26
Jul 13

Väter gegen Mütter

Ich bin seit knapp sechs Monaten Vater.
Die ersten Wochen mit dem neuen Menschen sind eine Zeit, die vermutlich nur andere Eltern nachvollziehen können. Aufregend, ermüdend, an die Grenzen treibend. Aber schön, wunderschön. Ursprünglich wollte ich die ersten zwei Monate nicht arbeiten und nur bei meiner Frau und dem Baby sein, aber dann kam das kleine Gemeinschaftsprodukt zwei Wochen früher als erwartet, einige Texte waren noch nicht fertig, ich musste also erst einmal weiterarbeiten. Es kamen neue Aufträge, die ich nicht absagen wollte, und auf einmal merkte ich, dass ich Geld viel wichtiger als zuvor fand. Ich war in einem Versorgermodus, ich fing eine Sache nach der anderen an, weil ich auf einmal das Bedürfnis nach einem satten Polster auf dem Konto hatte, ein Polster, das auch noch halten würde, wenn ich einmal krank wäre, ein Windelpolster, ein Fläschchenpolster, ein Medikamente- und Spielzeugpolster, ein Größerewohnungpolster.
Ich redete mit meinem alten Freund K. über diesen Versorgermodus. K. sagte, ich solle vorsichtig sein. Er fahre in diesem Modus seit 5 Jahren und sei mittlerweile „stresskastriert“. Im Bett laufe deswegen schon ewig nichts mehr. Dazu verachte ihn seine Frau, weil sie nur halbtags arbeite, während er ja unbedingt Karriere machen müsse, während sie bei den Kindern zu bleiben habe.
Eine Scheidung käme aber nicht infrage: Dann würde er seine beiden Töchter nie wieder sehen. Mütter würden doch immer das Sorgerecht bekommen.
Von solchen Dingen will ich im Moment eigentlich nichts wissen. Und erst recht nichts von Geschlechterkrieg und Kampf um das Kind. Und außerdem: Haben wir das nicht überwunden? Wenn es die für alle frischen Eltern düstere Bedrohung am Horizont schon gibt – dass man eines Tages keine Familie mehr ist – kann man dann nicht wenigstens darauf hoffen, dass das alles zivil über die Bühne geht?
Je mehr ich mich umhörte, desto klarer wurde mir: kann man nicht. Im Gegenteil, die Frauen und Männer rüsten auf im Kampf um das Kind, es wird, fein säuberlich getrennt nach Geschlechtern, in Lagern gekämpft. Es gibt nicht mehr nur die Vätervereine, die sich bereits seit 40 Jahren bemühen, die Rechte der Väter zu vertreten, sondern seit kurzem auch zum Beispiel den Verein „Mütterlobby“ für weibliche Scheidungskriegsopfer. Zweite, unschöne Erkenntnis: Die Weichen für diese traurigen Rosenkriege werden zu einer Zeit gestellt, zu der viele an Trennung noch gar nicht denken. In dem Moment nämlich, in dem wir in die Geschlechterrollenfalle tappen. Und das passiert den allermeisten Paaren. Weil, dritte Erkenntnis: Die Politik immer noch versagt, wenn es darum geht, Gleichberechtigung in Familien- und Arbeitsleben zu unterstützen.

Natalie Bauer, die in Wirklichkeit anders heißt, wollte nach der Scheidung durchsetzen, dass ihre Kinder bei ihr wohnen und den Vater nur alle zwei Wochen sehen. Sie hatte gute Argumente auf ihrer Seite, denn es gilt im Sorgerechtsverfahren das Kontinuitätsprinzip, und Bauer hatte zum Zeitpunkt der Trennung fünf Jahre in Elternzeit verbracht, während ihr Mann Vollzeit weiter arbeitete. Meistens war er erst um neun Uhr abends daheim, die Kinder waren dann schon im Bett.
Im Sorgerechtsverfahren behauptete ihr Ex-Mann dann, sie habe ihn und die Kinder massiv geschlagen. Auf den Gedanken, das zu behaupten, habe ihn wohl ein Väterverein gebracht, glaubt Natalie Bauer, die sich inzwischen vom Verein „Mütterlobby“ beraten lässt.

Nur so sah ihr Ex-Mann wohl eine Chance, das Umgangsrecht zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Während die gemeinsame Sorge inzwischen Standard ist, ist die Frage des Umgangsrechts zurzeit das umstrittenste Thema zwischen organisierten Vätern und Müttern. Die Väter befürworten ein Modell, bei dem die Kinder jeweils für einige Tage bei der Mutter und dann beim Vater leben. Gängiger ist das Residenzmodell, bei dem das Kind einen Hauptaufenthaltsort hat. Das von den Vätern favorisierte Wechselmodell, inzwischen in den USA, Frankreich, Spanien und anderen Ländern gesetzlich verankert, scheint sich auch in Deutschland durchzusetzen.

Die Kinder sollen beide Eltern haben, klar, das klingt logisch. Aber warum erst nach der Scheidung? weiter bei der Berliner Zeitung


18
Jun 13

Mr President: Tear down these headphones!

Sehr geehrter Herr Präsident, einer Ihrer zahlreichen inoffiziellen Ehrentitel ist “Führer der freien Welt”.
Es gab in der Geschichte der Menschheit zahlreiche Führer der Welt. Von Alexander über Nero bis zu Dschingis Khan und Napoleon formten Männer die Geschichte, die ihre Völker in Ketten legten.
Einzig die amerikanischen Präsidenten konnten für sich in Anspruch nehmen, Völker zu befreien.
Noch heute gilt der Tag der deutschen Niederlage im zweiten Weltkrieg als Tag der Befreiung.
Mr President, als Sie gegen Ihren Vorgänger antraten, war die Begeisterung in Deutschland, ja in der ganzen Welt, so groß, dass man Sie vermutlich zum Kanzler, zum Prime Minister, Generalsekretär der Kommunistischen Partei, wahrscheinlich sogar zum Ministerpräsidenten Bayerns gewählt hätte.
Die ganze Welt hat auf Sie geschaut. Sie waren ein moralisches Versprechen.
Viele amerikanische Präsidenten hatten ihren Teil dazu getan, das Bild vom Führer der freien Welt zu beschädigen.
Japanische Amerikaner waren interniert, linke Intellektuelle auf schwarze Listen gesetzt, junge Menschen in immer fragwürdigere Kriege getrieben worden. Doch immer blieb da dieses Versprechen von Freiheit, der Glanz der Miss Liberty, der über das ganze Land strahlte.
1989 waren Sie noch ein junger Mann. Damals endete die Zeit einer Macht, die einer Ihrer Vorgänger als Evil Empire bezeichnet hat. Die Menschen in Deutschland lagen sich in den Armen. Es war nicht einfach nur die Freude darüber, wieder vereint zu sein. Es war das unfassbare Glück zu sehen, dass Menschen nicht überwacht werden können, dass die Freiheit siegen kann.
Die Stasi öffnete Briefe, sie verwanzte Wohnungen, sie zwang Freunde, Freunde zu bespitzeln, Ehepartner schwärzten einander an.
Es war wie wir heute wissen, kein Imperium des Bösen, sondern eine recht normale Diktatur.
Wenn nun Ihre Geheimdienste jede Nachricht, die wir einander zukommen lassen, jedes Foto unserer Kinder, jeden Liebesschwur und jeden Wutaubruch, speichern, archivieren, lagern, um ihn eines fernen Tages möglicherweise gegen uns zu verwenden, dann nutzen Sie dies nicht, um uns zu unterdrücken.
Sie wollen uns schützen.
Sie rauben uns unsere Würde, um uns zu schützen.
Was ist die Würde vieler gegen das Leben einiger?
Alles.
Das Wesen der Würde besteht darin, nicht aufwiegbar zu sein. Es widerstrebt menschlicher Ethik, den einen zu opfern, damit viele leben können. Die Jungfrau, die dem Drachen geopfert wird: Das war ein barbarischer Akt.
Was dann erst die Opferung unser aller Würde?
Mr President, reissen Sie die Kopfhörer herunter, seien Sie der Führer der freien Welt, nicht bloß ein weiterer Herrscher.


15
Mai 13

Telekom: Werdet zu Tropfen.

183 Millionen Euro hat die Telekom (Ihre Verbindung. Wir gestalten.) im vergangenen Jahr für Werbung ausgegeben. Allein 30 Millionen kassiert der FC Bayern vom ehemaligen Staatsunternehmen. Schwer, gegen diese Propaganda-Power anzukommen.
Umso schwerer, wenn es darum geht, sperrige Begriffe wie Netzneutralität einer Masse von Menschen nahe zu bringen. Also versuchen wir nun, mit Werbung dagegen zu halten.
Mailt die Motive an Eure Eltern, Eure Großeltern, Eure Geschwister. Um die Netzneutralität zu erhalten brauchen wir die Hilfe derer, die noch gar nicht wissen, warum sie wichtig ist.
Die Telekom ist geboren im Shitstorm, geformt von ihr: Wir brauchen keinen Sturm, wir brauchen ein Meer. Wasser bricht auch noch den stursten Stein. Werdet zu Tropfen.

Mathias Richel mit den Hintergründen
echtesnetz.de


01
Mai 13

Piraten!

Mein in Japan lebender Freund Robin berichtet, wie er dort einen Internetanschluss bekommt:

Wir sind jetzt umgezogen und ich habe einen neuen Internetanschluss beantragt. 30 Minuten nachdem ich das Online-Formular ausgefuellt hatte, kam ein Anruf von dem Callcenter. Den konnte ich nicht beantworten, weil ich bei der Arbeit war, also habe ich spaeter die kostenfreie Nummer zurueckgerufen und der Dame meinen Namen gesagt, die wusste dann Bescheid und hat mir einen Termin fuer die Installation genannt. Der lag zwei Wochen in der Zukunft, also hat sie sich entschuldigt (haette sie aber auch, wenn es zwei Tage gewesen waeren).

Leider gibt es in meiner Gegend noch keine Gigabit-Leitungen, also muss ich mit 200 MB-Download (best effort) Vorlieb nehmen. Ich glaube, es kostet 4000 Yen im Monat. Fernsehanschluss und Telefon sind inbegriffen. Die Installation kostet ca. 30.000 Yen, wird uns aber in 24 Monatsraten zurueckgezahlt.

4000 Yen sind etwa 30 Euro im Monat, die Installation ist entsprechend mit etwa 230 Euro durchaus happig, ist aber eher eine Art Investitionsvorschuss, die man dem Unternehmen gewährt. Dazu muss man bedenken, dass Japan ein Hochlohnland ist. Vor dem Umzug hatte er übrigens 1 Gigabit/s.

Sascha Lobo schreibt in seiner Kolumne auf SpOn:

Die durchschnittliche Geschwindigkeit in Deutschland liegt bei 6 Mbit/s, mehr als 10 Mbit/s erreichen nur 8,8 Prozent der Anschlüsse.

Die Empörung der Nutzer hilft da wenig. Kerstin Hoffmann, die sich auf der Facebookseite von Vodafone über ihren Vertrag beschwert hat und zwar viele Likes bekam, aber nicht das, was sie wollte, schreibt dazu: “Immer mehr Fachleute legen nahe, dass es zwar noch keine belastbaren Untersuchungen gebe, dass aber wahrscheinlich die Auswirkungen der digitalen Empörungswellen weit geringer für die Firmen seien, als bisher allgemein orakelt wurde.”

Ich habe diese Erfahrung ebenfalls gemacht. Auch auf meinen Text hin hat sich bei Vodafone niemand gerührt.
Ich habe damals versucht, zu verstehen, warum es in Deutschland mit der Telekommunikation so schwierig ist. Ich habe die Geschichte der Unternehmen nachgezeichnet, die beinahe unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Callcenter-Agents beschrieben.

Aber irgendeinen spezifischen Grund muss es doch darüber hinaus geben, dass das Thema Internet von der deutschen Politik im Grunde nur als Bedrohungsszenario erwähnt wird. Das Internet ist hier zum einen etwas, das dem Bestehenden etwas wegnimmt: Dem Tatortschreiber seine Tantiemen, dem Buch seine Leser, den Zeitungen ihre Texte. Zum anderen wird es als reine Unterhaltungsmaschine wahrgenommen. Demzufolge wird man durch ein technisches Wunder, das einem Zugriff auf das Wissen der Menschheit ermöglicht, dümmer (“Digitale Demenz”).

Schon in den Achtzigern zeichnete sich eine spezifisch deutsche Technikangst ab. Die jüngste Partei des Landes wollte ein Zurück zur Natur. In diesem Gesamtkontext versteht man, wie wichtig die Piraten sein könnten. Hätten gewesen sein können, muss man wohl sagen.
“Darauf zu hoffen, dass der Markt diese Probleme reguliert, hieße darauf zu hoffen, dass die großen Tabakfirmen eine Zigarette erfinden, die Krebs heilt”, habe ich damals geschrieben. Man braucht die Politik. Wieder Sascha Lobo fordert dazu auf, die Blogger von Netzpolitik.org zu unterstützen. Ich denke, man kann sich da anschließen, aber ich will noch nicht ganz von den Piraten ablassen. Wenn die vielleicht mal einen Moment aufhören könnten, sich bei Twitter gegenseitig Vorwürfe zu machen, und sich wieder konzentrieren würden – es wäre wirklich fabelhaft.


18
Mrz 13

Sind Blogs geeignet für Kampagnen und Aktivismus?

Ich lese gerade, dass Teresa Buecker vom “feminist burnout” spricht. Das erinnerte mich daran, dass ich mich kürzlich gefragt habe, ob Bloggen als Kampagnenwerkzeug überhaupt taugt. Die erste Antwort ist natürlich: Aber klar, was könnte schneller und trotzdem bleibender sein?
Vergleicht man den Aufschlag, den Günter Wallraff mit seinen BILD-Büchern gemacht hat, mit dem des BILDblogs, oder den von Alice Schwarzers frühen Büchern mit dem der Mädchenmannschaft, dann stellt man fest, dass den Bloggern immer mal wieder der Vorwurf der Kleinteiligkeit gemacht wird, der Korinthenkackerei.
Eine Dokumentation des Arbeitsstils der BILD auf ein paar hundert Seiten ist natürlich etwas anderes als die Langzeitstudie, die das BILDblog macht, Großthesen wie die, dass in der Vagina gerade einmal so viele Nervenzellen seien wie im Dickdarm, lassen eher aufhorchen als ein Link zum Frauen*Barcamp in Iserlohn.
Aber gehen solche Monolithen in Blogform? Könnte man den einen, großen 200 Seiten langen Text schreiben, als pdf auf sein Blog klemmen und sagen: lest – das ist alles, was ich zu sagen habe?
Ich bewundere jeden, der beim täglichen Bloggen zu einem Thema nicht ausbrennt. Ich habe es mal mit Fußball gemacht, ich konnte bald keine Bälle mehr sehen.


09
Mrz 13

„Frau, die Milch kocht über“ – Frauen sind die Packesel der Emanzipation

„Frau, die Milch kocht über!“ Es muss irgendwann Anfang der Achtzigerjahre gewesen sein. Unser Nachbar Herr Fröhlich saß in der Küche, bemerkte, dass die Milch auf die Herdplatte schäumte und tat, was zu tun war. Er rief seine Frau. Die eilte sogleich aus dem Waschkeller herbei und rettete die Milch. Mein Vater war Zeuge dieser Szene und zusammen mit dem uralten Bilderwitz aus der Funk Uhr, in dem ein Mann zu seiner Frau, die schwer beladen vom Einkaufen kommt, sagt: „Schatz, was trägst du denn so schwer, geh doch zwei Mal“, gehörte dieser Ausruf von da an zum Familienrepertoire.

„Frau, die Milch kocht über!“ kam damals schon aus einer anderen, längst untergegangenen Welt, einer Welt, in der Männer daheim Drohnen waren und Frauen Arbeitsbienen. Eine Welt, an die wir heute erst recht nur noch sehr ferne Erinnerungen haben, nicht wahr?
„Deutschland gehört neben Irland, Griechenland, Luxemburg, Australien, Spanien und Italien zu den Ländern, in denen sich die Erwerbsbeteiligung der Väter mit mehreren betreuungsbedürftigen Kindern von der der Mütter besonders stark unterscheidet.“
Dieser etwas komplizierte Satz findet sich auf der Homepage des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Er bedeutet: Sobald es in einer Ehe Kinder gibt, bleibt die Frau zu Hause und der Mann arbeitet.

Können Männer eigentlich Kinder und Karriere unter einen Hut bringen? Diese Frage wird nie gestellt und zwar zu Recht, denn für Männer existiert diese Problematik nicht. Eine Studie aus der Schweiz kommt zu dem Ergebnis, dass 90,1 Prozent aller männlichen Führungskräfte verheiratet sind, aber nur 41 Prozent der Frauen. Die Emanzipation der Frau hat bisher hauptsächlich für Männer Verbesserungen gebracht: Frauen kümmern sich nun nicht mehr bloß um Haushalt und Kindererziehung, darüber hinaus verdient die Frau jetzt auch noch Geld.
Schon seit einigen Jahren wird bei manchen Entwicklungsprojekten in Drittweltländern Geld nur noch an Frauen ausgezahlt, weil diese das Geld für ihre Familien verwenden, während Männer dazu neigen, es für sich selbst auszugeben.
In Deutschland käme natürlich niemand auf den Gedanken, Sozialhilfe für Familien an die Frauen auszuzahlen, denn deutsche Männer sind ja vollständig emanzipiert.
Oder?
Renate Schmidt, Ministerin für „Gedöns“ unter Gerhard Schröder, sagte, „die Angst vor dem feuchten Textil, ob Windel, Wäsche oder Wischlappen“ sei „bei Männern ungebrochen“.
Zwei Minuten täglich wenden Männer für das Wäschewaschen auf (pdf). Zwei Minuten an der Waschmaschine müssten einem als Mann eigentlich genauso peinlich sein wie zwei Minuten beim Sex.
Denn am Sex scheitern Ehen in der Regel nicht. Karriere der Frau (68 Prozent), Haushalt (67 Prozent) und Beruf vs. Privatleben (50 Prozent) sind nach einer Allensbach-Studie die größten Konfliktfelder zwischen Männern und Frauen. Sexualität nennen nur knapp 30 Prozent als Problem (vermutlich, weil sie sich daran nicht mehr erinnern).
Zwei Minuten brauche ich alleine schon, um an der Waschmaschine den Feinwaschgang zu finden. Ich bin selber erstaunt, denn wenn mir meine Freundin mit ihrer freundlichen Pädagoginnenstimme, die sie benutzt, wenn sie merkt, dass ich gerade wieder einmal drei Jahre alt geworden bin, erklärt, wie es geht, dann sehe auch ich: Den Feinwaschgang kann ich da einstellen, wo auf der Maschine Feinwäsche draufsteht. Aber in der Hitze des Gefechts trübt sich mir oft der Blick.
Es verlangt mir schon übermenschliche Kräfte ab, zu entscheiden, mit welchen anderen Farben zusammen ein hellblaues Hemd gewaschen wird. Auch als Mann, der in einem gentrifizierten Viertel lebt, in dem sogar die
Rindersteaks, die ich beim Biometzger kaufe, in nicht-geschlechtsdiskriminierenden Ställen von veganen Lesbierinnen großgezogen wurden, mache ich eben nicht alles richtig.

Katja, eine Bekannte, die Genderakrobatik oder so studiert, fragte meine Freundin und mich einmal, wer denn bei uns die Pille bezahle. „Ich hole die Pille in der Apotheke ab, wenn ich sowieso da bin, und bei dieser Gelegenheit“, setzte meine Freundin an, und wurde von einem Aufschrei meiner feministischen Bekannten unterbrochen.
„Aha! Das ist nämlich so typisch. Ich habe gerade erst an der Uni eine Umfrage gemacht, und es ist nämlich immer so: Männer scheren sich nicht um Verhütung. Wer bezahlt, ist da ein ganz klares Indiz.“ Ich war zutiefst beschämt. Meine Freundin stotterte etwas von:
„Schon okay“, und zählte ein paar Sachen auf, die ich bezahle und von denen sie auch profitiert, aber Katja ließ Ausflüchte nicht gelten: „Nein, nein, nein. Wenn ich schon Hormone schlucken muss, dann MUSS der Mann die Dinger selber abholen und bezahlen. Alles andere ist Sexismus.“
Ich fühlte mich, als hätte sie gerade meinen Ku- Klux-Klan-Mitgliedsausweis entdeckt.
Reicht es nicht, irgendwie nett zu sein, einkaufen zu gehen, zu spülen, zu schnipseln, Bereitschaft zu signalisieren, eines fernen Tages Windeln zu wechseln, das Bad zu reinigen, bei der Magisterarbeit zu helfen und andere Frauen zu ignorieren oder ist man als Mann im Grunde immer ein notdürftig rasierter Taliban?

Abends habe ich mir dann zur Beschwichtigung ein Schuljungenkostüm und tolle Wäsche drunter angezogen und mich lasziv durch die Wohnung bewegt.
Scheiß Emanzipation.
Früher waren die Dinge klarer. Gott hielt nicht viel vom weiblichen Geschlecht und deswegen sagte er zu Eva, der Stellvertreterin aller Frauen: „Du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.“
Man hatte mit der Erbsünde eine praktische Begründung dafür, warum Frauen immer den Abwasch machen mussten.

Heute machen Frauen immer noch den Abwasch, aber kaum jemand glaubt, dass das etwas mit Eva, Adam und der Schlange zu tun hat. Man glaubt stattdessen, das sei halt in den Genen festgeschrieben.
In „Der falsch vermessene Mensch“ erzählt Stephen Jay Gould, wie den alten Griechen die natürliche Ordnung erklärt worden ist. Denen, „welche geschickt sind zu herrschen“, zitiert er Platon, wurde „Gold bei ihrer Geburt beigemischt, weshalb sie denn die köstlichesten sind, den Gehilfen aber Silber, Eisen hingegen und Erz den Ackerbauern und übrigen Arbeitern.“
Später maß man Schädelgrößen, um zu belegen, dass die Weißen eine überlegene Rasse sind. Immer nahm man das, was gerade der neueste Stand der Wissenschaft war, damit man nach allen Regeln der Kunst einen Beweis dafür fabrizieren konnte, dass alles schon immer so gewollt war, wie es ist. Die aktuelle Ordung ist immer die natürliche Ordnung.
Ganz gleichgültig, wie außerordentlich wahnsinnig diese Ordnung auch ist.
Bei den Sambia, einem kriegerischen Stamm in Papua-Neuguinea, leben die Jungen bis zum zehnten Lebensjahr bei ihren Müttern, getrennt von ihren Vätern, die unter sich in Männerhäusern leben.
Dann werden sie in brutalen Initiationsriten blutig geschlagen, müssen tagelang im Wald leben und wenn sie das überstehen, dann kommen sie ins Männerhaus, wo sie gezwungen werden, die Junggesellen zu fellationieren.

Ja, Sie haben richtig gelesen: Tag für Tag müssen die kleinen Jungen die Älteren oral befriedigen und – das ist besonders wichtig – den Samen trinken.
Denn durch den männlichen Samen werden die Jungen zu Männern. Blut ist in der Vorstellung der Sambia weiblich, weswegen die Sambia-Männer höllische Angst vor menstruierenden Frauen haben; sie könnten durch das Blut ja feminisiert werden.
Der Unterschied zwischen Männern und Frauen: Mal liegt er im Blut und im Sperma, mal in der Erbsünde begründet, Biologisten sehen ihn in den Hormonen und Genen.
Man kann nicht mit letzter Sicherheit entscheiden, ob Männer und Frauen von Geburt an unterschiedlich sind. Es gibt feststellbare statistische Unterschiede in Verhaltensweisen und Vorlieben, die für die einzelne Person nichts aussagen, aber nun einmal so sind wie sie sind. Es ist dabei gleichgültig, ob sie von Natur aus gegeben sind oder durch die deutlich unterschiedliche Erziehung, nur Leute, die davon leben, dass diese Debatte weiter läuft, halten das für relevant.

Lassen Sie uns also der Einfachheit halber so tun, als seien alle sich einig, dass Frauen die gleichen Möglichkeiten im Leben haben sollten wie Männer. Und da wird es leider offensichtlich, dass die bisherigen Bemühungen um Chancengleichheit in eine Sackgasse geführt haben.

Schon zum „Jahr der Frau“ 1975 schrieb der Spiegel, dass Mädchen deutlich bessere Schulnoten als Jungs hätten und die Männer vermutlich abgehängt werden würden.
Dieselben Sorgen um die armen Männer werden heute geäußert, als hätten nicht die vergangenen 35 Jahre gezeigt, dass bessere Noten für die Frauen nicht mit einem besseren beruflichen Fortkommen einhergehen. Für eine Karriere braucht man Eigenschaften, die Frauen nicht anerzogen werden und man braucht einen Partner, der einen unterstützt.
Es verhält sich in der Welt der Wirtschaft so, als würde ein Mann beim Hundertmeterlauf der Frauen teilnehmen. Die Regeln sind so gemacht, dass sie Männern nutzen, sie sind von Männern gemacht und Männer bestimmen die
Teilnahmeberechtigung. Wie soll man da als Frau in den Wettbewerb treten können?

Clay Shirky, Professor für Neue Medien an der New York University, erzählt in seinem Blog von einem früheren Studenten, der ihn um ein Empfehlungsschreiben bat. Shirky ließ den Studenten das Schreiben aus Bequemlichkeit selbst aufsetzen, musste es dann aber erheblich dämpfen, da die Begeisterung des Studenten von sich selbst dermaßen überzogen war, dass es klang, als habe nicht ein Mensch, sondern eine PR-Agentur die Empfehlung verfasst.

Selbst mit den von Shirky vorgenommenen Abmilderungen war es das beste Empfehlungsschreiben, das er je abgegeben hatte. Mit einer solchen Empfehlung in der Tasche hat der größenwahnsinnige Student nun natürlich die besten Voraussetzungen für eine steile Karriere. Eine Karriere, die Frauen verwehrt bleibt, so Shirky, weil sie schlecht darin seien, sich wie „selbstdarstellerische Narzissten, anti-soziale Besessene und aufgeblasene Aufschneider” zu verhalten. Man bräuchte neue Spielregeln für ein Miteinander, man bräuchte eine Gesellschaft, in der nicht der, der am lautesten Alphamännchen spielt, sich durchsetzt.

Auf das Spielerische kommt es übrigens auch in anderer Hinsicht an: Es kann sehr schön sein, zeremoniell Rollen einzunehmen, Türen aufzuhalten, in Mäntel zu helfen, die Kinokarten zu bezahlen. Dr. Rainer Ehrlinger, der Ethikratgeber des SZ-Magazins, wurde von einem Mann gefragt, ob er richtig handelte, als er unter Berufung auf die Geschlechtergleichheit einer Bekannten die Hilfe beim Aufpumpen ihres Fahrradreifens verweigert habe.
Genau richtig, befand der Ethikexperte, Klischees aufrecht zu erhalten sei schließlich ein Übel und sowieso könne die Frau ruhig selber pumpen. Wie gut muss es ein geschlechtergerechter Mann haben! Er kann auf Frauenparkplätzen sein Auto parken, muss sein Geld nicht in Blumen investieren, kann zuerst aus einem brennenden Gebäude sprinten und wenn sein Schiff von einem Eisberg gerammt wird, ist es völlig in Ordnung,
Frauen und Kinder aus den Rettungsboten zu schubsen. Hey, schließlich wollen die doch auch wählen gehen und Mathe studieren!

Es wird fürchterlich anstrengend und unschön, wenn man nichts mehr tun darf, was mit einem Gechlechterklischee verbunden ist. Das habe ich bei der Schnittchenaffäre gemerkt. Bereits von zwei Bekannten ist meine Freundin dabei erwischt worden, dass sie mir ein Brot macht. Das ist ein echter Skandal, nur noch einen Schritt davon entfernt, sich die Schürze umzubinden und zu Mutter Beimer zu werden.
Diese Brote sind ein Verrat, eine Zementierung längst hinter uns geglaubter Traditionen, der Dolchstoß in den Rücken einer jeden berufstätigen Frau. „Der kann sich doch wohl selber ein Brot schmieren!“ Natürlich kann ich das. Genauso, wie meine Freundin sich selber Wasser in ihre Flasche füllen kann. Aber ich fülle ihre Flasche auf, damit sie sitzen bleiben kann. Nicht, weil sie keine Beine hätte, sondern weil es um winzige Gesten geht in einer Beziehung. Weil das Wasser besser schmeckt, wenn es einfach so neben dir steht und du nicht aufstehen musst. Weil ich dein Mann bin und dein Durst mein Feind.

Schnittchen sind im Schnitt kein Problem, das Problem ist die Wirklichkeit. Und die steht eben spätestens dann im Türrahmen, wenn ein Kind zur Welt kommt.
Wenn ein berufstätiges Paar ein Kind bekommt, steht die Frau vor folgendem Problem: Sie verdient im Schnitt 25 Prozent weniger als der Mann; hinzu kommt, dass der Mann auch dann nicht im Haushalt mitarbeitet, wenn die Frau berufstätig ist.
Die „neuen Väter“ bleiben ein urbaner Mythos.
Die Frau kann sich also ausrechnen, wie viel Zeit er mit den Kindern verbringen wird. Die Frau hat demnach die Wahl zwischen einem Dreifachjob, also Hausarbeit, Kindererziehung und Beruf zu dreiviertel der Bezüge des Mannes – oder sie bleibt zu Hause und lernt das Gesamtwerk Benjamin Blümchens kennen.

Und Halbtagsstellen?
Die sollten doch wohl eher Halbgeldstellen heißen, denn gerade höhere Positionen werden nicht gerne aufgeteilt – wo bliebe sonst auch der Spaß bei Machtspielen? – aber die Hälfte bezahlen ist schon ganz in Ordnung.

Langweilt es Sie, wenn Skandinavien dauernd als Vorbild hingestellt wird? Dann müssen Sie da jetzt durch: Schweden verhält sich beim Thema Emanzipation zu Deutschland wie Deutschland sich beim Erfinden von immer schnelleren Autos zu Burkina Faso verhält.
1974 hat Schweden das Elterngeld eingeführt, zu dieser Zeit wurden Männer in Deutschland noch angestaunt, wenn sie einen Kinderwagen vor sich herschoben und ihre Frau nicht schlugen.
In der New York Times („In Sweden, the Men can have it All“) wird die schwedische Europaministerin mit der hübschen Aussage zitiert, „Machos mit Dinosaurierwerten“ würden es nicht mehr in die Attraktivitäts-Top-10-Listen schwedischer Frauenmagazine schaffen. Was darauf hindeutet, dass man zwei Geschlechter benötigt für einen Wandel: Männer, die ihren Daseinszweck nicht mehr in einer 80-Stunden-Woche sehen und Frauen, die bei der Auswahl auf die weichen Faktoren achten wie „Hört mir zu“, „Geht einkaufen“, „Ist kein Arschloch“.

Väter, die sich eine Auszeit für ihre Kinder nehmen, sind in Schweden so üblich geworden, dass Frauen keine finanziellen Einbußen mehr hinnehmen müssen. Denn ob ein Unternehmen nun eine Frau oder einen Mann einstellt: Beide würden im Fall einer Geburt der Firma für einige Zeit fehlen.
Weil Männer ihre Vorstellung vom Mannsein längst mit dem Anschnallen eines Babybjörn überein bringen und Frauen nicht mehr zu Hause unter Windelbergen verwahrlosen und abhängig vom Taschengeld sind, sinkt sogar die Scheidungsrate. Die Liebe ist auf dem Weg der Besserung bei den Schweden.

Einer der Gründe dafür dass Frauen weniger verdienen, liegt darin, dass sie nach der Geburt eines Kindes häufiger zu Hause bleiben, was nach männlicher Logik bedeutet, dass Frauen selber schuld daran sind, wenn sie weniger verdienen. Ohne Bezahlung zwei Jobs oder bei geringer Entlohnung drei, das ist die Wahl, die Frauen haben.
Und damit bleiben sie die Packesel der Emanzipation.
Aber stürzen sich Frauen nicht sehenden Auges in die Unmündigkeit, weil sie einfach nichts studieren, was Geld und Karriere verspricht? Warum studieren so viele Frauen Floristik, Solalalogie, Saunatuchkunde und Vasenhinundherschieberei? Ich weiß es nicht.

Ich weiß bloß: Wenn sie einen Männerstudiengang belegen, wird es auch nicht leichter (wenn übrigens viele Frauen ein Männerstudium absolvieren, dann sinkt es im Ansehen und die Entlohnung in den Tätigkeitsfeldern sinkt, weil: siehe oben).
Meine große Schwester hat Maschinenbau studiert, ein Fach, von dem man damals, sie fing 1984 an, recht unverhohlen sagte, eine Frau habe da keine Chance. Und schreiben nicht Allan und Barbara Pease („Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“) Buch um Buch darüber, dass Frauen eben kein mathematisches Verständnis haben und räumliches schon gar nicht? Meine Schwester war eine von drei Studentinnen unter 1000 Männern in ihrem Studienjahrgang. Kam sie in den Hörsaal, wurde gejohlt und hatte sie einen Rock an, dann ließ man sie absichtlich über die Bänke klettern. Als sie mit einem Kommilitonen zusammen ein Projekt vorstellte, fragte der Professor anzüglich grinsend: „Was haben Sie denn dafür getan?“

Aber meine Schwester ist aus besonderem Material geschnitzt, aus echtem Ingenieursmaterial eben, und sie machte sich hervorragend. Sie veröffentlichte ein, nein: DAS Buch über Kunststoffrecycling, promovierte Summa cum Laude und holte Millionen an Geldern aus der Industrie an die Uni. Vielleicht würden Allan und Barbara Pease ja
sagen, das sei kein Wunder, schließlich sei sie als Frau eben besonders geschickt im Umgang mit Menschen – vielleicht würden sie auch einfach mal den Mund halten.
Wenn mir meine Schwester die Integralrechnung mit einem Beispiel, das ich sofort verstand, erklärt hat, während es mein Mathelehrer gar nicht erst versuchte, habe ich nie gedacht: „Klar kann sie das erklären, sie ist halt eine Frau.“
Ich dachte einfach immer, dass meine Schwester der klügste Mensch weit und breit sei.
Meine Schwester schickte sich also an, die Welt des Maschinenbaus aus den Angeln zu heben, dann bekam sie zwei Kinder und blieb daheim. Das ist, als hätte Josef Ackermann seine Karriere aufgegeben, um auf Spielplätzen rumzusitzen. Meine Schwester hatte den Ehrgeiz, den Intellekt und die akademischen Weihen, die man braucht für eine Karriere.

Aber sie wollte bei ihren Kindern sein. Es ging nicht um Geld, das war reichlich vorhanden, es wäre weder schwierig noch zu teuer gewesen, die Kinder von jemand anderem betreuen zu lassen.
Ich fand diese Entscheidung skandalös. Was für eine Verschwendung geistigen Potenzials. Genaue Kenntnis der Dramen in der 1b der Luise-Hensel-Grundschule anstelle von Revolutionen in der Kunstofftechnik?

Aber heute denke ich: Welcher Mann hätte diese gewaltigen Eier, seine Karriere einfach abzublasen? Die Geschichte meiner Schwester ist nicht symbolisch zu verstehen. Sie bedeutet nicht, dass Frauen eben einen
Brutinstinkt haben. Die Geschichte steht ganz allein für sich selbst als Geschichte einer emanzipierten Frau, die ihren eigenen Kopf hat. Schade bloß, dass so wenige Männer über ihren Kopf verfügen (wobei die meisten Frauen nicht auf spülende Daheimbleiber stehen, aber das ist eine andere Geschichte).

Jeder halbwegs emanzipierten Frau wird meine Schwester jetzt als blöde Glucke erscheinen, denn das ist ein Naturgesetz: Eine Frau kann sich nur falsch entscheiden. Die einen machen aus dem Recht auf Erwerbsarbeit eine Pflicht und wer gerne bei seinen Kindern bleiben möchte, ist eine Verräterin. Für die anderen ist jede kinderlose Frau, die Karriere macht, eine frigide Fregatte.
Dieses Naturgesetz gilt ausnahmslos für jede Frau.
Eine Frau begibt sich mit der Geburt ihres Kindes nicht einfach in ein Dilemma, sie begibt sich ins tiefe Tal der Dilemmata, dort, wo niemals die Sonne scheint und man nur noch vor sich hinstolpert.

In diesem tiefen Tal ist die Frau dann unzufrieden. „The Paradox of declining female happiness“ heißt eine Studie von Justin Wolfers und Betsey Stevenson. Frauen werden seit Jahrzehnten immer unglücklicher. Das hat Auswirkungen. Denn die Frauen versuchen natürlich, aus ihrem Unglück herauszukommen. Der beliebteste Fluchtweg ist die Scheidung. Dem statistischen Bundesamt zufolge werden 57 Prozent der Scheidungen von Frauen beantragt, „im Vergleich zu 36 Prozent bei den Männern. 7 Prozent entfallen auf gemeinsame Antragstellungen.“

Der Neuanfang führt auch für den Mann zu einem ganz neuen Leben – der Pädagoge Martin R. Textor kennt die Probleme, die mit der Scheidung auf Männer zukommen: „Da ihnen das Kochen Probleme bereitet, verschlechtert sich ihre Ernährung. Auch essen sie unregelmäßig und nehmen häufig Mahlzeiten am Imbissstand oder in Restaurants zu sich.“
Das Kochen bereitet den Männern Probleme.
Ich schreibe den Satz gleich noch einmal hin, weil er so hübsch ist.
Das Kochen bereitet den Männern Probleme.
Ich lasse Sie jetzt mit diesem Satz in zweifacher Ausführung alleine.

(Der Text ist ein Ausschnitt aus meinem Buch “Frauen und Männer passen nicht zusammen – Auch nicht in er Mitte” und ist zum Erscheinen 2010 in der Berliner Zeitung veröffentlicht worden. Angesichts dieser Statistik schien mir eine Wiederveröffentlichung sinnvoll. In der Redaktion hieß es übrigens damals, das sei doch ein Thema aus den Achtzigerjahren.)


30
Jan 13

Von der Freiheit

Eine Szene in jeder Bar an jedem Abend in jeder deutschen Großstadt. Der erste Schritt ist schwierig. Hat sie Interesse? Oder ist sie bloß höflich? Warte ich schon viel zu lange? Oder gehe ich besser?
Seitdem offiziell beide Geschlechter den ersten Schritt machen dürfen, kann ein Date sich schnell anfühlen wie das Gefangenendilemma. Man kann nicht wissen, was der andere will, wer sich festlegt, verliert erst die Optionen und dann sein Gesicht.

Derweil in einer Parallelwelt, die mit unserer zunächst einmal nichts zu tun hat. Deutschland sucht den Superstar.
Die Kamera saugt sich an dem Ausschnitt der Kandidatin fest, Juror Mateo, Sänger der Band Culcha Candela, fragt:
„Sind die echt?“
Die Kandidatin ist sichtlich irritiert.
„Was?“, fragt sie.
„Die Haare.“
„Keine Extensions, alles echt.“
„Und der Busen?“
„Ja, der ist echt.“
„Schön.“

Die Stimme aus dem Off erklärt mit der RTL-typischen Brachialironie: „Da achtet die Jury natürlich nur so genau drauf, weil die Oberweite ja ein wichtiger Resonanzkörper beim Singen ist.“

Die rein männliche Jury sitzt und glotzt.
Während junge Frauen beim Umziehen gezeigt werden (im Vorbereitungsraum ist eine Überwachungskamera installiert), sagt Dieter Bohlen, das internationale Zeichen für „riesige Brüste“ gestikulierend: „Die kann ja irgendwie als Kölner Dom mit ihren Glocken auftreten.“ Eine Montage tanzender Brüste, dazu fragt Tom Kaulitz: „Das magste auch richtig gern?“ Bohlen antwortet: „Besser als so’n Bügelbrett.“ „Ja, das stimmt.“

Zu der gesungenen Zeile „I just wanna make you sweat“ eröffnet wieder Mateo einer Kandidatin:
„Ich finde dein Dekolleté wunderschön. Ich würde mich da total gerne reinlegen.“

Nina Pauer müsste ihre helle Freude an dem kahlköpfigen Mittdreißiger Mateo haben. Vor einem Jahr landete die ZEIT-Autorin mit ihrem Text „Die Schmerzensmänner“ einen Klick-Hit. Das halbe deutschsprachige Netz diskutierte über introvertierte Jungs, die nicht mehr baggern können. „Statt fordernd zu flirten, gibt er sich als einfühlsamer Freund“, schrieb Pauer über den jungen Mann von heute.
Nichts mehr in ihm erinnert an die Machos von früher. Er ist „gepflegt und gewaschen, benutzt Parfums und Cremes, macht Diäten und hört wunderbar melancholische Mädchenmusik.“ Das Problem beginne, „wenn der entscheidende move gefragt ist, er sich herüberbeugen und die junge Frau endlich küssen sollte“. Dann blockiert der junge Mann. Stattdessen nur viele ängstliche Fragen im Kopf.

Weiterlesen in der Berliner Zeitung


31
Dez 12

Was macht eigentlich so ein Staat?

Im Podcast mit Holger Klein erzähle ich von einer Nachhilfeschülerin, die ich gefragt habe, wo sie mit Staat in Berührung kommt. Ihr fiel nichts ein.
Wir reden davon, wie sehr man als werdende Eltern darauf angewiesen ist, dass der Staat Dinge regelt, die die (nachbarschaftliche oder familiäre) Gemeinschaft nicht mehr leisten kann.
Wir reden davon, dass Einsamkeit oder Kinderlosigkeit, Krankheit oder Alter kein individuelles Versagen darstellen, sondern Gegebenheiten sind, die nur gesellschaftlich abgefedert werden können.
Wenn nun Staat, um auf die Frage an die Schülerin zurückzukommen, einem also als Lehrerin gegenübertritt, als Kindergärtnerin, als Altenheim, in Form von Straßen und Bildungszentren und Der Sendung mit der Maus – warum dann diese Angst vor dem Staat? Natürlich: Der Staat ist GEZ und Finanzamt und eben auch schlechtes Fernsehen und schlechte Straßen und unzuverlässige Behörden und ungerechte Lehrer.
Aber ist das Prinzip, dass eine übergeordnete Instanz Dinge leistet, die privat nicht geleistet werden können, wirklich bedrohlich? Einschnürend? Wenn Mathias Richel von öffentlich-rechtlichen Netzstrukturen spricht, droht dann im nächsten Schritt ein Bundesfacebook?
In einem Nachfolgeartikel schreibt er ein paar Fakten auf, die zu denken geben sollten:

Interface Message Processor (Washington University in St. Louis); TCP/IP -> Stanford; World Wide Web – CERN (Europäische Organisation für Kernforschung); HTML/HTTP – CERN (Europäische Organisation für Kernforschung); Browser Mosaic – National Center for Supercomputing Applications; CSS – W3C am MIT; MP3 -> Fraunhofer-Institut

Der Boden, auf dem wir gehen, ist schon staatlich. Ups. Ist die mp3 also stalinistisch, höre ich Behördenmusik, weiß der Staat automatisch, mit wem ich chatte?

Meine Nachhilfeschülerin war 18, da darf man Staat für ein abstraktes Gebilde halten, das fernab von mir brazilesk Regeln aufstellt, die niemand versteht. Aber irgendwann sollte man das Fenster aufmachen und der Wirklichkeit hallo sagen.


31
Okt 12

Ponader

Johannes Ponader, Problem-Pirat: In Blogs, die ich gerne lese, in Newsportalen, die ich weniger gerne lese, auf Facebook, das ich mal so mal so gerne lese, überall wird Johannes Ponader, Sanftling und Sandalenträger, als Verantwortlicher für die Demoskopiekrise der Piraten gesehen.
Auf Twitter wird er von Piratenvorständen beschimpft, Menschen, die ich mag, machen Würgegeräusche, wenn es um Ponader geht.

Er ist ein Sprecher mit einem Maulkorb.
Was hat der Mann getan?
Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er intern ein Arschloch, es ist denkbar, dass die Leute, die sich über ihn aufregen, mehr über ihn wissen als ich.
Ich weiß über ihn nur, was man als Fernsehzuschauer und Twitterleser so weiß.
Seitdem ich ihn das erste Mal gesehen habe, geht es mir immer gleich mit ihm. Ich möchte ihm sein verdammtes Handy aus der Hand schlagen, ich möchte ihm sagen, dass er da nicht so rumlümmeln soll. Und dann höre ich ihm zu und denke: Endlich mal ein Mensch.
Seine gewaltfreie Sprache weckt das Schlechteste in mir, bis das Schlechteste in mir mir schließlich zuraunt: Schau – hat der nicht Recht?

Hauptkritikpunkt an Ponader ist, dass er seine persönliche Nichterwerbtätigkeitssituation zum Thema mache, und damit den Piraten, die auf die arbeitende Bevölkerung als Wähler nicht verzichten wollen, Schaden zufüge.

Nun sind aber arbeitsfähige Nichterwerbler eine Tatsache. Ich kenne wunderbare Menschen, die sich kaum einen Döner leisten können, aber durchaus eine Bereicherung sind. Will man Menschen, die nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen können, aus der Politik ausschließen?

Ich verstehe den Zusammenhang zwischen seinem guten Abiturschnitt und seiner Arbeitslosigkeit nicht. Er ist intelligent und findet sich trotzdem nicht im Arbeitsleben zurecht. Wäre für viele Tätigkeiten nicht der Satz “Er ist intelligent und findet sich deshalb nicht im Arbeitsleben zurecht” genauso zutreffend?

Nicht jeder hat das Glück, tüchtig sein zu können.
Eine Gesellschaft, die frei sein möchte, sollte sich Ponaders leisten können.
Eine Partei muss sich keinen Sprecher leisten, der nicht für sie spricht. Es wäre eine Zumutung für die Piraten, von jemandem vertreten zu sein, dessen Lebensstil sie ablehnen. Aber ihn durch Mobbing wegzubekommen, das kann nicht der Weg sein. Warum kann eine Partei, die sich der Basisdemokratie verschrieben hat, kein Meinungsbild über Personalfragen bekommen?


15
Okt 12

Sind Frauen Weicheier?

Meine Frau schreibt ihre Doktorarbeit und ist schwanger. Sie ist Stipendiatin und arbeitet daher unter paradiesischen Bedingungen am Exzellenzcluster der FU Berlin. Weil sie schwanger ist, bekommt sie ein Jahr länger Geld für ihre Forschung.
Das ist ohne Frage ein Zeichen für eine fantastische Entwicklung, meine Frau hat unter diesen paradiesischen Bedingungen beinahe so gute Möglichkeiten wie ein Mann.
Warum nur beinahe? Keiner ihrer Kollegen wird jemals schwanger sein.

Die Schwangerschaft meiner Frau verläuft verhältnismäßig erträglich. Rund um die Uhr schlecht war ihr nur in den ersten Monaten und Luft bekommt sie eigentlich immer genug, es sei denn, sie bewegt sich oder redet.
Aber es gibt natürlich auch andere Schwangerschaften. Es können durch den Hormonmix Depressionen aufkommen oder Diabetes, der Blutdruck kann lebensbedrohlich ansteigen oder sich eine Autoimmunerkrankung entwickeln, Blutarmut gehört für einen großen Teil der Frauen zu den Begleitumständen.
Und so trennen sich hier für gewöhnlich die Karrierepfade von Frauen und Männern, spätestens aber mit dem zweiten Kind.
51% aller Studierenden sind weiblich, der Anteil der Frauen an der Professorenschaft beträgt dagegen gerade einmal 17%. Und bis zu 90% der Professoren haben Kinder, aber nur 5% der Professorinnen.
Doch eine Schwangerschaft ist keine Krankheit, heißt es, man kann arbeiten bis kurz vor der Geburt, heißt es, man muss sich eben durchbeißen, heißt es. Sind Frauen Weicheier?
Doch genau darum kann doch Gleichberechtigung nur gehen: Dass es nicht nur die körperlich und geistig härtesten und stärksten Frauen nach oben schaffen.
Genau wie noch den größten Waschlappen unter den Männern eine Karriere gelingen kann.
Wäre Josef Ackermann gut damit zurecht gekommen, dass ihm drei Monate lang schon übel ist, wenn er an Essen denken muss, er gleichzeitig aber immer Hunger hat?
Hat sich Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, dadurch qualifiziert, dass er Verhandlungen auch dann knallhart führen kann, wenn ihm beim Reden die Luft wegbleibt, weil seine eben noch winzige Gebärmutter auf Medizinballgröße wächst und dabei alle Organe, auch die wichtigen, einfach zur Seite drückt?

Auf einmal heult ein sonst so nüchterner Mensch los, weil die Bahn schon weg ist – könnte ein Mann mit einem hundertfach erhöhten Östrogenspiegel besser umgehen?
Musste Martin Winterkorn (VW) alle fünf Minuten auf die Toilette rennen, und hat ihm sein Chef Ferdinand Piech, der zwölf Kinder hat, dann gesagt, es sei alles nur eine Frage der Organisation?
Hat, wo wir gerade bei Piech sind, Ferdinand Piech seine zwölf Kinder eigentlich alle gesäugt?

In hunderten von Büchern und zehntausenden von Internetseiten wird Frauen gesagt, dass sie ihr Kind möglichst lange stillen müssen. Es droht Autismus, psychische Verwahrlosung, Anfälligkeit für Allergien, plötzlicher Kindstod.
Auf der Seite netmoms.de heißt es, dass durch das Säugen „das Kind die Fähigkeit erhält, lebenshungrig, durchhaltefähig, fleißig und initiativreich zu werden“. Zwar sei es besser, sein Kind mit der Flasche zu füttern, als es verhungern zu lassen, aber der Schaden, den man dem Kind zufügen könne, solle einem bewusst sein.
Wer sein Kind nicht stillt, der könnte es genauso gut einem Rudel Hyänen anvertrauen und es vorher mit Currysauce einreiben.
Wie haben sich also die deutschen Vorstände und Politheroen entschieden in dieser zur Ethikfrage aufgeblasenen Alltagsentscheidung?
Und wie lange sind sie bei ihren Kindern geblieben nach der Geburt?
Ein halbes Jahr, ein ganzes? Oder ein Leben lang?

Wenn man also stillen soll bis nichts mehr kommt, und eine Schwangerschaft einen unter Umständen für Monate lahm legt: Ist dann ein zusätzliches Jahr tatsächlich so paradiesisch?
Aber muss meine Frau auch unbedingt während ihrer Doktorarbeit schwanger werden? Und konnten nicht die Trümmerfrauen als alleinerziehende Mütter wie nebenbei ein ganzes Land aufbauen? Ist man nicht einfach selber Schuld?
Die Entscheidung, ob man ein Kind möchte oder nicht, gilt als freiwillig, weshalb man, so das nie geäußerte Argument, in einer freien Gesellschaft eben die Konsequenzen zu tragen habe.
So scheinen die meisten zu denken. Als ich für diesen Text mit meinen Bekannten darüber gesprochen habe, was der Staat tun müsste, damit sie mehr Kinder bekommen, war die Antwort häufig: „Was soll denn der Staat damit zu tun haben?“

New York City Subway Stairs from Dean Peterson on Vimeo.

Die U-Bahn-Station in der 36sten Straße in Brooklyn, New York, verfügt über eine Treppe, in der eine Stufe ein paar Zentimeter höher ist als die anderen. In einem Video des Filmemachers Dean Peterson auf dem Portal vimeo.com ist zu sehen, dass jeder U-Bahn-Nutzer an dieser Stufe stolpert. Sieht man jedoch einen Einzelnen an dieser Stufe stolpern, denkt man, er habe sich eben dämlich angestellt. Ebenso wie der Einzelne denken wird, es sei sein Fehler, dass er stolpert.

Jeder Einzelne hat in Deutschland individuelle Schwierigkeiten, ein Kind zu bekommen und großzuziehen, jeder mag sich selbst die Schuld geben. Aber die deutsche Geburtenkrise ist eine Hausgeburt. Es versagt das ganze Land, der Staat, die Gesellschaft. Manche Stufen sind einfach zu hoch. Allein durch individuelles Versagen lässt sich das rasante Schrumpfen Deutschlands schließlich nicht erklären. Bis zum Jahr 2060 wird Deutschland etwa eine DDR verloren haben, 17 Millionen Menschen. Die Weltbevölkerung jedoch wächst jedes Jahr um 80 Millionen, also um ein Deutschland.
Ich kann nicht beurteilen, ob die deutsche Entwicklung angesichts der globalen Zustände nicht ein Segen ist, mich interessiert die Zukunft auch nicht viel mehr als sie die deutschen Politiker interessiert.
Aber ich sehe die Gegenwart. Denn es gibt den demographischen Wandel eben nicht erst seit gestern – die Auswirkungen sind längst greifbar. Man muss gar nicht in die Zukunft schauen, um sich zu gruseln.
Deutschland ist jetzt schon das drittälteste Land der Welt nach Japan und Monaco, der durchschnittliche Niederländer ist drei Jahre jünger, der durchschnittliche Amerikaner sechs, der durchschnittliche Chinese sogar zehn Jahre.

Der Dramatiker Heiner Müller sagte, es habe „mit dem Lebensgefühl“ zu tun, „wenn die Geburtenrate sinkt: ein Volk, das sterben will.“ Gleichzeitig wolle das Volk „nichts abgeben. Dafür ist die Bundesrepublik exemplarisch. Man will hierzulande alles Bier trinken, und wenn man selbst kein Bier mehr trinken kann, soll es keines mehr geben.”

Es liegt ein Grauschleier über dem Land. Warum glaubt kein anderes westliches Land so wenig an die Zukunft?
In der deutschen Seele, sollte es sie geben, gäbe es gleich zwei Urverunsicherungen: den ersten und den zweiten Dreißgjährigen Krieg. 1618-1648 und 1914-1945 haben die Empfindung hinterlassen, dass das Beste, was passieren kann, ist, dass alles bleibt wie es ist.
Kann diese Sehnsucht nach Nichtveränderung so weit gehen, dass schon die Fortpflanzung zuviel des Neuen ist?
Oder klingt „Geburtenpolitik“ schon zu sehr nach nationalsozialistischem Mutterkreuz und Lebensborn? Lange galt Kinderkriegen als reaktionär, aber das scheint vorbei, Kinder sind durchaus wieder beliebt unter Jüngeren.

Wie kann es also so schwer sein, in einem der reichsten Länder nicht nur der Erde, sondern der Geschichte, die Entscheidung zu treffen, Kinder zu bekommen?
Die allermeisten meiner Bekannten sind zwischen Mitte Zwanzig und Anfang Vierzig, also im Reproduktionsalter. Einige wenige haben früh entschieden, keine Kinder bekommen zu wollen, noch weniger haben schon mit Anfang Zwanzig ein Kind bekommen, ansonsten gilt: Wer in seinen frühen Zwanzigern oder auch mit Mitte Zwanzig eine stabile Beziehung etabliert, die auch mit Dreißig noch anhält, bekommt mit diesem Partner in der Regel mit Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig ein Kind.
Bei den meisten bleibt es bei diesem einen Kind, manche bekommen noch ein zweites, zwei Familien kenne ich mit drei Kindern, ich kenne privat keinen einzigen Menschen, der vier Kinder hat.
Aber was, wenn man nicht das Glück hat, in seinen Zwanzigern eine stabile Beziehung etabliert zu haben?
Man ist dreißig, seit ein paar Monaten Single, seit ein paar Jahren oder Monaten im Beruf. Man lernt jemanden kennen. Soll man sofort Kinder bekommen? Schließlich sind es nur noch wenige Jahre, bis die natürliche Fruchtbarkeit zu sinken beginnt?
Oder soll man etwas warten, bis die Beziehung sicherer ist? Ein nervenraubendes Dilemma.
Wenn man sich aber nach drei, vier Jahren trennt ohne Kinder bekommen zu haben, dann muss der nächste Partner schon der sein, mit dem man Kinder bekommt, spätestens aber der übernächste.
Manche haben Pech und bleiben ungewollt kinderlos, manche schaffen es noch so gerade und bekommen ein Kind.
Mein Bekanntenkreis spiegelt also ziemlich genau die demographische Situation: Viele Spätgebärende, einige Kinderlose, keine Familien mit vielen Kindern.
Die Kinderlosigkeit der einen wird nicht durch Kinderreichtum von anderen ausgeglichen.

Bisher war von Geld noch gar nicht die Rede. Erste Voraussetzung für die Allermeisten ist zunächst eine stabile Beziehung. Also tatsächlich: Was soll der Staat tun? Der Staat kann schließlich nicht den passenden Partner besorgen.

Der Staat selbst weiß es besser. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung schreibt: „In der ehemaligen DDR sank das Geburtenniveau zunächst bis Mitte der 1970er Jahre ebenfalls (Anmerkung: wie in Westdeutschland) stark ab. Der danach folgende Wiederanstieg war vor allem durch familienpolitische Maßnahmen verursacht, die ein Vorziehen bzw. Nachholen von Geburten bewirkten.“

Und er kennt auch die zahlreichen Studien, aus denen hervorgeht, wie erfolgreich eine gezielt geburtenfördernde Politik sein kann.
Vielleicht passiert in Deutschland politisch ja etwas, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass man mit so geburtenschwachen Jahrgängen nie wieder Fußballweltmeister wird. Das Leben in einer überalterten Gesellschaft bedeutet bereits jetzt: Rentenmisere, Pflegenotstand und in den Albumcharts stehen für immer uralte Schlagerbarden wie die 3 Amigos.
Man sollte also meinen, dass dem Land daran gelegen ist, wieder jünger zu werden, wieder eine Zukunft zu bekommen. Aber die deutsche Politik sorgt dafür, dass die Menschen keine Kinder bekommen.

Dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung zufolge könnten in Deutschland „bis zum Jahr 2050 rein rechnerisch ungefähr 850.000 Kinder mehr zur Welt“ kommen, würden wie in Dänemark drei In-Vitro-Fertilisationen, also Reagenzglasbefruchtungen, von den Kassen erstattet. Unter der rot-grünen Regierung Schroeder wurden in Deutschland den Paaren mit Kinderwunsch die Hälfte der Kosten aufgebürdet, was im Folgejahr die Zahl der Behandlungen halbierte.
Darüber hinaus werden Kinder davor bewahrt, alte Eltern, homosexuelle Eltern, unverheiratete Eltern zu haben. Für keine dieser Gruppen steht die Fortpflanzungstechnologie zur Verfügung.
So dringend ist der Wunsch des Gesetzgebers, die Kinder davor zu schützen, dass er sie lieber gar nicht erst zur Welt kommen lässt.
Ist Nichtexistenz besser als zwei sich liebende Mamas zu haben?

Immer mehr Menschen werden alt, also gibt es immer mehr künstliche Hüftgelenke und Herzschrittmacher. Man sagt den Leuten nicht: „Na, dann benutzt eure Hüften und eure Herzen halt weniger“, man entwickelt eine medizinische Lösung.
Medizinische Hilfe für Unfruchtbare aber wird nicht nüchtern betrachtet als Notwendigkeit unserer Zeit. Soll man stattdessen eben mit 18 Kinder bekommen.

Wenn der Staat also nichts tun will, ist es Zeit für gute Ratschläge. So sagt also etwa die Spiegel-Autorin Claudia Voigt den Leserinnen, sie sollten eben einfach sehr viel früher Kinder bekommen. Wie kommt es, dass über Fortpflanzung nachgedacht wird, als würden Menschen sich durch Parthenogenese verbreiten, durch Jungfrauengeburt wie die Blattläuse?
Warum bleibt alles an den Frauen hängen?

Das Lieblingsspiel der Politik ist Teilen und Herrschen. Also wird die Bevölkerung in vermeintliche Interessengruppen aufgeteilt. Frauen gegen Männer. Heteros gegen Homosexuelle (angeblich soll schon die reine Existenz von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften auf Kosten der Familien gehen, so etwa die CDU-Abgeordnete Katherina Reiche) oder Kinderlose gegen Familien (wobei dann die vermeintlich egoistischen Kinderlosen zu einem Ablasshandel gezwungen werden sollen, man denke nur an die von jungen CDU-Abgeordneten geforderte Sonderabgabe).

Die gerade einmal 20.000 eingetragenen Lebensgemeinschaften sprengen also den Bundesetat. Sind Schwule Griechenland?
Man kann nicht die Kinderlosen als Egoisten darstellen, die den altruistischen Familien alles wegfressen. Es ist eine Maßgabe der Freiheit, sowohl die Entscheidung für Kinderlosigkeit treffen zu können als auch für eine Großfamilie. Hat aber niemand mehr viele Kinder außer ein paar Milliardären und ein paar Sozialhilfeempfängern, dann ist das eben auch ein Freiheitsproblem.
Vielleicht will ich gar nicht die Freiheit, auf der Autobahn 200 fahren zu dürfen, sondern die Freiheit, 5 Kinder aufziehen zu können?
Frauen und Männer sitzen gemeinsam in der Tinte. Seitdem es akzeptiert ist, dass Frauen arbeiten, ist es auch notwendig geworden, dass beide arbeiten – immer weniger Einzelne können noch drei Menschen ausreichend versorgen.
Kinder sind erst dann ein echtes Armutsrisiko, wenn sie in kleinen Horden auftreten (mit dem dritten Kind steigt die Gefahr, zu verarmen), weil es dann beinahe unmöglich ist, dass beide arbeiten, noch zuverlässiger treiben sie nur in die Armut, wenn der Erziehende alleine ist.
Sowohl die Entscheidung, nicht fünf Kinder zu bekommen, als auch die Entscheidung, mit der ersten Geburt zu warten, bis man sich des Partners sicherer ist, sind also vollkommen rational.
Nicht arm sein zu wollen, das ist keine egoistische Überlegung, das ist ein Menschenbedürfnis.
Wer wartet, wer nach dem zweiten Kind aufhört mit der Fortpflanzung, der spiegelt mit seiner angeblich individuellen Entscheidung einfach nur die Gegebenheiten. Jeder stolpert an der Babyschwelle.
Jahr für Jahr gebären die Frauen in Deutschland zweieinhalb Monate später zum ersten Mal. Die Angst wird größer.
Aber die Sicherheit kann nicht allein in der Liebe gefunden werden. Beziehungen können sich heute eben lösen, egal wie lange man sie testet. Mehr Sicherheit kann nur der Staat geben – nicht durch Partnervermittlung, sondern durch eine gezielte kinderfreundliche Politik.

Die amerikanische Denkfabrik RAND Corporation kam in ihrer für die Europäische Kommission erstellten Analyse „Low Fertility and Population Ageing“ zu dem Ergebnis, dass nationale Maßnahmen unter den richtigen Umständen erfolgreich sein können, das Altern der Bevölkerung und seine Konsequenzen umzukehren, aber keine Einzelmaßnahme sei ein Erfolgsgarant. Es könne indirekte Einflüsse von Maßnahmen geben, die dazu geeignet sind, auf breiter Ebene soziale und ökonomische Bedingungen zu verbessern, da aber Bevölkerungspolitik wenigstens eine Generation brauche, um sich zu bewähren, sei sie politisch unattraktiv.

Hier wird sozialer Wohnungsbau gekappt, die Lehrmittelfreiheit abgeschafft, Studiengebühren eingeführt. Es wird wirklich keine Gelegenheit ausgelassen, Kinder unbezahlbar zu machen.

In Frankreich, das wissen selbst meine Bekannten, da gibt es Krippenplätze. Und ja, das wäre schon ganz schön, wenn es die hier auch geben würde. Und nein, man versteht nicht so ganz, warum es so schwer ist, hier welche anzubieten.
Dabei ist es ganz einfach: Die Politik tut nichts für eine familienfreundliche Gesetzgebung, weil es eben zu lange dauert. Die ganzen alten Frauen und Männer, die uns regieren, sind schon lange tot und damit unwählbar, wenn die Maßnahmen greifen würden.

In Frankreich aber, da gibt es eben nicht nur Krippenplätze. Es gibt in Frankreich mehr als 30 verschiedene Maßnahmen. Bedarfsorientierte Leistungen, Steuerentlastungen, Gemeindewohnungen, günstige Hypotheken für kinderreiche Familien, verbilligte Tickets für öffentliche Verkehrsmittel, man muss nicht Zuhause bleiben, man muss nicht verheiratet sein, Krippen und Kindertagesstätten werden gefördert. Vor allem aber gibt es diese Politik bereits seit 60 Jahren, es herrscht große Einigkeit über die Notwendigkeit, die Bevölkerung kann sich darauf verlassen.

Frankreich hat natürlich keine paradiesischen Zustände. Nicht alle Maßnahmen greifen. Aber die Politik hat schon früh erkannt, dass sie Alleinerziehende und Kinderreiche nicht allein lassen darf.

Politik müsste also auch in Deutschland einige Faktoren berücksichtigen.
Die Menschen wollen nicht arm werden.
Sie wollen in ihren Entscheidungen nicht limitiert werden.
Sie wollen ihren Berufen nachgehen können.
Diese Faktoren sind natürlich eng miteinander verwoben, man kann am Ende sagen: Die Menschen können nicht all ihre Zeit auf Kinder verwenden.
Es gibt in Deutschland keine Mehrgenerationenhaushalte mehr. Das haben sich nicht die derzeitig in Deutschland lebenden Generationen aus Hedonismus einfallen lassen, Deutschland ist eben eine der ältesten Industrienationen, die Landflucht und Vereinzelung begann hier schon vor mehr als 150 Jahren (weshalb es in Deutschland auch keine bedeutenden regionalen Küchen gibt, aber das ist eine andere Geschichte).
Was also in anderen Ländern die Familie leistet, die Entlastung der Eltern durch Großeltern, Onkeln, Tanten, Cousins, Cousinen, Neffen, Nichten in Form von Mitpflege, Babysitten, Nachhilfe, durch Rat und Tat also, das leistet hier, wenn es nicht der Staat tut, niemand. Die Eltern müssen also entweder in die Lage versetzt werden, ihre Kinder irgendwo abgeben zu können, oder man muss seine Kinder mit zur Arbeit nehmen dürfen.
Glücklich die, die gesunde Eltern haben, die in derselben Stadt wohnen, die haben wenigstens ab und an jemanden, der auf das Kind aufpasst. Die anderen sind auf Krippenplätze angewiesen oder geben für Babysitter, die sie Brutto bezahlen, mehr Geld aus, als sie Netto verdienen.

Zum letzten Mal in derselben Stadt wie meine Eltern habe ich mit 20 gewohnt, meine Frau mit 19, meine Eltern sind tot, die meiner Frau geschieden, unsere Geschwister wohnen in verschiedenen Städten: Es gibt keine Verwandten, die mal eben einspringen könnten. Freunde aber, sagen die Bekannten, die Kinder haben, fragt man eher nicht. Am Ende wird Kinderarmut vererbt, wobei der Begriff verwirrend ist, denn arm sind ja die Kinderreichen.

Lassen Sie mich nun offen sprechen, als säße ich bei Markus Lanz auf der Couch: Das Aussterben der Deutschen bereitet mir keine schlaflosen Nächte. Ich pflanze mich nicht fort, um Deutschland zu retten.
Und doch bekomme ich jetzt ein Kind. Mit 38 Jahren, einige Jahre später als der Durchschnitt, werde ich nun Vater. Ich kann mir sagen lassen, ich hätte viel eher ein Kind bekommen sollen, ich kann mir sagen lassen, ich hätte nicht so einen unsicheren Beruf auswählen sollen. Aber ich bin nicht der einzige, der stolpert, was auch immer ich falsch gemacht habe.
Wer also hilft mir?

Nicht alles, was gut gemeint ist, taugt. Elterngeld? Wie soll ich als Selbständiger meine Arbeit so lange ruhen lassen? Soll ich einen Freund bitten, meine Kolumne zu übernehmen? Und 65% des Nettogehalts? Zahle ich auch nur noch 65% Miete?

Im uns anerzogenen Einzelkämpfermodus kommen wir gar nicht auf die Idee, der Staat könne irgendetwas für uns tun.
Aber Kinder dürfen nicht ein individueller Glücksfall sein, den man erleben kann, wenn die Eltern und Großeltern genug Geld haben, die Liebe groß genug ist, und man gerade zwischen zwei Jobs Zeit hat. Kinder zu bekommen muss normal werden. Ist es aber nicht. Um das wieder hinzubekommen bedarf es einer – darf man nationale Anstrengung sagen? – bedarf eines Projekts, das größer ist als der Plan, zum Mond zu fliegen. (So scheint es wenigstens, wenn man Kristina Schröder gehört hat, wie sie die Länder anbettelt, wenigstens den zusätzlichen finanziellen Bedarf für das Einrichten von Krippen an den Bund zu melden.)

Ich bin kein Politiker und muss nicht sagen, woher ich das Geld nehmen will. Offenbar sind Krippen und Kindergärtnerinnen ja ungleich teurer als Bankenrettungen. Ich kann fordern. Und gerade das wird von meiner wohlerzogenen, als egoistisch geltenden Generation zu wenig getan. Glaubt man gar nicht. Es geht den jüngeren Generationen in Deutschland so wie den Untertanen in feudalen Staaten: Sie müssen den allmächtigen Alten eine Veränderung abringen, die diese nicht wollen.
Liebe Oma, dein Enkel hat kein Geld für Kinder. Nein, tausend Euro reichen nicht.

(Der Text ist in der Berliner Zeitung erschienen)


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