Drogenführer Teil II: Alkohol

Teil I

Alkohol macht dick, dumm und fleißig. Oder anders gesagt: Es gibt Tätigkeiten, die man ganz offensichtlich nur unter Alkoholeinfluss ausüben kann. Unter ungelernten Arbeitern, Freiberuflern, Selbständigen und Unternehmern ist älteren Untersuchungen zufolge der Anteil der Alkoholiker am höchsten. Für Frauen kamen die Studien zu einem besonders überraschenden Ergebnis: Dort gab es die meisten Alkoholikerinnen in den höchsten sozialen Schichten. Sowohl Unter- als auch Überforderung scheinen also zum Alkoholismus beizutragen.

Letzteres ist mir bei Juristen häufig begegnet: „Work hard, party hard“. Viele gestresste Menschen neigen zu diesem Fehler: Anstatt sich nach einem anstrengenden Tag zu schonen, wird gesoffen. Was ja eben – anders als es subjektiv wirkt – nicht neue Energien freisetzt, sondern nur noch mehr ermüdet.
Wenn nun auf den zunehmenden Alkohol-Konsum von Jugendlichen mit immer wieder neuen Verboten reagiert werden soll – vom Trinkverbot in Innenstädten bis zum Verbot bestimmter Getränke, die angeblich besonders auf Jugendliche abzielen – dann wäre es unter Umständen klüger, sich zu fragen, warum gerade jetzt so viel getrunken wird.

Könnte es sein, dass die Umstellung auf das Abitur nach 12 Jahren und die schiere Angst, den Anforderungen nicht mehr zu genügen, mehr mit Alkoholismus unter Jugendlichen zu tun haben als Alkopops?

Trotz all der Gefahren ist Alkohol fester Bestandteil unserer Gesellschaft und somit die einzige Rausch-Droge, die nicht allein wegen ihrer Rauschwirkung konsumiert wird.
Es wundert mich zwar, weil mir Bier ungefähr so gut schmeckt wie gegorene Katzenpisse, aber doch werden viele ihr Feierabendbier nicht in erster Linie trinken, um betrunken zu werden.

Gerade weil der Alkohol als Genussmittel anerkannt ist, klafft das Konsumverhalten hier so weit auseinander wie bei keiner anderen Droge. Den Weinkenner und den Fuselsäufer verbindet nichts und sie suchen im Alkohol auch etwas vollkommen Verschiedenes.

Der süchtigste Alkoholiker, den ich je kennengelernt habe (er hatte sich blind gesoffen – nicht bildlich blind: richtig richtig blind), lebte in einer Klinik für Untherapierbare, in der er Bier trinken konnte. In seinem Stadium war es nicht mehr möglich, einen Total-Entzug durchzuziehen, das Risiko war zu groß. Überhaupt sterben gar nicht so wenige Menschen während des Alkohol-Entzugs. Läuft ein Entzug gut, ist die Entgiftung nach 3 bis 14 Tagen überstanden. Danach beginnt eine therapiegestützte Entwöhnungszeit. Und schließlich muss man damit fertig werden, jedes Mal „nein“ zu sagen, wenn auf etwas angestoßen werden soll. Ein Leben lang (noch schwören die meisten Selbsthilfegruppen auf vollkommene Abstinenz, seit einigen Jahren gibt es auch Versuche mit dem sogenannten „kontrollierten Trinken“).

Alkohol ist eine Gesellschafts- und Geselligkeitsdroge, die allein in Deutschland einige Millionen Menschen schnurstracks rauswirft aus der Gesellschaft (und ebenso aus der Geselligkeit). Die Wirkung dieser Droge ist massiv persönlichkeitsverändernd, sie schränkt die Denkleistung ein und lässt Menschenmassen DJ-Ötzi-CDs kaufen.

Erstaunlich schnell kann man sich totsaufen. Ich weiß nicht, wie exakt die verschiedenen Online-Promille-Rechner sind, aber diesem hier zufolge, hat man mit zwei Litern Wein und drei Litern Bier schon über vier Promille im Blut (als Mann mit 180 cm Körpergröße und einem Gewicht von 80 Kilo). Das ist ungefähr der Bereich der tödlichen Dosis. Es sind also durchaus nicht nur Gewohnheitstrinker gefährdet, sondern auch Erstkonsumenten (wenn sie es denn schaffen, so viel zu trinken).

Dennoch wird ein Alkohol-Verbot nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Zu deutlich sind bis heute die Folgen der Alkohol-Prohibition in den USA präsent. Der Konsum stieg entgegen den Erwartungen an, Menschen, die zuvor Wein oder Bier getrunken hatten, tranken nun schwarzgebrannte Schnäpse von niedrigster Qualität, die Gefängnisse waren überfüllt, die Gerichte überfordert, die organisierte Kriminalität machte Gewinne wie nie zuvor, der Staat verlor die Steuereinnahmen, die Menschen wandten sich darüber hinaus Ersatz-Drogen wie Cannabis, Kokain, Opium oder verschreibungspflichtigen Medikamenten zu. Einen messbaren gesundheitspolitischen Erfolg, eine Erhöhung der Zahl der Abstinenzler, gab es nicht.

Es drängt mich, auch einmal etwas Positives zu sagen: Alkohol hat vermutlich mehr Menschen zusammengebracht als die katholische Kirche. Man kann den Anteil der Paare, die sich betrunken kennengelernt haben, nur schätzen, aber ich lehne mich nicht zuweit aus dem Fenster, wenn ich sage: Ohne Alkohol wären viele ländliche Gebiete Deutschlands menschenleer.

Und so lässt sich am gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol festmachen, wie auch mit anderen Drogen umzugehen ist (trotz all der Risiken, die eine Droge eben in sich birgt): Hilfe für die, die nicht mir ihr zurecht kommen, nachvollziehbare Regeln für den Umgang im Straßenverkehr und in der Arbeitswelt und vor allem: Ungeschriebene Regeln, die sich im Lauf der Zeit für den Umgang entwickelt haben.
Nicht morgens trinken.
Nicht jeden Tag trinken.
Nicht alleine betrinken.
Nicht heimlich trinken (Wer seinen Konsum verheimlicht: sofort zum Arzt!).
Nicht trinken, um etwas zu verdrängen (Diese Regel hat sich nicht etabliert, im Gegenteil wird regelmäßig dazu geraten, genau das zu tun, aber die Regel Nummer 1 für Drogenkonsum sollte lauten: Mach es in einer Lebenssituation, in der es dir gut geht. Saufen, wenn du dein Examen bestanden hast: Super. Saufen, weil das Hartz-IV-Geld schon am 20. verbraucht ist/weil du dich langweilst/weil du überfordert bist: Lass es sein).
Nicht trinken, wenn man noch nicht in der Lage ist, Verantwortung für sich selbst zu tragen. Wenn deine Eltern dich noch zur Schule fahren: Trink Milch, das macht groß (und vielleicht Krebs, aber das ist eine andere Geschichte).

Diese Regeln sind (bis auf die letzten beiden) gut etabliert und haben dazu geführt, dass eine harte Droge wie Alkohol eine tief in der Gesellschaft verwurzelte Industrie hervorgebracht hat anstelle von Mafia-Kartellen. Dass sie (für die Mehrheit der Konsumenten) handhabbar geworden ist und wir ihre Vorzüge genießen können. Alkohol ist ein soziales Schmiermittel, ohne das Parties nur bedrohliche Ansammlungen von Menschen wären, die sich ernsthaft mit einem unterhalten wollen.

Angesichts der vielen Unglücklichen, die an den Folgen ihres Alkoholismus leiden, muss man sich natürlich fragen: Wäre eine Welt ohne Alkohol nicht besser? Nun: Wie will man 1000 Menschen, die Spaß an etwas haben, aufrechnen gegen einen, der daran krepiert? Es bleibt mir nur, diese Frage Philosophen zu überlassen, ich kann nur darauf verweisen, dass wir nun einmal keine Welt ohne Alkohol haben.

Der Grund dafür, dass ausgerechnet Alkohol legal ist, ist also nicht in seiner vermeintlichen Harmlosigkeit zu finden.
Wir haben eine Tradition des Umgangs entwickelt und wir wissen, dass den Problemen, die er verursacht, durch Strafverfolgung nicht beizukommen ist. Es wäre nur folgerichtig, mit anderen Stoffen ebenso umzugehen. Was nicht bedeutet, dass die Nationalmannschaft in 10 Jahren für Kokain werben wird oder soll (sie sollte es auch nicht für Alkohol tun). Und auch nicht (wie ein Kommentator meinte), dass man sich Heroin im Supermarkt besorgt.

Nur eben, dass man all das, was die Sucht noch unerträglicher macht, die Beschaffungskriminalität, den Verfolgungsdruck und den Konsum minderwertigen Drecks beendet und der organisierten Kriminalität das Wasser abgräbt.
Der Horror der Sucht bleibt ja sowieso.

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