Gestern sagte ich zu meiner Lieblingslektorin, Vaginen seien an Frauen verschwendet.
“Hätte ich eine Vagina, ich würde mich unter jeder Straßenlaterne vögeln lassen von jedem halbattraktiven Seemann, Steuerberater oder Sanitäter.”
“Würdest du nicht”, sagte meine Lieblingslektorin, “du wärst dann schließlich eine Frau.”
13
Aug 09
Das mit dem Geschlecht
12
Aug 09
Angela Merkel: Hart zögern!
Hat gestern jemand den kuscheligen Wahlwerbespot mit Angela Merkel im ZDF gesehen? Eine dreiviertel Stunde lang menschelte es, bis man sich wunderte, dass man nicht Merkels Kuscheltiersammlung gezeigt bekam.
Ach? Das war gar keine Wahlwerbung?
Das war – Journalismus?
So richtig mit Auchmalkritischsein und nachfragen? Und überprüfen, was Merkel eigentlich so gemacht hat, als sie die Krise so irrisinnig erfolgreich managte, dass die New York Times schrieb:
“With national elections two months away, German Chancellor Angela Merkel has tiptoed around the hard choices needed to recapitalize and restructure the banking system, experts and analysts said. The end result, they fear, will be a longer recession in Germany, where the economy is expected to shrink by at least 6 percent this year, and Germany’s export-driven economy may lose out when the rest of the world gets back to business.”
Na, nicht diese Art Journalismus. Eher so kernerig halt mit einer Prise Gemütlichkeit und Augenaufschlag.
Den kritischen Journalismus muss in Deutschland der politische Gegner machen:
12
Aug 09
Der rechtsfreie Raum
Im Blogblick der Netzeitung geht es um den aktuellen Spiegel-Titel und das rechtsfreie Netz.
Der Vater meines Klassenkameraden Jörg Röder hatte hunderte von Videocassetten in einem Eichenschrank, alle Filme aus dem Fernsehen aufgenommen oder kopiert von einer Leihcassette. Eine Bekannte von mir hat auf Facebook ein paar Dutzend copyrightgeschützte Bilder in einem Fotoalbum. War der Eichenschrank der Familie Röder ein Ort, an dem Künstlerseelen geschändet wurden, wo Filmproduzenten verhungerten?
Ach was, kein Mensch hat sich für diesen Schrank interessiert, hier: Poltergeist – ich hab mich eingenässt.
Und wo ist nun der Unterschied zwischen dem Schrank und der Facebookseite?
Der Unterschied ist, dass unterdessen alle verrückt geworden sind.
Denn es werden weniger CDs verkauft. Weniger als wann? Weniger als zu dem Zeitpunkt, als die Musikindustrie jedes Album digitalisiert und noch einmal verkauft hat. Und dann hat die Musikindustrie jedes Album noch einmal neu zusammengestellt und Sondereditionen herausgebracht und Extra-Compilationen und Best-Ofs und Nowreallybestofs und NowIfuckingswearthisISthebestofs. Die Albumcharts wurden von Abba und den Dire Straits und Pink Floyd dominiert und das war 20 Jahre, nachdem diese Alben gut und neu waren.
An Neuem gab es Blümchen und La Bouche und DJ IchhabdoofesHaar, die etwas weniger als gedacht dazu geeignet waren, Menschen über 12 mit Ohren dauerhaft an sie zu binden.
Und nun werden also weniger CDs verkauft als in diesem Goldenen Zeitalter des Teenager-Beraubens. Stattdessen verdient die Industrie eine Fantastilliarde mit Lizenzen für Guitar Hero, Karaoke-Spiele und Klingeltöne. Arme Industrie. Und ja, vielleicht ist etwas weniger Geld in dem Markt, weil Kinder heute lieber die Playstation 4 für 40000 alte Euro kaufen als auf eine neue Rolling Stones-Best-Of zu sparen, die sie nicht mal ihrem besten Freund brennen dürfen, ohne dass gleich ein Rollkommando des Geldschutzes ihr Zimmer stürmt.
Aber Schuld ist das Netz.
Wenn man bei isohunt einen neuen Kinofilm sucht und ihn nicht findet, dann kann man sicher sein, dass er ein Flop ist. Nur Hits werden verbreitet. Die paar Tausend Leecher von Transformers 2, die ungeheure Verbreitung des letzten Batman – wem haben sie geschadet? Waren nicht beide Filme ungeheure finanzielle Erfolge?
Ah, es darf ein bisschen mehr sein? Etwa so wie bei deutschen Filmen? Die sind wesentlich schwerer zu bekommen und müssten folgerichtig ja im Moment boomen wie nichts Gutes. Steht der kleine deutsche Kunstfilm besser da als je zuvor, weil die gierig saugenden Bastarde den Hollywoodproduzenten Schaden zufügen und die Zuschauer ihr Geld an die Kinokasse tragen, wenn sie einen Film im Netz nicht bekommen können?
Sehr witzig.
Gott im Himmel, wäre das Netz bloß ein rechtsfreier Raum. Es wäre fast wie früher, als man bedenkenlos Freunden Bücher leihen konnte, Mixtapes für die Angebetete aufnahm, lästern konnte und schimpfen und intrigieren und die CDU albern finden durfte.
Hier übrigens der Twitter-Account von Christian Stöcker, unserem Mann beim Spiegel.
11
Aug 09
Kunst ohne Gartenzaun
A thousand candles may be lit by a single candle, and the life of the candle will not be shortened. Happiness never decreases by being shared.” – The Buddha
Ist ja Hippiekram, mag man sich denken. Aber tatsächlich gibt es Dinge, die werden nicht schlechter, wenn man sie teilt. Nehmen wir das Lied Ready or not von The Delfonics.
Wenigstens zwei fabelhafte Songs sind daraus entstanden. Sock it 2 me von Missy Elliott und Ready or not von den Fugees.
Die Fugees wiederum haben das Lied nicht nur durch ihre Stimmen verfeinert, das Werk gestrafft und auf Höhe der Zeit gebracht, sie haben auch noch das magische Gemurmel von Enyas Boadicea hinzugefügt.
So berühren sich über die Jahrzehnte hinweg die unvereinbarst scheinenden Musikkonzepte.
Ist das nicht wunderschön? Und wer könnte ernsthaft gelitten haben an diesem Ekklektizismus?
Wenn nun die Fotografin der CDU-Wahlplakate sich mit Händen und Füßen gegen den Remix-Wettbewerb von Netzpolitik wehrt – was offenbart das für ein Verständnis von Kunst? Und was erst von Politik?
Sind Politiker unantastbare Photoshop-Ikonen, geschützt von Verwertungsrechten?
Der politische Wettkampf soll ausgehebelt werden durch Abmahnungen, an die Stelle der besseren Idee tritt der bessere Anwalt.
Zeit für ein abendliches Mantra:
Ich will nicht versuchen, das Internet zu bändigen. Ommmmm.
11
Aug 09
Eine Welt geht unter
Meine Mutter sucht nach Worten, ich höre an ihrem Atmen, um was es geht. Schließlich sagt sie:
„Papa ist gestorben.“
Danach redet sie weiter und ich sage auch etwas und dann verabschieden wir uns und ich kann nicht weinen.
Mit jedem Menschen stirbt eine ganze Welt, heißt es. Wenn ich die Kopenhagener Deutung der Quantenphysik richtig verstehe, gibt sie diesem Satz recht. Aber was verstehe ich schon von Physik.
Ich versuche, seine Welt nachzuzeichnen, aber alles ist bereits verblasst.
Er hat in Oxford studiert, an einem Wochenende 1969 in London meine Mutter kennen gelernt, nie hat er geswingt, immer war er ernst und tief, im Grunde hatte er meiner Mutter, der Weltmeisterin des letzten Wortes, nie etwas entgegenzusetzen, aber den Kalten Krieg, den sie mit jedem Liebhaber zuvor ausgefochten hatte, den konnte er kämpfen, da war seine Eiszapfenfamilie ihm ein gutes Terrorcamp gewesen. Seine im Krieg verstummte Mutter, sein verängstigter, brutaler Vater, die erschossenen großen Brüder: Sie alle hatten ihn vorbereitet auf eine Frau, die Liebe für eine Erfindung der Männer hielt, die sich nie von ihm beschützen ließ, die ihn manchmal wochenlang nicht anrief. Woher er wusste, dass sie ihn dann eben doch liebte?
Er wusste es nicht, sagte er. Er wollte es.
Und sowieso: “Liebe ist nur ein Wort.”
Kinder sind eine Tatsache.
Sein Wille geschehe.
Mir zwang er seinen Willen nie auf, ich durfte studieren, was ich wollte und ich durfte überhaupt: alles. Sonst wurde auf den Baustellen, die er verantwortete, kein Stein getragen, ohne dass er den Transportweg abgesegnet hätte.
Aber das sind alles Klischees, die verstummte Mutter, der brutale Vater. Verstummt weshalb? Brutal inwiefern? Was hast du gedacht, als deine Brüder erschossen wurden? Wer hat dich getröstet? Wer hat sie überhaupt erschossen? Oder sind sie einfach gefallen? Als seien sie damals einfach umgefallen wie Plastiksoldaten, seine Brüder mit den leuchtend weißen Zähnen auf den uralten Fotos.
Was hast du gedacht, als du Mama zum ersten Mal gesehen hast? Das hat er mir genauestens erzählt, aber ich war gerade erst in der Grundschule. Im Bad standen wir, morgen für morgen, ich bewunderte seinen dicken Schwanz und seine mächtigen Eier, er seifte mich mit Rasierschaum ein und ich durfte mich klingenlos abschaben. Dabei erzählte er mir Geschichten, tausende Geschichten, von Oxford, von Bern 1954, von seinem ersten Haus, von seiner ersten Prügelei.
Alles weg.
Von seinen Frauen vor meiner Mutter niemals ein Wort.
Ich rufe Anna an.
Niemand geht ans Telefon.
Bei Jakob niemand zuhause.
Andreas geht auch nicht dran.
Greta.
Ich zögere, dann wähle ich ihre Nummer.
„Du hast Nerven.“
„Greta, mein Vater ist gestorben.“
„Oh nein.“
Sie fängt an zu weinen.
„Aber Paul, mein armer kleiner, was… Wie kann das denn… Er war doch so.“
„Zuletzt nicht mehr so sehr.“
„Soll ich vorbei kommen?“
„Also wenn.“
„Ich bin gleich bei dir.“
Sie kommt eine halbe Stunde später und nach fünf Minuten schlafen wir miteinander und nach einer Viertelstunde liegen wir Arm in Arm auf dem Bett und sie weint.
Dann putzt sie ihre Nase wie ein untröstliches Kind und sagt:
„Aber Paul. Das ändert jetzt nichts.“
„Natürlich nicht.“
Was sollte schon noch etwas ändern?
Spät in der Nacht zieht sie sich wieder an.
Während wir miteinander schliefen, hat sie mich ganz fest gehalten und ich habe sie ganz fest gehalten und wir wussten beide, dass wir uns keinen Halt mehr geben konnten.
Dann liege ich noch lange wach und schließlich träume ich, dass ich meinem Vater sagen muss, dass er tot ist, aber er will nicht zuhören und als ich es ihm schließlich doch sage, schaut er mich an und sagt: „Aber warum sagst du denn sowas? Von dir hätte ich das am wenigsten erwartet.“
Am nächsten Morgen ruft Elisa an.
Ich erzähle ihr, was passiert ist und dass ich jetzt allein sein müsse.
Sie sagt, das würde sie verstehen und dass es ihr leid tue und dass sie ihn gern kennen gelernt hätte.
Wann denn die Beerdigung sei.
„Ich sage dir Bescheid.“
Den Rest des Tages starre ich aus dem Fenster, in den Fernseher, auf meine Hände.
Abends rufe ich meine Mutter an.
Sie klingt wieder wie sie, teilt mir mit, dass die Beerdigung in drei Tagen stattfinden wird, das Beerdigungsinstitut wird sich um alles kümmern, nein, sie kommt zurecht, es reiche, wenn ich pünktlich sei.
10
Aug 09
Vera Lengsfeld hat dicke Brüste und einen Daumen
Nach Horst Schlämmer und “Die Partei” ist nun auch die Spaßpartei CDU in den Wahlkampf eingestiegen. Vera Lengsfeld ist die Kandidatin für meinen Heimatbezirk.
Die Vollbluthumoristin volkstümelt, gekonnt den anbiedernden Jargon auf Protestwähler zielender Kleinstparteien persiflierend, auf ihrem Blog:
“Hallo, liebe Freunde und alle, die es werden wollen,
gehen Ihnen die Politiker auch auf die Nerven? Haben Sie die Nase voll von Versprechen, die nie eingehalten werden, können Sie die immergleichen Phrasen nicht mehr hören? Aber sind Sie trotzdem der Meinung, dass wir die Politik brauchen? Dann sind Sie auf meinem Blog goldrichtig.”
Eine charmante Collage, die Lengsfeld neben der Gelegenheitsregierenden Merkel zeigt, wird zusammen mit dem Slogan “”Wir haben mehr zu bieten” derzeit in unserem umkämpften Bezirk plakatiert.
Ein Brüller. “Busen statt Birne”, mit diesen Worten schloss Merkel einst das Kapitel Kohl, “Lieber Holz vor der Hütt’n als Brett vor dem Kopf”, so lautet nun das Motto der CDU.
Die Stimmungskanone Lengsfeld, die 2003 dem Satireblatt “Junge Freiheit” gegenüber den Abgeordneten Hohmann verteidigte, ist eine echte Bereicherung für den Wahlkampf. Bei ihr gibt es immer andere Phrasen und jedes Versprechen wird gehalten.
Titten für alle!
10
Aug 09
Die Geschichte vom guten und vom bösen Kinderpornobesitzer
Manuel H. ist ein engagierter Neonazi. Er hat viel Zeit für sein Hobby, den nationalen Widerstand, denn er ist ALG-II-Empfänger. Nun aber möchte er sich in der IT-Branche weiterbilden. Und apropos Computer: Auf seinem Rechner wurde Kinderpornographie gefunden. Seine Kameraden von den Freien Nationalisten München fordern nun seine Erschießung.
Auf Rocknord.net heißt es: “Aufgrund dieser schlimmen Nachricht versammelten sich heute Abend kurzfristig über 25 wütende nationale Aktivisten in seiner Wohngegend und protestierten lauthals gegen verkommene Subjekte, die ihren kranken Trieb am Leid kleiner Kinder befriedigen. Nach der Verlesung der Auflagen wurden unter den Versammlungsteilnehmern Fackeln verteilt und entzündet.”
Verkommene Subjekte, die Kinder zu Zehntausenden abschlachten, stehen jedoch seit jeher in hohem Ansehen bei den Kameraden. Nazilogik halt.
Wenn nun ein Nazi sich Kinderpornographie auf den Rechner lädt, dann ist das zwar einerseits folgerichtig, schließlich findet er es ja sehr gut, wenn man Kinder tötet, andererseits auch reichlich bizarr, denn offiziell darf man Kinder ja nur töten, ohne dass man sie vorher gefickt hat. (Ob sich allerdings Soldaten der Wehrmacht vor jeder Vergewaltigung, die sie im Osten, Süden und Westen begingen, vergewissert haben, dass das Opfer über 14 Jahre alt war?).
Manuel H. ist bei weitem nicht so leidenschaftlich Kinderpornograph wie er ein Nazi ist. Wenige Minuten Materials wurden bei ihm gefunden, dazu ein bisschen Tierpornographie (was ja wiederum exakt das ist, was man bei einem Nazi auf dem Rechner vermutet, aber vielleicht habe ich da auch bloß Vorurteile). Er ist vermutlich eher ein neugieriger Nazi als ein kindervergewaltigender Nazi, aber für seine Kameraden ist dies nicht weiter von Belang, denn eine Gelegenheit zum Rummarschieren mit Fackeln kann man sich natürlich nicht entgehen lassen.
Kommen wir nun zum guten Kinderpornobesitzer. Dessen Kameraden zeigen keine Neigung, ihn an die Wand stellen zu wollen. Piraten neigen auch nicht zum Marschieren mit Fackeln.
Jörg Tauss wurde stattdessen öffentlich hingerichtet. Wozu ist ein Prozess in seinem Fall überhaupt noch nötig?
Manuel H. wurde zu 40 Tagessätzen verurteilt, bei ihm machte das 800 Euro Geldstrafe. Bei Tauss würde die Strafe im Falle einer Verurteilung wahrscheinlich etwas höher ausfallen. In beiden Fällen liegt jedoch die eigentliche Urteilsgewalt in den Händen der Öffentlichkeit. Ist für den Staat der Besitz von Kinderpornographie ein Bagatelldelikt, was die Strafen angeht, und ein Kapitalverbrechen, was den Ermittlungseinsatz betrifft, so ist dieser Straftatbestand für die veröffentlichte Meinung irgendwo zwischen Genozid und Omaerdrosselung angesiedelt.
Und zwar ganz ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Falls. So wenig es die Kameraden des Neonazis H. interessiert, wie wenig Material sich bei ihm fand, so wenig interessiert die Öffentlichkeit die Gründe, die Tauss hervorbringt. Schutzbehauptung heißt es dann.
Ein Beschuldigter darf sich nun einmal schützen und die Zivilgesellschaft muss, um Zivilgesellschaft zu sein, ihm diesen Schutz zubilligen. Tauss ist unschuldig, solange ihm niemand eine Schuld nachgewiesen hat.
Ich habe eine Meinung zu seiner Behauptung und auch zu seiner Vorgehensweise, aber das ist hier nicht der Punkt. Will man die Rechtssprechung Spiegel Online und dem Volksempfinden überlassen, will man die Unschuldsvermutung außer Kraft setzen, wenn ein Staatsanwalt behauptet, er habe etwas gefunden, dann kann man schon die Stiefel schnüren und herummarschieren und vielleicht nach einem hübschen Baum Ausschau halten, an den man die Verdächtigten knüpfen kann. Ich komme dann allerdings nicht mit. Ich habe auch gar keine Fackel.
09
Aug 09
Wenn zwei sich daten, freut sich der Dritte
Pünktlich um Acht stehe ich vor ihrer Tür. Die kirschhaarige Freundin öffnet.
„Hallo Paul, hast du es gut gefunden? Ich bin schon fertig, wir können gleich los.“
Wie am Ende von „Die üblichen Verdächtigen“ fügt sich mit einem Mal das Geschehen zu einem Bild des Schreckens. „Die ist nicht blond.“ Ich beginne zu begreifen. Adrian! Dieser hirntote Superintellektuelle hat unter völliger Ausblendung menschlicher Geschmacksempfindungen das falsche Mädchen angesprochen. „Die ist nicht blond.“ Dieser hypochondrische Ein-Mann-Karnevalszug ist seinem eigenen sadomasochistischen Geschmack gefolgt und hat mir ein Date mit der bizarren Freundin arrangiert. Eine Frau wie Mascha. Ich schaue auf die goldenen Sandaletten der Kirschhaarigen. Riesige Knochenfüße mit rosa Nagellack. Blut ist im Schuh. Ich wanke voran.
Wir fahren zum Bonfini. Ich bestelle Filet mit Zeugs und Cola, sie einen unaussprechlichen Salat und Weißwein. Ich frage nach ihrem Studium und sie antwortet irgendetwas Einstudiertes. Aus Verzweiflung schneide ich das Thema Beziehungen an. In dem Joint war doch etwas zu viel und mein Magen knurrt. Mir ist unglaublich heiß, ich bin völlig unterzuckert und einen Moment kokettiere ich mit dem Gedanken, einfach rauszurennen. Während sie über ihren Exfreund redet oder den besten Freund des Exfreundes oder dessen Hund (ich komme mit den Namen durcheinander, weil alle auf i enden, Timmi, Charli, Tommi, Doofi), starre ich fasziniert auf ihre winzige Uhr, an deren Seiten sommerbesprosster Handgelenkspeck hochquillt.
Als das Essen endlich da ist, führe ich einen Blitzkrieg gegen die Beilagen und habe dann nur noch ein riesiges Stück Fleisch vor mir. Wir loben das Essen und als sie sagt, dass sie seit BSE kein Fleisch mehr isst, verabschiede ich mich aufs Klo.
Erfreulicherweise lebe ich nicht in einer Soap oder in einem Film mit Heinz Rühmann, deshalb muss ich hier die Verwechslungskomödie nicht auf die Spitze treiben. Ich kann Claudia einfach sagen, dass sie die Falsche ist, eine Höflichkeitsfloskel hinterherschieben, mein Bedauern ausdrücken, wir lachen ein bisschen, gute Miene. Und dann hätte ich gern noch die Nummer der Richtigen. Ich schwitze biblisch. Ich gehe zurück zum Tisch, lächle, setze mich und sage: „Es ist mir wahnsinnig unangenehm, das jetzt zu sagen und wahrscheinlich hätte ich das sofort, also. Adrian hätte deine Freundin nach ihrer Nummer fragen sollen. Aber offensichtlich hast du ihm so gut gefallen, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, dass ich die andere meine.“
Claudia guckt ausdruckslos.
„Es tut mir wirklich leid, ich mein: Du bist natürlich großartig, aber deine Freundin, die, also.“
„Da bin ich aber erleichtert.“
„Oh. Ja?“
„Du meinst, ich habe Adrian Stein gut gefallen?“
„Also du bist – 100% sein Typ. Deshalb sitzen wir ja hier.“ Ich schiebe aus alter Gewohnheit ein dümmliches Lachen hinterher.
„Und ich war schon ganz bedröppelt, dass er mich anspricht und dann für seinen Freund nach der Nummer fragt. Hallo? Ich. Vergöttere. Adrian. Stein. Und dann sowas.“
Na sowas.
„Ja aber, aber das ist doch wunderbar!“, rufe ich etwas zu enthusiastisch.
„Ich kann da gern mal etwas ausmachen zwischen euch. Also Quatsch, ich bin ja kein Datedoktor – ich gebe dir einfach seine Nummer.“ Datedoktor?
„Neee, gib du ihm meine. Ich rufe doch nicht irgendwelche Männer an.“ Sie lacht.
„Aber Adrian Stein! Der größtanzunehmende Poet unter den deutschen Neorealisten.“
„Iieh, wer hat denn das gesagt?“
„Stand im SZ-Feuilleton über ihn.“
„Adrian Stein ist einfach so echt.“
Ja. Echt blind.
Das Dessert verläuft dann recht entspannt. Wenn sie sich nicht auf einem Date wähnt, ist Claudia eine nette Gesprächspartnerin, sie erzählt lustige Geschichten vom Koterbrechen, während ich meine Mousse au Chocolat löffele und verspricht, mich lobend bei Elisa, so heißt das Lacoste-Mädchen, zu erwähnen. Dann schreibt sie mir Elisas Nummer auf.
Ich fahre sie nach Hause und spreche auf Adrians Mailbox, ob er nicht vielleicht noch viel kranker ist, als er es selber für möglich hält, sage aber noch „halb so schlimm, du hast ein Date“, damit es nicht so böse klingt.
In meinem Bett rolle ich mir noch einen Joint und denke über das „Da bin ich ja erleichtert“ nach.
Erleichtert, dass ich nicht an ihr interessiert bin. Da habe ich ja grandiose Aussichten bei ihrer besten Freundin.
Ich blättere in einem Exemplar von Matzes „Der Sexualmarkt“. Die Bücher fliegen hier überall rum. Ja, da steht, dass ich verloren bin:
Auf dem Sexualmarkt gilt das Matthäusprinzip. Wer hat, dem wird gegeben. Das ist natürlich äußerst ungerecht, aber ein unverrückbares Prinzip. Wenn man also verlassen worden ist, dann sollte man das nicht an die große Glocke hängen. Trost findet man nicht in Mitleid, sondern in Bewunderung. Man hat sich grundsätzlich einvernehmlich getrennt. Sagt zwar jeder, aber kaum jemand macht sich die Mühe, einer Lüge auf den Grund zu gehen.
„Meine Freundin hat sich vor Kurzem von mir getrennt“, habe ich in eine sich bedrohlich ausdehnende Gesprächspause hinein gesagt. Vor dem Essen, im diabetischen Delirium. Sogar meine Unfähigkeit, mir selber eine echte, aus gängigen Zutaten bestehende Mahlzeit zuzubereiten, habe ich erwähnt. Aus mir sprach der Hunger.
Ich bin im Eimer. Schlimmer: Ich bin der Spatz in der Hand. Wenn Sie Adrian Stein, Schriftsteller, nicht bekommen, können Sie sich immer noch mit Paul Klinghofer, Internettagebuchschreiber, treffen.
Auf meinem Laptop entdecke ich eine alte Staffel Doktor House. House entdeckt bei einem minderjährigen Top-Model, das von seinem Vater gefickt wird (der Vater ist unschuldig, das Model war die Verführerin), einen Tumor in den unterentwickelten Hoden (das Model hat ein Y-Chromosom, aber unglaublich viel Östrogen).
Immer noch beschämt schlafe ich ein. Ich träume, dass ich vor einem Apparat mit Wählscheibe sitze. Ich muss Greta, die bei einem Kongress in Kuala Lumpur ist, anrufen. Sie soll mir etwas zu essen mitbringen. Die Nummer besteht aus 27 Ziffern, ich drehe und drehe, aber jedesmal verwähle ich mich in den Zwanzigern. Von hinten tritt Oskar Ulmenthal an mich heran. Auf dem Planeten, von dem er stammt, gibt es ein Problem mit der großen Traummaschine. Weil die Träume nicht mehr gut sind, sind die Eier der Außerirdischen zu weich. Ich entdecke, dass es nicht an der Traummaschine liegt, sondern an einem Enzym, das ihnen wegen Mangelernährung fehlt. Zur Belohnung gibt Oskar Ulmenthal mir ein Handy, mit dem ich Greta erreichen kann. Die Tasten sind mit Hieroglyphen gekennzeichnet, die ich nicht verstehe. Ich drücke nach dem Zufallsprinzip, bis ich endlich bei der malaiischen Telefonauskunft bin. Meine Mutter fragt, ob ich eigentlich wisse, wie spät es ist und sagt dann: „Bei dem Wetter ins Solarium, also von mir hast du das nicht.“
09
Aug 09
Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? Wir.
Wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen?
Wir.