Kinderstars

“Menschen, die damit protzen, George Orwells „1984“ gelesen zu haben, Menschen, die nicht müde werden, ihre Skepsis gegenüber den Medien zur Schau zu tragen und die Ursula von der Leyen als oberflächliche, als naive Ignorantin bemaulen – genau diese Menschen glauben angesichts des Todes von Michael Jackson, was die Medien ihnen vorsetzen, die Medien, die sich zumindest und zuerst der Quote verpflichtet sehen. Und die gedeiht immer gut angesichts von Bigotterie.”

Bei daily-ivy gibt es einen wirklich gelungenen Text (den Felix Schwenzel zurecht “das gegenteil von misanthrop” nennt) zur Beerdigung Michael Jacksons.
Wem beim Anblick des von Jackson selbst gezeichneten Bildes seiner Kindheit im Nachhinein etwas klamm wird, der muss keine Kerze anzünden, denn für Jackson kann man nun nichts mehr tun.

Wenn ich mich richtig erinnere, dann hat Leo Tolstoi einmal geschrieben, die Formel “Über die Toten nur Gutes” sei zutiefst heidnisch. “Über die Lebenden nur Gutes” das wäre eine echte Herausforderung (ich habe es vermutlich bereits erwähnt: ich bin an meinem Zen-Diplom gescheitert, als mir eine Sendung von Markus Lanz gezeigt wurde und ich etwas Nettes dazu sagen sollte).

Nehmen wir doch in dem Versuch, bessere Menschen zu werden, eine andere Ikone unserer Zeit, deren nackten Schoß wir so gut kennen wie unseren eigenen und über die genauso viel Schwachsinn verbreitet wurde wie über Jackson: Britney Spears.

Dieses Video, eine Collage aus Entertainment-News-Schnipseln (das Flaggschiff des deutschen Journalismus taff ist auch vertreten), zeigt uns nichts anderes als eine Menschenjagd.

Joachim Lottmann schrieb in der Jungle World zum Tode Michael Jacksons:

“Hier sah man, wie verroht die Öffentlichkeit im Medienfaschismus geworden war.
(…)
Trotzdem bestand eine unüberschreitbare Übereinkunft aller Medien, den Popstar wie den Präsidenten zu überdimensionalen Verbrechern zu machen. Das Erschreckende daran war, dass es keine einzige Gegenstimme gab. Daher auch der zweite Teil des Wortes Medienfaschismus. Wie bei den Schauprozessen unter Stalin wagte niemand, dem offiziellen Bild zu widersprechen.”

Ich halte die Boulevardmedien und die boulevardisierten Qualitätsmedien nicht für eine neue Form des Faschismus.
Eher bricht hier ein postbürgerlicher Typus des Journalisten durch, der die Pressefreiheit nur noch für eine Lizenz zum Abdrücken und Gelddrucken hält, für den die Botschaft ein Hippiebegriff ist und ein Gedanke Platzverschwendung.

Wenn Lottmann fortfährt “Die Wahrheit war: Jackson war ein armes Schwein und ein Genie, keinesfalls aber kriminell. Kriminell waren die Eltern, die ihre Kinder zwangen, den Popstar falsch zu beschuldigen und ihm damit Geld abzupressen”, dann zeigt sich hier der rührende Versuch, auf dem Boden eines Ozeans aus Fäkalien eine Schatztruhe mit Wahrheit zu erhalten.

Und auch der oben verlinkte Text auf daily-ivy.de ist vom Wunsch dieser Wahrheitssuche durchdrungen.
Dabei ist es anders: Celebrity-News führen uns in eine Scheinwelt, hinter der nicht etwa eine für uns erkennbare Welt verborgen ist, sondern allein die Botschaft: Privat.

Am Ende geht es die Welt nichts an, ob ein Popstar Kinder missbraucht oder Drogen nimmt.
Wir müssten bereit sein, uns damit abfinden, nichts zu wissen über die, die für uns singen und Filme drehen.
Wer nun sagt, das sei doch unrealistisch, dem kann ich nur antworten: Wir wissen doch schon nichts.

11 comments

  1. Ist das so einfach, dass es die Welt nichts angeht? Ich neige dieser Einschätzung grundsätzlich auch zu, aber gilt das dann auch für Politiker? Für Unternehmer? Für Richter?
    Und für welche Arten verwerflichen Verhaltens gilt es, gibt es da eine Grenze? Ginge es die Welt nichts an, wenn Jon Stewart heimlich Mitglied im Cu Clux Clan wäre? Wenn Angela Merkel Drogen nähme? Herbert Grönemeyer zur NPD gehörte?
    Ich weiß nicht, ob das so einfach ist.

  2. @Muriel

    Malte hat doch recht. Wir wissen nichts. Alles was uns berichtet wird läuft durch den Filter von Meinungsmache, Auflagentreiberei. Interessenwirrwar und Informationsverhinderung.

    Wir wissen nichts. Wir wissen was wir aus dritter, vierter und fünfter Hand berichtet bekommen und wir glauben das weil wir es nicht besser wissen. Aber wir wissen nichts. Nie. Und werden es auch nie wissen können.

  3. weltherrscher

    unterschreib.

  4. @Mela: Ja na gut. Aber unter der Prämisse kann ich dann überhaupt jede Art von Journalismus für überflüssig erklären, weil wir es ja nie wirklich wissen können und immer nur mittelbar berichtet bekommen. Dann geht es die Welt auch nichts an, dass Iraner protestieren und dass die iranische Regierung das zu unterdrücken versucht.

  5. Mit der Frage, ob man den Künstler von seiner Kunst trennen kann und sollte, beschäftigt sich auch John Niven für den britischen “Independent” hier, wenn auch aus einem anderen (und meiner Ansicht nach recht schmierigen) Blickwinkel:
    “I am very familiar with the argument of separating the art from the artist – Philip Larkin was a compulsive masturbator with racist views who loved pornography. The poems were magisterial. Wagner was a boiling anti-Semite. The music is timeless. Now, having racist views, masturbating to pornography, I can guarantee that everyone reading this paper has had some contact with practitioners of these dark arts. I would not venture that everyone is on handshake terms with people who get little boys drunk and then try to abuse them – I’m afraid I can’t embrace the good tunes and overlook the “troubling stuff” and the “attendant problems” just yet.”

  6. Mich erinnert diese Kinderstardebatte an eine meiner top-ten Lieblingsfilmszenen aus dem Film Magnolia. (Lieblingsfilme gibts ja nicht mehr, nur noch Lieblingsfilmszenen).
    http://www.youtube.com/watch?v=-yo9kVB7mR8&feature=related

  7. Die Erklaerung

    Medien berichten nur über Dinge, die die Menschen interessieren. Paparazzis verdienen auch nur, weil sich mit ihren Aufnahmen Auflage und Quote erhöhen. Boulevardmedien geben den Menschen, was sie wollen. Jedenfalls das, was viele wollen. Da liegt das eigentliche Problem.

  8. “Aber wer mit dem Fahrstuhl nach oben…” – Halt die Fresse, Kai!

  9. Wir wissen doch schon nichts.

    Du willst mir aber nicht sagen, dass es dir nicht manchmal auch Spaß macht, das zu ignorieren und wenigstens so zu tun als ob man was wüsste, oder?

  10. De Medien richten heutzutage nicht mehr nur Stars hin, die ja auch schon mal von der medialen Aufmerksamkeit profitieren, sondern auch Privatpersonen, die zufällig Opfer eines Verbrechens werden. Und sogar da ist es schwierig, Leute zu finden, die dann nicht in den allgemeinen Tenor der Verurteilung einstimmen. Erinnert sich noch jemand an Susanne Osthoff?
    Es fasziniert mich tatsächlich wie sogar intelligente Menschen of völlig kritiklos glauben, was ihnen in den Medien so vorgesetzt wird.

  11. Leider lassen sich so Viele nur zu gerne in den medialen Strom ziehen, fühlen sich entlastet indem sie auf einer derartigen Ebene nahezu ungestraft mit ihrem Finger auf Andere zeigen und lieber diese belasten.
    Und doch : Wer würde sich über einen Richter freuen der sich vor einer Verurteilung ein einseitiges Meinungsbild verschafft? Wohl kaum Einer und doch trotten Viele wie die Schafe zu Schlachtbank der Einseitigkeit hinterher

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