Hey Journalismus! Lick my Wiki!

Heute habe ich mich mal auf der Submissions-Seite von Wikileaks umgeschaut:
1. Material we accept

Wikileaks will accept restricted or censored material of political, ethical, diplomatic or historical significance.

Was Wikileaks nicht annimmt: Gerüchte.

Spulen wir im Geiste um einige Wochen zurück. Damals erreichte das SZ-Magazin einen neuen Tiefpunkt: Aus anonymen Interviews mit vorgeblichen Exfreundinnen Jörg Kachelmanns wurde dort ein dermaßen ungenießbarer Sud aus Verdächtigung, Rufmord und allgemeiner Arschlochigkeit gekocht, dass ich am liebsten ein SZ-Abo erstanden hätte, nur um es demonstrativ kündigen zu können. Es gab in dem Artikel keine Information von Relevanz und er basierte ausschließlich auf Gerüchten.

Cablegate überzeugt mich nicht von der Arbeit von Wikileaks, ich bin der Ansicht, dass mit der Veröffentlichung der Botschaftsdepeschen niemandem gedient ist. Aber Entschuldigung: In deutschen Presseerzeugnissen sind ungefähr 97% reiner Dreck, Informationsdurchfall.
In Deutschlands Redaktionsstübchen wird lustig oder unlustig Dienst nach Vorschrift gemacht, Interviews muss man sich vom Interviewten absegnen lassen und der Rest der Arbeit besteht aus dem Verfassen von staatstragenden Konsenskommentaren und Serviceartikelchen. Welchen Skandal hat ein deutsches Nachrichtenmagazin zuletzt aufgedeckt? Wann soll das gewesen sein? Die Barschel-Affäre? Würmer in Nordseefischen? Oder ist alles in Ordnung?
Ist klar: Zu Guttenberg hat seine 600 Millionen durch harte Arbeit verdient, seine Frau ist eine grandiose Streiterin für die Unversehrtheit von Kinderseelen, der Papst hat von überhaupt nichts gewusst (weder von Vergewaltigungen in seinen Klöstern noch von deren Vertuschung) und Felix Magath ist der böseste Mann Deutschlands (tausend Euro für den Journalisten, der einen solchen Artikel, wie er diese Woche über einen Fußballtrainer in der ZEIT zu lesen war, über einen deutschen Minister verfasst – leicht gesagt, die werde ich nie zahlen müssen).

Deutsche Journalisten, die darauf hinweisen, nur der gute alte Journalismus könne in so verwirrenden Zeiten noch helfen, sollten mal auf andere Medikamente umsteigen. Es ist das Zetern der Altersimpotenten über die Niedertracht der Erektion.

9 comments

  1. Da haste Dir also die journalistischen Tiefpunkte der letzten drei Wochen besorgt und kannst daraus auf die Niedertracht des gesamten Systems schließen? Na herzlichen Glückwunsch!

    Der Journalismus ist sicherlich mitnichten perfekt und es gibt genug daran zu kritisieren. Warum das oft so ist, solltest Du dann aber auch nicht verschweigen. Ich weiß nicht, wo es in den vergangenen 20 Jahren einen vergleichbaren Kahlschlag an Personal gegeben hat und wo der Kostendruck so immen gestiegen ist, wie in den Medien. Dass das sichtbar auf die Qualität Einfluss hat, steht außer Frage. Journalisten deshalb aber zu unterstellen, die seien anbidernd, faul oder desinteressiert und sowieso von vorgestern ist eine unzulässige Pauschalisierung. Viele versuchen trotz widriger Bedingungen einen guten Job zu machen. Leider sind auch sie oft nur kleine Räder im System und von despotischen Chefredakteuren und zahlengeilen Geschäftsführern abhängig.

    Der Journalismus krankt damit an denselben Symptomen wie andere Gesellschaftssysteme: Verkaufszwang, verkrustete Personalstrukturen und Mutlosigkeit. Aufgrund seiner Bedeutung für die Gesellschaft kann man ihm diese Mängel natürlich härter ankreiden. Aber den guten, alten Journalismus deshalb in Grund und Boden zu verdammen halte ich für unfair und auch voreilig. Denn noch hat die Zeit nicht entschieden, ob er wirklich von gestern ist.

  2. Mathias Richel

    Hallo Ulrike,

    stimmt: Massive Kürzungen. Richtig blöd.
    Stimmt nicht: Das als Begründung für deine Kritik an Maltes Aussage.
    Weil: Wenn die Kürzungen Realität sind, sollte man diesen Fakt auch in die Bewertung der eigenen Rolle (also Journalisten über den Journalismus) einkalkulieren. Und plötzlich wird klar, dass man unter diesen Arbeitsumständen nicht mehr der Gralshüter der Qualität sein kann. Das sollte man dann aber auch nicht vor WikiLeaks behaupten und dann hätte Malte selbst aus deiner Sicht Recht.

  3. Der Journalismus alter Schule wurde in Grund und Boden geshareholdervalued. Ich bin mir sicher: Echter Journalismus alter Schule hat nur noch im Netz eine Chance. Nur hier ist Unabhängigkeit wenigstens wahrscheinlich. Die Impotenten wird das Schicksal aller Leidensgenossen ereilen: Sie werden keine Nachfolger haben…

  4. Was mir aufstößt, ist dass sich Medien (auf ZDF gab es einen Beitrag darüber) gezielt einige wenige Informationen der Leaks rauspicken, und dann zeigen, dass die Leaks an sich keine Relevanz haben.

    “Und was ist rausgekommen? Klatsch und Tratsch. Es interessiert doch niemanden, was irgendein Referendar in einer amerikanischen Botschaft über einen deutschen Minister schreibt.”

    Korrekt – und wenn alle Leaks solche Informationen enthielten, wären die Leaks per se in diesem Fall tatsächlich irrelevant gewesen.

    Tun sie aber nicht (ich hatte kurz darüber nachgedacht, hier relevante Infos zu zitieren, aber das ist tatsächlich unnötig – es gibt kaum eine News-Seite, wo zur Zeit kein relevantes Leak gefeatured wird).

  5. @e
    Stimmt. Ich hatte letztens hier auch nie Diskussion mit einem Kollegen darüber wie nervtötend ich es finde, dass sich z.B. ein Nachrichtenmagazin wie der Spiegel ausgerechnet solche Un-Meldungen wie “Teflon-Angie” oder “Aggro-Westerwelle” als Aufmacher rauspicken.
    Was über den El-Masri-Fall geleakt wurde hat man dasgegen zuerst aus spanischen Medien erfahren.

  6. “Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.” – Marx, Karl: Debatten über Preßfreiheit und Publikation der Landständischen Verhandlungen. In: Rheinische Zeitung v. 5. Mai 1842

    @Ulrike: Strukturprobleme, welcher Art auch immer, sind natürlich nur eine fadenscheinige Entschuldigung für mangelnde Sorgfalt. Jeder, der an dem, von dir dargestellten System, in der geforderten Art mitwirkt, wird sich früher oder später die Frage nach der persönlichen Eignung stellen müssen.

    Die zurecht kritisierte Scheinheiligkeit in der Eigendarstellung mancher mancher Medien tut nur ihr übriges zu einer seit Jahren tendenziell nach unten gehenden Qualitätswahrnehmung der traditionellen Medien. Ich teile zerebrumms Einschätzung. Die “alte Schule hat nur noch im Netz eine Chance”. Ich spekuliere, dass Schwerpunktjournalismus sich mehr durchsetzen wird. Klassische Medien mit breiter thematischer Fächerung werden weiter existieren, aber inhaltliche auf “Bild”-Niveau sinken. Wohin allerdings dann Bild und Co. sinkt vermag ich auch nicht orakeln … (x_r_x:D

  7. Matthias Schumacher

    Der gute alte Journalismus ist tot. Das Buch ist tot. Alles ist tot. Totgesagte leben länger.

    Was ist denn der “gute alte Journalismus”? Der von 1980? 1910? 1847? 1614?

    Allein die neuen technischen Möglichkeiten werden eine Veränderung der alten Medien erzwingen. So war es immer. Wir befinden uns bereits am Anfang dieses Prozesses. Vor rund 90 Jahren gab es ähnliche Diskussionen um ein neues Medium. Das hieß Radio (vielleicht erinnert sich noch jemand daran). Dann kam das Fernsehen. Und wieder gingen die Debatten los. Der Journalismus hat sich immer angepasst. Er wird es wieder tun. In einigen Jahrzehnten werden dann junge hippe Leute ähnliche Artikel schreiben, wenn wieder eine technische Revolution ansteht. Dann sind die Onlinehengste von heute zu Besitzstandswahrern in miefigen Kreativcentern und Bloggerstübchen geworden. Old fashioned. Abgehalftert.

    Interessant finde ich im Moment zum Beispiel, dass WikiLeaks Dokumente über Kreditkartenunternehmen veröffentlichen will, wenn sie nicht spuren. Ist es Geschäftspolitik von WikiLeaks, Dokumente erst als relevant einzustufen, wenn es den Herrschaften genehm ist. Würden sowas die guten alten Medien machen, wäre das Geschrei groß.

    Die Gerüchteküche zu kritisieren, ist natürlich sehr spaßig in einem Medium, das wie kein anderes von Irrelevantem und Gerüchten lebt und wo Verschwörungstheoretiker sich die Links in die Hand geben. Warum? Weil Gerüchte interessant sind.

    Ich gehe davon aus, dass hier alle die BILD scheiße finden. Genehmigt. Bild.de hat rum 130 Mio. Visits MONATLICH! Zeig mir ein seriöse deutschsprachige Onlineangebot, das sowas sonst noch fertigbringt.

    Sollen Journalisten nur aufdecken? Schau mal Monitor, report, frontal, zapp… Man kann natürlich Kackepickerei betreiben und den großen Enthüllungsjournalismus fordern, aber soviel Skandal ist ja gar nicht… da muss man sich eben manchmal welche selbermachen. Siehe BILD.

  8. Zu Unterhaltungszwecken überspitzt und polemisiert, aber gut.

    Den guten alten Journalismus hat es nie gegeben. Journalisten waren immer schon sehr abhängig von allen anderen Faktoren, von ihren Quellen, von Reputation, von ökonomischen Zwängen. Dieses Gejammer von wegen kaputt gespart ist doch, wenn man mal genau hinschaut, Quatsch.

    Es ist eben ein interdependentes System, und damit gewissen Zwängen unterworfen.

    Wikileaks ist da viel freier. Und deswegen effektiver. Und deswegen sind diese ganzen etablierten Journalisten so sauer und berichten so negativ. Ihnen wird ihr Lieblingsledigitmationsschäufelchen im Sandkasten der Eitelkeiten weggenommen, der investigative Topjournalismus, und das auch noch von digitalen Niemanden.

    (Dein Mann/Frau-Buch ist übrigens, soweit die Leseproben sprechen, grandios.)

  9. @Matthias Schumacher:

    Die Gerüchteküche zu kritisieren, ist natürlich sehr spaßig in einem Medium, das wie kein anderes von Irrelevantem und Gerüchten lebt

    Warum scherst du das Internet über einen Kamm? Warum wirfst du aluhuttregende mit seriösen Bloggern in einen Topf? Das Internet bietet nun mal die volle Bandbreite, von aufklärerrisch bis grenzdebil. Bei Print ist dagegen in den letzten Jahrzehnten ein klarer Trend von A nach B zu auszumachen.

    Bild.de hat rum 130 Mio. Visits MONATLICH! Zeig mir ein seriöse deutschsprachige Onlineangebot, das sowas sonst noch fertigbringt.

    Mit Unterhaltung wird Umsatz generiert, Enthüllungen will keiner lesen. Das ist nicht neu.

    Sollen Journalisten nur aufdecken?

    Es wäre schön, wenn sie es überhaupt noch tun würden.

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