Surreal, aber schön

Sie fühlte sich an wie ein kleines, weiches Tier, irgendwo zwischen Karthäuserkatze und Babybobtail, und sie benahm sich auch so. Klar war sie weich und tiefenentspannt, ihr Leben war schließlich ein einziger Urlaub. Die tolle Haut und die gute Laune, die man hatte, wenn man zwei Wochen auf Mallorca war, jeden Tag im Meer badete, sich mit Drogeriemarktsonnencreme eincremte und viel döste, die MUSSTE sie ja ungefähr mal Tausend haben. Jimo hatte mal Bikinifotos von ihr gesehen und nicht verstanden, warum sie dauernd fotografiert wird, sie war keine Bombe. Wenn man sie neben Tyra Banks, Claudia Schiffer oder sonst so einer Promigranate ablichtete, sah sie bloß aus wie ein mageres Kind, das zufällig danebenstand, bis auf das Scheinwerferlächeln, das sie dann immer anknipste, das sah eher aus wie Roy and Black, ach nee, wie hießen die? Siegfried und Roy.

Aber live war sie irgendwie recht – na, irgendwie niedlich. Sie puderte ihn, es musste irgendeinen Grund geben, dass sie ihn zu ihrem Püppchen erkoren hatte, vielleicht gab es aber auch keinen. Jimo trank noch einen Schluck Aldi-Sekt, der in Wirklichkeit bestimmt Zigtausendeuro-Champagner war, aber – das schmeckte er mit seiner unkorrumpierbaren Zunge – auch dabei handelte es sich bloß um Plörre mit Sprudel. Moment. Sie puderte ihn? Mittlerweile schon. Zuerst hatte sie sanft mit einem Strohhalm über sein Gesicht gepustet. Das sei am besten gegen Hautunreinheiten, hatte sie gesagt, kann aber auch sein, dass er sie falsch verstanden hatte, sein Englisch war nicht so gut. Vor allem konnte er nicht witzig sein auf Englisch, dabei war witzig sein sonst immer seine Stärke. „Fille rit, fille lit“, hatte die francophile Theresa gesagt, das Mädchen lacht, das Mädchen liegt. Weil er sie nun nicht zum Lachen bringen konnte, lachte er halt einfach die ganze Zeit, es war aber auch zu komisch, was sie da machte. Seit er angefangen hatte, sie zu streicheln, schnurrte sie. Sie war die ganze Zeit in Bewegung, normalerweise dauerte es ewig, bis er eine Frau zum ersten Mal berührte, aber bei ihr war es ganz selbstverständlich gewesen, sie zu streicheln. Babybobtail halt.
Ihr ganzer Körper war von hellblondem Flaum bedeckt, der sich aufstellte, wenn er ihn gegen den Strich streichelte, ihre bestimmt sagenhaft teure Frisur kitzelte in seiner Nase, wenn sie sich vorbeugte und insgesamt war es beinahe, als sei sie nackt. Er fühlte sich auch nackt, so gut gelaunt war er sonst eigentlich nur nach dem Sex.
Er wollte erst gar nicht mit. Berlinale-Partys waren die Hölle, alle wollten immer nur Kontakte und wieselten umher, wenn irgendwo ein Superregisseur oder ein Großagent auftauchte, die einzigen Hübschen waren immer die Kellnerinnen mit den sorgfältig drapierten Amuse-Gueules, aber die wieselten noch mehr herum als die Schauspieler.
Er hatte sich recht geschickt eine Flasche Gin gesichert, vergebens nach Tonic gesucht und dann einfach so getrunken. Eine riesige Menschenwelle hatte ihn an zwei monströsen Securitytypen vorbei in den VIPVIPVIP-Bereich gespült und dann saß er zum ersten Mal in seinem Leben neben einer globalen Ikone. Milliardenerbin, It-girl, Fashiondarling, Lagerfeldinspirateuse, Trendgesicht, 18,5 Millionen Google-Treffer, angebliche Affären mit Vampirdarstellern, Rockstars und das mit gerade mal 18.
Huch? 18? Er versuchte sie zu fixieren, aber seine Augen ließen sich nicht scharfstellen.
„Say Ìmbeartotjn´again!“, bat sie ihn und er sagte brav zum zehnten Mal „Himbeertörtchen“ und sie schüttelte sich vor Lachen, quietschte „I smell like Imbeartojn!“ und dann wurde sie ganz ruhig, war ganz nah an seinem Gesicht und er bemerkte, dass er eine ziemliche Erektion hatte.

An dieser Stelle muss ich für die Sensationslüsternsten unter den Lesern in aller Deutlichkeit sagen: Es handelte sich bei dem Mädchen nicht um Paris Hilton, das Mädchen war viel reicher geboren und hat viel bessere Anwälte, weshalb ich im Folgenden davon ausgehen werde, dass die Fröhlichkeit der beiden allein auf die gute Musik und vielleicht ein Gläschen Champagner zurückzuführen war.

Es widersprach jeder Logik, dass sie allein hier saß, solche Leute, das wusste er aus Entourage, hatten doch immer, eben: eine Entourage. Wo war ihr bester schwuler Freund, ihre Nagelassistentin, ihre Fooddesignerin, ihr Partyberater? Und all die pretty und amazing People? Hier war nur er und jetzt fiel ihm ein, wie sehr er das an Notting Hill gehasst hatte: Dass da ein Hollywoodsuperstar, Julia Roberts sozusagen als Julia Roberts, einfach so durch London tapert und dann auch noch behauptet, sie sei „just a girl, standing in front of a boy, asking him to love her“. „Just a girl“ my ass. Das hier war jedenfalls nicht einfach bloß ein Mädchen. Es war ja, selbst wenn man bloß normale Promis sah, immer schon dieses seltsame Gefühl dabei, man kenne sie. Einmal hatte er Norbert Blüm gegrüßt, als der ihm entgegenspaziert war, und Nobbi hatte fröhlich zurückgegrüßt. Bei ihr war das natürlich viel extremer, es war nicht nur völlig unnatürlich, sie zu sehen, es war komplett irre, sie im Arm zu halten und, woah!, er hatte anscheinend angefangen sie zu fingern. Er straffte sich, fuhr sich durchs Haar und dann steckte er sich einen Eiswürfel in den Mund.
Nun stand sie auf einmal, redete mit einer PR-Frau/Haarkurwissenschaftlerin und dann sagte sie etwas von Bathroom und verschwand.

Wenn er mit ihr gleich vor die Tür ginge und die 500 Fotografen sie ablichten würden, dann wäre er spätestens morgen früh auf jedem Promiblog der Welt zu sehen. Das könnte seinem neuen Buch einen ganz schönen Boost verleihen. Her new Boy Toy – a german writer! War nicht Marylin Monroe auch mal mit diesem Dings zusammen gewesen? Er würde bei Markus Lanz sitzen und lässig eben NICHT sein Buch in die Kamera halten, weil das ja sowieso schon jeder hätte. Man müsse nämlich eigentlich, so hatte ihm sein Agent einmal gesagt, an die Leser ran, die nicht lesen.
Das sollte dann ja kein Problem mehr sein.

Etwas grub sich in seine Schulter, vermutlich ein Schaufelradbagger, er schaute hoch und sah weit über ihm das unfreundliche Gesicht eines der Securitymonster. „Wo ist deine Karte?“, fragte er. „Die musst du immer um den Hals tragen.“ Er sagte, er warte hier bloß auf sie und das Monster zog ihn hoch, maulte, er warte auch bloß auf den verschissenen Kaiser von China und beförderte ihn dann mit dem Kinn voran über die Trennseile. „Kannst froh sein, dass ich nicht die Bullen rufe“, schrie ihm das Monster noch hinterher, dann verschluckte ihn wieder die Menschenwelle.

Ihren Namen zu rufen hatte keinen Sinn, es war viel zu laut, außerdem war das eine Fotografentechnik: erst Namen rufen, dann abschießen. Da hatte sie sich doch sicher abgewöhnt, auf ihren Namen zu hören. Seine Nase und sein linker kleiner Finger schmerzten, der Typ hatte ihn wirklich wie einen Müllsack in die Menge geschmissen und die Menge war zu sehr Menge, als dass sie aus dem Weg hätte gehen können.
Jean Paul Gaultier soll mal zu einem seiner Models gesagt haben: „Ich würde mich auch so bescheuert benehmen wie du, wenn ich eine Axtwunde zwischen den Beinen hätte.“ Um herauszufinden, ob Gaultier das wohl wirklich gesagt hatte, hatte er „Gaultier“ und „Axtwunde“ gegoogelt. Dann war er in einem Medizinforum gelandet, in dem einer schrieb: „Eine Axtwunde ist ein bedrohliches Ereignis, Gestank nicht.“ Er wusste auch nicht, warum er jetzt daran dachte.
Er wollte da jetzt wieder hin, er wollte unbedingt prüfen, ob die Stelle über ihrem Po wirklich so weich war. Er roch an seiner Hand, sie roch tatsächlich nach Himbeertörtchen. Er könnte ja den Webmaster ihrer größten Fanhomepage nach ihrer Telefonnummer fragen. Da ihm überhaupt nichts einfiel, was er hätte tun können, musste er jetzt unbedingt was tun. Er kämpfte sich hektisch Richtung Toiletten, was nur sehr langsam ging. Es konnte doch hier keine Extratoiletten für VIPs geben, oder? Während er sich durchkämpfte, fiel ihm auf, wie scheiße er war.
Er wollte dieses Mädchen nur ausnutzen, genau wie alle anderen. Er war wie dieser schmierige Typ, der ein Handyvideo von ihr an die Presse verschachert hatte. Armes Mädchen. Er verharrte einen Moment, die Menschen stießen ihn an, er presste die Innenseiten seiner Hände gegen die Stirn. Eine Kellnerin kam vorbei und er fragte, ob sie sie gesehen hätte. Die Kellnerin deutete stumm auf den UltraVIP-Bereich. „Wann?“, schrie er und sie zog die Unterlippe nach oben, simultan mit den Schultern. Dabei rutschte ihr ein Sektglas vom Tablett und sie sagte: „Vielen Dank auch.“ Endlich sah er das Toilettenschild, er hatte mittlerweile ein Love-Parade-Gefühl, der Kopf eines kleinen fetten Mädchens bohrte sich in seinen Solarplexus und er musste sich zusammenreißen, ihr nicht auf die alberne Mitte-Frisur zu kotzen. Vor kaum acht Minuten war alles besser gewesen. Er fragte sich, was Adam und Eva wohl acht Minuten nach der Vertreibung aus dem Garten Eden so gemacht hatten. „Erst mal eine rauchen?“, hatte Adam vielleicht gefragt und Eva wird wohl geantwortet haben „Du hast wohl nicht zugehört, mal wieder, hier ist nichts mit Joints, die sich von selber drehen, hier ist alles Ìm Schweiße deines Angesichts´und so, hier gibt´s nicht mal Tabak. Und Blättchen wirst du ja wohl nicht erfinden, wir können froh sein, wenn wir einen Steinbock finden, der doof genug ist, sich von dir jagen zu lassen!“ „Was meinst du mit jagen?“, hatte Adam dann gefragt und dann hatte Eva sich auf den Boden gesetzt und geweint. Das war dann wohl der Beginn der Geschlechtertrennung, dachte Jimo: Die Frau weint, der Mann steht sinnlos daneben und rupft dann ein Unkraut aus dem Boden, sie schaut irritiert und sucht eine Vase. Aber: siehe oben. Gibt keine Vasen und los geht‘s von vorne.
Das fette Mädchen drehte sich um und raunzte, er solle nicht so drängeln. Er erkannte sie, sie spielte in einer Soap ein fettes Mädchen, das nie einen Freund hat und fast hätte er sie gefragt, wie eigentlich die Rollenbeschreibung da so aussehen, also: Sagen die beim Casting, dass sie jemand echt hässlichen brauchen? Stattdessen entschloss er sich, jetzt richtig gewalttätig zu werden, er drängelte sich wie ein Notarzt an den ganzen Frauen vorbei auf die Damentoilette, schrie ihren Namen, er war jetzt Stallone am Ende von Rocky I oder Crocodile Dundee, nein doch eher Stallone, bestimmt sah er längst auch halbseitig gelähmt aus. Er schrie weiter ihren Namen und dann fing er an, an den Toilettentüren zu rütteln. Er stöberte einen kackenden Mann und zwei fickende Schwule auf und da merkte er, dass er auf der Herrentoilette war, die Frauen hatten nur die Trennung aufgehoben, weil einem alten Gesetz folgend Frauen mehr Platz brauchen beim Scheißen und deshalb auf großen Parties die Herrentoilette mitbe…

Er lehnte sich an die Wand, ganz langsam wurden seine Knie weich, er rutschte wie durch ein Schaumbad zu Boden. Es war vorbei.
Auf einmal hockte sich das Universum auf seine Brust. Das Universum war ziemlich schwer, es sah auch eher dümmlich aus, aber es sagte etwas Schlaues: „Ich habe dich gefickt, Jimo. Und ich werde dich immer ficken. Denn wenn ich gerade etwas Zeit habe, dann ficke ich das Leben von Leuten, die mir auf den Sack gehen. Versuchs gar nicht erst; Jimo, lass es sein. Ich bin einfach unendlich viel gemeiner als du.“ Vielleicht weinte Jimo im Schlaf.

Schon wieder grub sich etwas in seine Schultern, der Schaufelradbagger von vorhin. Jimo öffnete die Augen und blickte in das strahlende Gesicht des Monsters. „Ey Alter, gut, dass ich dich finde“, sagte das Monster, drehte den Kopf und rief: „That‘s him!“ Die Presse/Haar-Tussi kam aufgeregt angelaufen, wischte an seinem Kragen herum und zischte das Monster an, dass sie jetzt vielleicht beide ihre Jobs behalten könnten, wenn er jetzt kräftig Jimos Arsch küssen würde.
Plötzlich verstand Jimo verdammt gut Englisch, er richtete sich auf, sagte zur Entouragefrau, dass schon alles ok sei, zum Monster, es habe ja nur seinen Job gemacht und dann schleppten die beiden ihn zurück zu ihr. In seinem Kopf lief dabei, kein Witz „Lift us up where we belong“.

Sie sagte kein Wort, nahm ihn sehr ernst bei der Hand, dann wurden sie herausbegleitet, sie liefen durch einen Tunnel, keine Fotografen weit und breit, dann brachte sie ein Renault Clio (!) zum Hotel. Jetzt waren sie allein, aber so hatte es sich die ganze Zeit schon angefühlt.

Es war wahrscheinlich seine an europäischen Vaginen trainierte Kultur des am Orgasmus der Frau interessierten Geschlechtsverkehrs, die sie endgültig für ihn einnahm, wenigstens dachte er das am nächsten Morgen. Viel wahrscheinlicher ist, dass es etwas ganz anderes war. Sie war nicht 18, sondern schon 25, so genau hatte er da wohl nicht aufgepasst, sie war erstaunlich klug, was aber auch nicht so erstaunlich war, schließlich hatte sie Original-Harvard-Professoren als Privatlehrer gehabt und die schönste Eigenschaft, die sie hatte: sie lachte über seine Witze, die auf Englisch wahnsinnig umständlich waren.
Sein Buch wurde ein Ladenhüter wie alle anderen, sein Name tauchte niemals auf einem Promiblog auf, er zog zu ihr nach Kalifornien, versuchte immer mal wieder, nicht daran zu denken, dass sie mehr Geld auf dem Konto hatte als alle Einwohner Berlins zusammen, aber so wichtig war das auch nicht. Er wurde so eine Art Hausmann, was, wenn man es sich recht überlegte, nicht ganz das war, was er sich vorgestellt hatte, aber was man sich so vorstellt, das passiert ja eh nie. Er war bloß ein Junge, der vor einem Mädchen steht und von ihm geliebt werden will. Und das tat sie, er fragte sich kaum noch, warum wohl.

Heute um 18:30 Uhr Lesung mit Holger Klein
Berliner Verlag, Karl-Liebknecht-Straße 29, 10178 Berlin

5 comments

  1. Wir diskutieren gegenwärtig eine Passage deines Textes und finden keinen Konsens.

    “Es war wahrscheinlich seine an europäischen Vaginen trainierte Kultur des am Orgasmus der Frau interessierten Geschlechtsverkehrs, die sie endgültig für ihn einnahm, wenigstens dachte er das am nächsten Morgen.”

    These: er (Jimo) meint tatsächlich, daß er sich in sie verliebt hat, weil sie seine Art zu ficken ungewöhnlich fand.

    Mit der Bitte um Verifikation.

  2. hach :)

    Sehr schöner Text. Steht sowas in deinem Buch? Dann bin ich gleich unterwegs zur Buchhandlung :)

  3. nicht unbedingt verliebte, aber doch für ihn einnahm. er liegt in einem luxushotel neben einer der bekanntesten frauen der welt und braucht eine erklärung dafür.

  4. @dominik
    da stehen schon geschichten drin, ja

  5. Sehr guter Text!
    Und Marylin Monroe, die hatte doch mal was mit diesem wie hiess der doch gleich… ;)

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