Jogi Löw ist das Microsoft Word unter den Trainern. Niemand kann mit ihm arbeiten, aber er ist eine Gegebenheit. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate hat er einen Spieler, der durchaus noch wichtig werden könnte für ihn, öffentlich ohne Not bloßgestellt. Erst watschte er den unermüdlichen Marcel Schmelzer ab, dann attestierte er Stefan Kießling, auf höchstem Niveau ginge diesem die Luft aus. Kießling verkündete nun, er werde unter Löw nicht mehr spielen (was weniger ein Rücktritt war als ein Konstatieren der Wirklichkeit), Schmelzer muss sich vorkommen wie ein Arbeitnehmer, dessen Stelle ausgeschrieben ist. Und so spielt er in der Nationalmannschaft auch.
Dass Fußball ein Mannschaftssport ist, gehört zu den gängigsten Tautologien dieses Sports, wird aber selten so deutlich wie bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Vergleicht man diese mit denen der beiden führenden deutschen Vereine, Bayern München und Borussia Dortmund, kann man kaum glauben, dass hier dieselben Spieler auf dem Platz stehen, verstärkt durch zwei Leistungsträger von Real Madrid.
Bei dem 4:4 gegen Schweden, einer Partie, bei der ein Insolvenzverwalter gut daran getan hätte, abzupfeifen, war nicht etwa eine B-Elf auf dem Platz.
Das war die Aufstellung:
Neuer – Boateng, Mertesacker, Badstuber, Lahm – Kroos, Schweinsteiger – Müller (ab 67. Götze), Özil, Reus (ab 88. Podolski) – Klose
Bis auf Mertesacker und Klose alles Spieler, die acht Monate später das Champions-League-Halbfinale unter sich ausmachen sollten. Sieben Spieler vom Alles-Gewinner Bayern München.
Sieben Spieler, die Teil einer Mannschaft waren, die Barcelona als bestes Team der Welt ablösten, spielten wie der SC Jülich 10, weil Schweden, das in keinem Match der Qualifikation besser war als eine ABBA-Revival-Band, mehr Druck im Mittelfeld machte.
Mehr Druck im Mittelfeld als Barcelona?
Es fehlt dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft an einer Holzigkeit, die die beiden Vereinsmannschaften auszeichnet. Und das liegt nicht daran, dass das DFB-Team keinen Martinez hätte oder keinen Subotic. Es liegt daran, dass ihr Verantwortlicher ein Ideologe ist.
Wie wurde Barcelona geschlagen? Durch Kopfbälle.
Wie wurde Deutschland von Spanien 2010 geschlagen? Durch einen Kopfball.
Natürlich: Der Siegtreffer von Dortmund gegen Malaga bestand aus dem Verzicht auf Taktik, auf einer Eingebung, einem Irrsinn. Tut den Langen vorne rein, Hummels bolzt Flanken nach vorn. Das klappt nur einmal von zehn, aber wenn es klappt, dann fühlt sich das an, wie Fußball unter Löw sich niemals anfühlt.
Unter Löw ist die Nationalmannschaft zu einem Bully-Team geworden: Kleine Gegner werden nun 6:1 (niemals zu Null, dafür reicht die Abwehrarbeit nicht einmal gegen Aserbaidschan) geschlagen statt früher 2:1, so dass man Pocher im Grunde ohne Unterbrechung spielen kann.
Aber wenn der Gegner auch mitmachen möchte, wird es unangenehm. Dann kann Schweden schon zu wuchtig sein und die Bullies laufen heulend zu Mama.
Paraguay? Griechenland? Das eine nur ein Testspiel, aber das andere Viertelfinale einer EM. Und Griechenland trifft zwei Mal. Die Mannschaft, so Lahm in diesem Jahr, wusste da schon, dass es gegen Italien so nicht reichen würde.
Und das ist der Grund, warum Löw nicht mehr Trainer sein darf. Die Mannschaft vertraut ihm nicht mehr. Traut ihm nicht, Lösungen zu haben von der Ersatzbank, traut ihm nicht, seine Ideologie in den Hintergrund zu stellen, traut ihm menschlich nicht.
Traut ihm keinen großen Sieg zu.
Schweinsteiger wies darauf hin, dass der Manschaftsgeist nicht gestimmt habe, die Spieler auf der Bank hätten nicht gejubelt. Es heißt, der Mannschaftsgeist komme mit dem Erfolg. Das mag wie eine Henne-Ei-Frage klingen, aber ein positives Sich-Aufschaukeln hat es unter Löw tatsächlich noch nicht gegeben. Und er selbst tötet die Stimmung zuversichtlich ab; woher soll man wissen, dass man selbst nicht der nächste ist, dem der Trainer öffentlich in den Rücken fällt?
Es lohnt sich, die beiden einzigen echten Löw-Erfolgspartien noch einmal anzuschauen.
Das 4:1 gegen England und das 4:0 gegen Argentinien.
Beim 4:1 fiel das 2:2 innerhalb von Minuten, mit einem Schiedsrichter wäre die Partie beinahe sicher gekippt.
Beim 4:0 profitierte das Team von einem frühen 1:0, Glück und Geschick in der Defensive (eine der wenigen Partien, bei der die Konzentration wirklich hoch war) und einem trainerlosen Argentinien.
Das 0:1 gegen Spanien war dann ein getarntes 0:10, seit diesem Spiel glaubt kein einziger deutscher Spieler mehr, jemals etwas zu gewinnen mit Löw, ein Glaube, der mit der EM Wissen wurde.
Löw ist kein guter Trainer, war nie ein guter Trainer und wird vermutlich nie einer sein.
Es fehlt ihm an Intelligenz. Es ist kein Zufall, dass die beiden besten Bundesligatrainer unfallfrei Interviews geben können. Auch Tuchel und Slomka sind kein Anlass, sich zu schämen. Bei Löw nur Floskeln.
Da nennt man Taktik halt Philosophie, das macht aus einem Grummler noch keinen Schopenhauer.
Bevor nun jemand einwendet, unter Löw werde so schön gespielt. Vier Tore zu kassieren von einer Mittelklassemannschaft, das ist kein schönes Spiel.
Unter Löw ist das Team wackelig, das ganze Spiel ist unausgegoren, man hat nie das Gefühl, die Spieler könnten ein Spiel nach Hause bringen.
Natürlich hat ein Nationaltrainer nicht die Möglichkeiten des Trainers einer Spitzenmannschaft. Niemand kann sicher sagen, ob Klopp, Heynckes, Tuchel oder Slomka ihre Erfolge übertragen könnten auf ein Team, dass sie nur alle paar Wochen sehen. Aber man kann sicher sagen, dass Löw nie etwas gewinnen wird.
Und ich würde mich so gerne irren.