man, wenn man zartbesaitet ist, möglicherweise etwas traurig wird: „Die Gewähr für Kundenfreundlichkeit, besseren Service und höhere Gewinne sieht Ricke, wie auch die Bundesregierung, in einer privatwirtschaftlichen Rechtsform für die Telekom: Aus der staatlichen Behörde soll eine Aktiengesellschaft werden.“
Springen wir von 1993, also zwei Jahre vor der Privatisierung, einer Zeit also, als ein Staatskonzern, betrieben von bornierten Beamten, seine Kunden quälte, in das Jahr 2012.
Im Juni des vergangenen Jahrs zieht Dominik Schwarz von Berlin nach Zürich. Er kündigt daher seinen Telefonanschluss bei der Telekom. Einen Monat später ruft ihn eine Rückgewinnungsbeauftragte an. Er fragt, noch im Stadium der Unschuld, ob er dies als Kündigungsbestätigung sehen könne. Sie bejaht das und ruft Schwartz von nun an beinahe täglich an, um ihn zurückzugewinnen.
Im August kommt die Augustrechnung der Telekom. Das freundliche Twitterteam von Telekom_hilft verspricht Hilfe.
Eine Woche später fragt Schwarz nach und erfährt, dass die Kündigung erst zum Februar 2014 möglich sei.
Es sei allerdings möglich, gegen Zahlung einer Ablösesumme von 250 Euro frühzeitig aus dem Vertrag auszusteigen.
Etwa zur gleichen Zeit versucht der Berlin Story Verlag, einen schnellen Internetanschluss von der Telekom zu bekommen. Nachdem der Verlag bereits 2011 siebzehn (!) schriftliche Anträge eingereicht und etwa neunzig (!) Mails geschrieben hatte, um einen Telefonschluss zu beantragen, war man sich bewusst, dass das etwas dauern könnte.
Tatsächlich schien es lange ein Ding der Unmöglichkeit zu bleiben.
Erst als der Verlagschef nach einem Jahr des stillen Kampfes auf dem verlagseigenen Blog über seine Don-Quixiotiaden schrieb, hatte eine höhere Stelle erbarmen.
Auch Schwarz entschied sich, nachdem er ein halbes Jahr mit seinen persönlichen Telekomsupportern Marco, Heike, Maria, Rolf, Petra, Romina, Oli, Raphaela und Ann-Kathrin gemailt hatte, eine private Öffentlichkeit mittels einer sehr komischen, grafisch ansprechenden Geschichte über seinen Fall zu informieren.
Innerhalb kürzester Zeit teilten 38.000 Menschen seine Geschichte auf Facebook (mittlerweile sind es 48.000) und tatsächlich meldete sich die Telekom, entließ ihn aus dem Vertrag, und verzichtete großzügig auf die Ablösesumme.
Haben Schwarz und der Berlin Story Verlag nun ihre neue Macht bewiesen? Weil sie die Möglichkeit nutzten, eine Öffentlichkeit zu schaffen, die groß genug war, dass sie nach sechs respektive zwölf Monaten Abnutzungskrieg tatsächlich das bekamen, was man eigentlich durch ein (in Zahlen 1) Telefonat für erledigt hätte halten müssen?
Triumphe sehen anders aus.
Kann es dauerhaft ein probates Mittel sein, öffentlich um Hilfe zu rufen? Ist der Fall gar zu peinlich, regulieren die Konzerne den Schaden, aber als Angst vor dem Shitstorm lässt sich das nicht deuten: Sie ändern schließlich nichts an der Struktur. Der nächste Dominik Schwarz muss schon ein Video drehen, das wenigstens ein paar hunderttausend Menschen sehen, um dieselbe Aufmerksamkeit zu erzeugen. Soll man sich denn mit Benzin übergießen, damit man einen Anschluss bekommt?
Nun kann man glauben, dies seien Extremfälle, Aberrationen, die angesichts der schieren Masse an Bearbeitungsfällen einfach vorkommen müssen.
Aber das hier sind zwar Fälle, bei denen es vielleicht überdurchschnittlich lang gedauert hat, aber das grundätzliche Muster der totalen Ignoranz auf Seiten des Konzerns, der irritierenden Informationspolitik, der schildbürgerhaften Regelungen: das ist der Standard.
Ich war so ein Standardfall. Als es nach zehn Wochen endlich einen Termin mit einem Telekomtechniker gab, fragte ich, wo denn der Router bliebe. Den habe man an die alte Anschrift gesendet. Schließlich hätte ich dort gewohnt, als ich den Anschluss in Auftrag gegeben hatte.
Ich hatte seitdem einem halben Dutzend Callcenter-Agents meine neue Adresse diktiert. Sie alle hatten vorgegeben zu schreiben, fragten beflissen Buchstaben nach („L wie Ludwigsburg?“), keiner hatte die Adresse geändert.
Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten: 1. Der Mensch am anderen Ende der Leitung kann helfen (die Stiftung Warentest testete 2011 die Hotlines der Telekommunikationsanbieter: in gerade einmal 34% der Fälle wurde den Testern tatsächlich geholfen). 2. Er kann nicht helfen und sagt das. 3. Er behauptet, helfen zu können, hat aber keine Ahnung. Fall 2 ist ärgerlich, Fall 3 verheerend.
Ich versuchte, herauszufinden, warum die Dinge sind wie sie sind. Warum niemand einem helfen, niemand Entscheidungen treffen kann. Warum man sich als Kunde vorkommt, als sei man in ein Live-Rollenspiel geraten, das von Kafka konzipiert wurde.
Michael Bobrowski, Referent für Telekommunikation beim Bundesverband der Verbraucherzentrale, sagte mir, kundenfreundliche Behandlung stünde mit harten internen Vertriebsvorgaben in Konkurrenz.
2007 wollte der Verband zusammen mit den Unternehmen einen „Leitfaden für eine verbraucherfreundliche Kundenbetreuung“ erstellen. Doch neben der Telekom ließen sich kaum Unternehmen auf die Einhaltung der Regeln verpflichten.
Stattdessen wird Geld in Werbung gebuttert, um mehr Kunden zu ziehen, die man nicht zufriedenstellen kann. Alleine 30 Millionen Euro gibt die Telekom für Werbung auf den Trikots von Bayern München aus, Vodafone gehört zu den größten Anzeigenkunden im Internet.
Als ich versuche, bei den Unternehmen selbst etwas über die Missstände zu erfahren, werfen die mit PR-Projektilen auf mich.
1&1 etwa schickt mir die gleichen Wortbaukastensätze, mit denen auch die wütenden Kunden auf ihrer Facebookseite beschwichtigt werden. Standardisiert wird erklärt, die Telekom sei Schuld.
In Foren wird vermutet, dass die Telekom ihren Mitbewerbern sogar absichtlich Schaden zufügt, indem sie ihre Techniker zurückhält. Was von den Bonnern – durchaus glaubhaft – bestritten wird.
Dieses Schwarze-Peter-Spiel kann für die Kunden zur Katastrophe werden. Eine Gelsenkirchenerin wollte mit ihrem Partner – ausgerechnet – ein Callcenter gründen.
Sie bekam jedoch keinen Telefonanschluss.
Vodafone verwies auf die Telekom, an der es sei, die vereinbarten Technikertermine einzuhalten, die Telekom zuckte, so das ein magentafarbener Riese kann, mit den Schultern und beschied ihrerseits, zwischen ihr und der Frau bestehe kein Vertrag. Der Frau ist ein Schaden von 30000 Euro entstanden.
Vielleicht lässt sich die Ursache in der Struktur der Unternehmen finden.
So sagte schließlich René Obermann, der scheidende Telekom-Vorstandsvorsitzende, in einer Rede an der Universität Düsseldorf: „Wir kamen aus dem Monopol (…) Kundenfreundlichkeit hieß vor allem, dass der Kunde freundlich zu sein hatte.“
Wenn die Telekom aus dem Monopol kam und heute noch daran zu tragen hat – woher kommen ihre Mitbewerber?
Vor der Antwort eine kurze Warnung: Wenn man glaubt, der Bürgerkrieg in Mali sei unübersichtlich mit seinen vier verschiedenen Rebellengruppen, dann sollte man sich vielleicht besser nicht mit Telekommunikationskonzernen beschäftigen, sondern stattdessen mal wieder ein Buch lesen, vielleicht Ulysses oder den Mann ohne Eigenschaften, vergleichsweise leichte Kost.
Bei o2 hat man es mit der deutschen Tochter des ehemaligen spanischen Staatsunternehmens Telefonica zu tun, bei E-Plus mit der deutschen Tochter des ehemaligen niederländischen Staatsunternehmens Koninklijke PTT Nederland, nur Vodafone ist, da in Großbritannien die Privatisierung schon in den 80ern erfolgte, historisch ein Abkömmling des größten britischen Herstellers von Militärkommunikationsmitteln Racal Electronics (die deutsche Tochter ist Nachfolger von Mannesmann Mobilfunk).
Die Trägheit und die Kundenverachtung haben die Unternehmen also allesamt in der DNS, es weht der Geist der längst überkommenen Deutschland AG, in der riesige, unbewegliche Unternehmen, beherrscht von wenigen alten Männern, ihre Reviere untereinander verteilt hatten. Doch etwas kommt hinzu, das neu ist: ein überdrehter Turbokapitalismus, bei dem die Angestellten als Mitarbeiter der einen Firma ins Bett gehen und bei einer anderen Firma erwachen, bei dem Identifikation mit seinem Arbeitgeber so überkommen und weit weg scheint wie Minnegesang und Keuschheitsgürtel.
So wurde etwa HanseNet, gegründet als Telekommikationsableger der HEW (Hamburgische Electricitäts-Werke, heute zu Vattenfall gehörend), im Jahr 2000 zu 80% vom Mailänder Start Up e.biscom übernommen und 2003 an die Telekom Italia, den ehemaligen italienischen Staatskonzern, weitergereicht. Nachdem die Italiener vier Jahre später Teile von AOL Deutschland übernommen hatten, wurde HanseNet mit dem Neuerwerb verschmolzen.
Nach T-Online war Hansenet nun der zweitgrößte Internetprovider Deutschlands. Zusammen mit o2 stieg der neue Riese in den Mobilfunk ein. o2 war seinerseits aus Viag Interkom hervorgegangen, einem Mobilfunkunternehmen, das von Viag, dem heutigen E.on, der BT Group (dem 1984 privatisierten britischen ehemaligen Staatsunternehmen) und der Telenor, dem damaligen norwegischen Monopolisten, 1997 geschaffen worden war. 2005 ging o2 von den Briten zu den Spaniern von Telefonica, 2010 verkaufte die italienische Telekom HanseNet an Telefonica, den spanischen ehemaligen Staatskonzern, und HanseNet wurde Teil von o2.
Testfragen: Mit wie vielen Unternehmen durfte sich ein Angestellter, der bei Viag Interkom angeheuert hatte, seitdem identifizieren und welche Sprache spricht man in der Firmenzentrale von AOL Deutschland?
Bei der Telekom war das Chaos hausgemacht. Nach Ron Sommers Vier-Säulen-Strategie, die zum Ziel hatte, vier verschiedene Konzernbereiche einzeln an die Börse zu bringen, wurde von seinen Erben munter reintegriert, verschoben, neu zusammengesetzt, als sei die Telekom ein gigantischer Legobausatz.
Das Hin und Her an der Unternehmensspitze setzte sich im mittleren Management fort. Alle zwei Jahre gaben sich Helikopter-Manager die Klinke in die Hand. Sie landeten mit großem Getöse, wirbelten Staub auf und starteten senkrecht nach oben.
Bis heute ist es nicht gelungen, den Callcenter-Agents der Telekom eine nutzerfreundliche EDV zur Verfügung zu stellen, die Teams sind zu groß, die Maßnahmen der Manager nicht auf die Telekom-Wirklichkeit abgestimmt.
Einmal sollen alle Agents Generalisten sein, dann wieder Spezialisten.
Die Callcenter gelten den Managern als nicht wettbewerbsfähig. Sie sind zu teuer, weil man mit zwangsversetzten Altmitarbeitern, etwa ehemaligen Fernmeldetechnikern, die nach Tarif bezahlt werden, die Callcenter bestückt. Und billig ist das neue Schwarz.
Nun könnte man sagen, dass der Kunde selber schuld sei. Indem er sich zielgerichtet immer für das billigste Angebot entscheidet, jagt er die Konzerne in einen ruinösen Dumpingwettbewerb, den nur der gewinnen kann, der rigoros alle Kostenfaktoren ausmerzt. Da ist auch etwas dran. Aber der Kunde hat zwar eine Unzahl von Angeboten, jedoch keine Wahl.
Kaufe ich etwa Kleidung oder Möbel, so kann ich – verfüge ich über die finanziellen Möglichkeiten – wählen, ob ich in einem kleinen von einem Enthusiasten geführten Laden ein zeitloses Produkt von hoher Qualität kaufe oder in einer Kette schnell vergänglichen Ramsch, von dem ich weiß, dass er nicht allzu lange halten wird, aber der ein Zehntel des Premiumprodukts kostet.
In der Telekommunikationswelt sind die Produkte dagegen homogen, Vodafone-DSL und o2-DSL unterscheiden sich so wenig wie Shell-Benzin und Aral-Benzin. Gebe ich mehr Geld aus, bin ich auf einen Marketingtrick reingefallen.
Es gibt keine Premiumprodukte, alleiniges Merkmal ist der Preis. Und egal, was in Antrittsreden von neuen Vorständen erzählt wird: Hohe Gewinne durch niedrige Preise sind das alleinige Unternehmensziel.
Das einzige Problem bei diesem Ziel ist der Kunde. Aber gegen den hat man eine brilliante Abwehrstrategie. Eben den Narrenverteidigungswall namens Callcenter.
Es sitzen dort bei der Telekom also unmotivierte, chronisch erschöpfte, übermüdete Menschen vor Computern, deren Software einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit fordert. Kein Wunder eigentlich, dass die dem Kunden nicht helfen können.
Natürlich sind sie keine Narren, sie haben nur oft gerade von der Materie, die sie beackern sollen, keine Ahnung. Für Fortbildung ist kein Geld da.
Und doch sind diese Telekom-Mitarbeiter laut Stiftung Warentest die besten. Immerhin verdienen sie auch ordentlich, können Pausen machen, haben Recht auf Urlaub.
Die Konkurrenz arbeitet dagegen gerne mit Zeitarbeitern, die sie in 5-Stunden-Schichten gnadenlos verheizen, 7 Euro verdienen die pro Stunde, jeder zwölfte muss zusätzlich noch Hartz IV bekommen, die Verweildauer im Unternehmen ist kurz, die Bezahlung miserabel.
Das Telekom-Management aber ist unzufrieden: Die Kundenzufriedenheit ist zu teuer. Wo es geht, wird outgesourcet.
Nach einem Übergangsjahr, in dem der Lohn weitergezahlt werden muss, wird dann der Lohn gedrückt.
Deutlicher kann ein Unternehmen kaum zeigen, dass Service ihm egal ist.
Besonders die strukturschwachen Bundesländer, also gerade die ostdeutschen und Berlin, aber auch das Saarland und Nordrhein-Westfalen, fördern die Ansiedlung von Callcentern mit Millionensummen. Läuft die Förderung aus, schließen die Callcenter.
Fördergeldtourismus nennt man das.
Eine Branche, die hunderte von Millionen für Werbung ausgibt, bekommt Jahr vor Jahr mehrere Zehnmillionen von sowieso schon klammen Bundesländern, um Jobs zu schaffen, die zum Teil durch Hartz IV mitfinanziert werden müssen.
Vodafone und o2, E-Plus und die Telekom, alle vier Giganten geben Callcenter und Logistik an den Outsourcing-Dienstleister Arvato ab. Der gehört Bertelsmann. Da ist sie wieder, die Deutschland AG.
Gibt sich auch die Bertelsmann-Chefin und Milliardärin Liz Mohn gern als Philantropin, merken die, die am anderen Ende der Bertelsmannnahrungskette stehen, wenig davon.1050 Euro Brutto verdient ein neuer Callcenter-Agent bei Arvato, wenn er 42 Stunden in der Woche arbeitet, der Job ist so strapaziös und die Fluktuation so hoch, dass 300 Euro Prämie gezahlt werden, wenn ein Mitarbeiter einen anderen wirbt, der es wenigstens sechs Monate erträgt.
Obermann sagte, es sei eine große Herausforderung, die Mitarbeiterzahlen zu senken und dabei kundenfreundlicher zu werden. Eine Herausforderung, an der er, was er nicht sagte, wie alle vor ihm gescheitert ist.
Gerichte werden lahmgelegt, Verbraucherzentralen können sich um nichts anderes mehr kümmern, Werte wurden vernichtet, Kunden in den Wahnsinn getrieben. Die Bilanz der Privatisierung ist, dass der Kapitalismus da, wo er keine Fesseln mehr trägt, am selben Punkt anlangt, wo der Kommunismus längst war: Bald wartet man auf seinen Anschluss so lange wie in der DDR auf den Trabant. Es wird Macht angehäuft und Planvorgaben werden erfüllt, aber Mensch und Produkt finden nicht mehr zusammen. Der Kunde ist zuletzt eine verzichtbare Variable, seine Unterschrift wird noch benötigt, nicht aber seine Zufriedenheit.
Darauf zu hoffen, dass der Markt diese Probleme reguliert, hieße darauf zu hoffen, dass die großen Tabakfirmen eine Zigarette erfinden, die Krebs heilt.
Darf ich diesen Moment der Aufmerksamkeit dazu nutzen, Vodafone zu bitten, mir die zugesagte DSL-Geschwindigkeit zu verschaffen?
Der Text ist am 16. Februar im Magazin der Berliner Zeitung erschienen und ebenfalls über die App der Berliner Zeitung erhältlich.
07
Feb 13
Sprache
Die ersten Konzentrationslager, die Deutsche errichteten, bauten sie für Afrikaner.
Es waren keine Vernichtungslager, sondern im Wortsinn Internierungslager. Und doch führten die Deutschen einen Vernichtungskrieg, im Zuge des Hereroaufstands wurden auch Frauen und Kinder in die Wüste getrieben, um sie dort verdursten zu lassen.
Wird gern getan, als sei das Unbehagen an bestimmten Begriffen einfach nur ein Erbe der amerikanischen Political Correctness, so haben Deutsche durchaus aus eigener Geschichte eine Verpflichtung zu sprachlicher Besonnenheit.
Ich habe hier schon vor einigen Jahren mehr dazu geschrieben.
Besonders irritierend an der derzeitigen Debatte ist, dass ein Verlag, der sich selbst dazu entschieden hat, verletzende Sprache zu ändern, in eine Zensurdebatte gerissen wird. Wäre es nicht gerade Zensur, einen Verlag mitsamt Autor dazu zu verpflichten, auf ewig werktreu zu sein?
Das vorweggenommen bin ich ein Anhänger der derben Sprache. Es käme mir nicht in den Sinn, wenn ich über die aktuelle Debatte spreche, vom N-Wort zu reden, so wenig es mir in den Sinn käme, das umstrittene Wort zu benutzen.
Entscheidet ein Künstler sich für eine bestimmte Sprache, neige ich immer dazu, ihm das Recht zu geben, diese zu benutzen. Und wie es im Moment aussieht, bestreitet ihm das auch niemand. Noch einmal: Nicht das Bundesgesundheitsamt hat die Kleine Hexe verändert, es war der Verlag selber.
Zuletzt vielleicht noch ein Hinweis: Wenn man in Elternforen Threads liest, in denen Eltern darüber schreiben, dass sie fürchten, ihr Kind könne das Downsyndrom haben, wird jedes Mal gesagt: Aber das wäre natürlich nicht schlimm, alle Kinder wären gleich wertvoll. Man könnte glauben, man infomiere sich nur mal eben, wie man Kinder mit Downsyndrom so aufzieht. In Wirklichkeit treiben fast alle Eltern, die auch nur den Verdacht haben, ihre Kinder könnten mit diesem Syndrom zur Welt kommen, die Kinder ab.
Entsprechend haben wir endlich eine weniger verletzende Sprache in den Medien etabliert. Aber Asylbewerber haben im Winter nicht genügend warme Kleider.
Es muss nach den Ursachen der Ablehnung, der Angst geforscht werden. Die Veränderung der Sprache ist nur ein winziger Schritt. Es geht um eine echte Bejahung von Unterschiedlichkeit.
*Der Text ist ein Notizzettel an mich selber für ein Radiointerview. Weil ich für einen Witz meine Großmutter bereits 1981 verkauft habe, brauche ich von Zeit zu Zeit ein Netz.
04
Feb 13
Gespräche über Schöpfung – Die Widerlegung der Vernunft
Mein Neugeborener hatte gelbliches Sekret im Augenwinkel. Da ich sowieso beim Kinderarzt war, fragte ich dort, was ich machen könne. Die Arzthelferin sagte, es gebe da etwas Homöopathisches. Ich sagte, damit sei mir leider nicht geholfen, da ich nicht daran glaube. Sie schaute mich fragend an. In der Apotheke fragte ich erneut, was ich machen könne. Ohne zu zögern ging die Apothekerin ans Regal, holte eine Packung, fing an, in die Kasse einzutippen. Was das sei, fragte ich. “Was ganz Tolles Homöopathisches.” Wieder sagte ich, das sei nichts für mich. Die Apothekerin sah mich offen feindselig an. Dann würden nur Antibiotika helfen. Die gebe es nur beim Arzt*. Die Hebamme ließ dann etwas “sehr Wirksames” bei uns zurück. Homöopathische Tropfen.
Warum eigentlich schlägt niemand vor, ich solle einen Fledermausflügel über seinem Auge verreiben? Weil die neue Unvernunft, wie ich sie seit gerade nenne, so nicht arbeitet. Sie ist mittelevidenzbasiert (“Bei mir hat es geholfen”), man kann sie klingen lassen wie Wissenschaft (“Wissenschaftler der Uni Solingen haben entdeckt, dass es besser hilft als Akkupunktur”) und sie würde sich selber nie als esoterisch bezeichnen (“Ich bin ja kein Esoteriker, aber hunderttausendfach verdünnte Stierhoden haben verhindert, dass ich an meiner Menstruation sterbe”).
Und so klingt das Alles für mich (fragt mich nicht, was in diesem Video zu sehen ist, aber es ist sehr, sehr komisch):
*Wenn allerdings homöopathische Mittel helfen, heißt das ja zwingend, dass Zuwarten hilft.
04
Feb 13
Günther Auch
Günther Jauch puts the Show in Talkshow, was man von Außen nicht glauben würde, denn nach internationalen Maßstäben sehen wir in der Figur Jauch keinen Showman, sondern den Filialleiter einer Raiffeisenbank. In Deutschland aber, dem Land der unbedrohlichen Stars, ist der Eintönige der König unter den Rindern. Neben Bause, Pflaume, Bohlen konnte der Sympath Jauch sich leichterhand den Ruf erarbeiten, anders zu sein: seriöser, klarer, bürgerlicher.
Er kann sich über Tapeten und Gebrauchtwagen unterhalten, er weiß, auf welchem Wochenmarkt es die besten Nudeln gibt, er kann zu subkulturellen Phänomenen eine freundliche Distanz schaffen, die gerade nicht zu offensichtlich ausgrenzt. Und dabei rede ich von Tätowierungen. Jauch macht seine Sache gut, wenn es um Unterhaltung geht.
Seine Polit-Talkshow erinnert an die Bemühungen eines Zweitligaspielers, bei einem Verein mitzuspielen, der in der Bundesliga Ambitionen hat. Am Anfang bemüht er sich noch, es reicht bei weitem nicht, also spielt er im Training nur noch seinen Stiefel runter. Spielt er dann doch mal, wird es unangenehm.
Nun ist die Jauchshow gar nicht mal viel schlechter als die anderen. Aber er sendet auf dem Königstermin nach dem Tatort, er ist der Star, der menschgewordenene Sonntagsermittler. Wir zeigen Ihnen jetzt einmal einen Film, damit Sie sehen, was wir für Sie gegooglet haben.
Wenn nun bei ihm gesendet wird, was bei allen gesendet wird, dann ist das so, als sähe der Tatort plötzlich aus wie Berlin Tag und Nacht.
Der Grundfehler aller Talkshows – sie würden sagen, es sei der Grundpfeiler – ist die Idee, alle Meinungen seien vertretbar und gleichberechtigt. (Fair! Not balanced! So sollte Politik gemacht werden bei Politiksendungen, wie man aus The Newsroom weiß.)
Alles ist sowohl als Jauch. Eine Psychologieprofessorin hat bei Maischberger genauso viel Redezeit wie Harald Glööckler, was schon wahnsinnig genug ist; bei Jauch dominiert ein Katholik, der Meinungen vertritt, die der Papst zwar hat, für die er sich aber schämt, während Frauen, die vergewaltigt wurden, verhältnismäßig wenig Redezeit bekamen, ich meine mich an Null zu erinnern.
Aber wir haben doch auch eine Grüne und auch einen, der sagt, es sei doch gar nicht so. Ja, aber auch einen Schlag ins Gesicht. Und nicht einen von der guten, erhellenden Sorte.
Der Redaktion scheint es nicht mehr zu gelingen, Jauch vorzubereiten. Er ist weniger tief im Thema als ein Fünfjähriger mit Internetanschluss es nach 5 Minuten wäre. Der Radikalkatholik sagt, Kardinal Meisner habe mitnichten die Abtreibungspille freigegeben (womit er recht hat, er hat lediglich eine Pille freigegeben, die ausschließlich die Befruchtung verhindert, nicht aber die Einnistung, was man für die vorhandenen Produkte nicht sagen kann), worauf Jauch immer und immer wieder in den Raum wirft, der Kardinal werde doch nicht über eine Pille reden, die es nicht gibt.
Leider machte nicht einmal einer einen naheliegenden Witz an der Stelle.
Wer schon einmal eine Schwangerschaft aus der Nähe verfolgt hat, der kann ermessen, was für eine unerträgliche Bürde dieser Zustand sein muss, wenn er nicht vollkommen erwünscht ist.
Das Recht auf Abtreibung ist eine der wichtigsten Errungenschaften einer freien Gesellschaft.
Dass ein Vertreter der alten Macht nicht einfach für einen Einspieler Gehör findet, sondern eine Diskussion dominieren kann (während das Publikum es tatsächlich nicht fassen konnte, was da auf der Bühne gesagt wurde), ist ein Versagen Jauchs, für das jener ambitionierte Zweitligaspieler, der sich nicht mehr recht Mühe gibt, aus dem Stadion geschmissen würde.
Jauch aber bleibt der König des Status Quo. Es sieht so aus, als würden heiße Eisen angefasst, in Wirklichkeit sorgt man durch die eingeladenen Gäste und größtmögliche Trainingsfaulheit dafür, dass alles bleibt, wie es ist. Dass Frauen, die vergewaltigt wurden, keine Hilfe bekommen von Krankenhäusern, die der Staat outsourcet an ein Unternehmen, dessen Ethik mittlerweile nur nach aus brutalsten Biologismen besteht. Dessen “Corporate Identity”, wie der Musterkatholik betonte, die Ablehnung von allem ist, was Menschen ausmacht. Die vom Heiligen Geist so weit entfernt ist wie Jauch von einer guten Sendung.
30
Jan 13
Von der Freiheit
Eine Szene in jeder Bar an jedem Abend in jeder deutschen Großstadt. Der erste Schritt ist schwierig. Hat sie Interesse? Oder ist sie bloß höflich? Warte ich schon viel zu lange? Oder gehe ich besser?
Seitdem offiziell beide Geschlechter den ersten Schritt machen dürfen, kann ein Date sich schnell anfühlen wie das Gefangenendilemma. Man kann nicht wissen, was der andere will, wer sich festlegt, verliert erst die Optionen und dann sein Gesicht.
Derweil in einer Parallelwelt, die mit unserer zunächst einmal nichts zu tun hat. Deutschland sucht den Superstar.
Die Kamera saugt sich an dem Ausschnitt der Kandidatin fest, Juror Mateo, Sänger der Band Culcha Candela, fragt:
„Sind die echt?“
Die Kandidatin ist sichtlich irritiert.
„Was?“, fragt sie.
„Die Haare.“
„Keine Extensions, alles echt.“
„Und der Busen?“
„Ja, der ist echt.“
„Schön.“
Die Stimme aus dem Off erklärt mit der RTL-typischen Brachialironie: „Da achtet die Jury natürlich nur so genau drauf, weil die Oberweite ja ein wichtiger Resonanzkörper beim Singen ist.“
Die rein männliche Jury sitzt und glotzt.
Während junge Frauen beim Umziehen gezeigt werden (im Vorbereitungsraum ist eine Überwachungskamera installiert), sagt Dieter Bohlen, das internationale Zeichen für „riesige Brüste“ gestikulierend: „Die kann ja irgendwie als Kölner Dom mit ihren Glocken auftreten.“ Eine Montage tanzender Brüste, dazu fragt Tom Kaulitz: „Das magste auch richtig gern?“ Bohlen antwortet: „Besser als so’n Bügelbrett.“ „Ja, das stimmt.“
Zu der gesungenen Zeile „I just wanna make you sweat“ eröffnet wieder Mateo einer Kandidatin:
„Ich finde dein Dekolleté wunderschön. Ich würde mich da total gerne reinlegen.“
Nina Pauer müsste ihre helle Freude an dem kahlköpfigen Mittdreißiger Mateo haben. Vor einem Jahr landete die ZEIT-Autorin mit ihrem Text „Die Schmerzensmänner“ einen Klick-Hit. Das halbe deutschsprachige Netz diskutierte über introvertierte Jungs, die nicht mehr baggern können. „Statt fordernd zu flirten, gibt er sich als einfühlsamer Freund“, schrieb Pauer über den jungen Mann von heute.
Nichts mehr in ihm erinnert an die Machos von früher. Er ist „gepflegt und gewaschen, benutzt Parfums und Cremes, macht Diäten und hört wunderbar melancholische Mädchenmusik.“ Das Problem beginne, „wenn der entscheidende move gefragt ist, er sich herüberbeugen und die junge Frau endlich küssen sollte“. Dann blockiert der junge Mann. Stattdessen nur viele ängstliche Fragen im Kopf.
Weiterlesen in der Berliner Zeitung
27
Jan 13
Simon Kowalewski möchte in einer malteweldingfreien Welt leben
Nachdem der Berliner Piratenabgeordnete Fabio Reinhardt mir eine reinhauen wollte, bin ich nun zum zweiten Mal Objekt der Gewaltfantasien aus dem Abgeordnetenhaus.
Simon Kowalewksi twitterte nachts von einer Party: “Wir wollen doch alle in dieser @maltewelding-freien Welt leben, in der alles OK ist.“
Von mehreren Twitterern zur Rede gestellt, erklärte er schließlich: “Mit „wir“ war nach meinem Verständnis die Menschheit gemeint und mit „@maltewelding“ ein Beispiel für subtilen Alltagssexismus” (zunächst war es noch Alltagsrassismus, aber: hey)
“Wir” sind die Menschheit und “maltewelding” nur ein Beispiel. Wenn man nur ein Beispiel ist, aber direkt mittels eines @ angesprochen wird, muss man wohl seinen Stellenwert so akzeptieren.
Früher nannte Franz Josef Strauß Autoren “Pinscher” heute wünscht man sie sich gleich aus der Welt.
Einer meiner Facebook-Freunde schrieb dazu: “Wer noch nie seinen eliminatorischen Hass an einem Holocaust-Gedenktag ausgedrückt hat, werfe den ersten Stein!”
Meine Kollegin Anne Lena Mösken hat in der Berliner Zeitung ein Porträt Kowalewskis geschrieben. Damals färbte er sich die Haare, um sein Anderssein zu demonstrieren. Nur die größten Spießer glauben tatsächlich, sich durch ihre Frisur absetzen zu können. Aus diesem Geist der Spießigkeit wächst in natürlicher Konsequenz der Wunsch, jene, die man als Gegener ausgemacht hat, würden gar nicht erst existieren.
Die Welt könnte so schön sein ohne die anderen.
Eine Bemerkung noch: Ich habe auf Facebook geschrieben, Kowalewksi lebe polyamor, sei aber Single. Dies hatte er so der Bildzeitung gesagt, beschwerte sich aber bitterlich bei mir über die “Falschaussage auf Facebook”.
In einem halben Jahr könne sich viel ändern. So möchte ich die Gelegenheit nutzen, Journalisten darauf hinzuweisen, dass Simon Kowalewski nun eine/viele FreundIn(nen) hat oder die Polyamorie nicht mehr praktiziert.
Man muss ja, wenn man über Politiker berichtet, die Prioritäten sauber setzen. Am Ende wünschen sie einem noch den Tod.