30
Aug 13

Jogi Löw

Jogi Löw ist das Microsoft Word unter den Trainern. Niemand kann mit ihm arbeiten, aber er ist eine Gegebenheit. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate hat er einen Spieler, der durchaus noch wichtig werden könnte für ihn, öffentlich ohne Not bloßgestellt. Erst watschte er den unermüdlichen Marcel Schmelzer ab, dann attestierte er Stefan Kießling, auf höchstem Niveau ginge diesem die Luft aus. Kießling verkündete nun, er werde unter Löw nicht mehr spielen (was weniger ein Rücktritt war als ein Konstatieren der Wirklichkeit), Schmelzer muss sich vorkommen wie ein Arbeitnehmer, dessen Stelle ausgeschrieben ist. Und so spielt er in der Nationalmannschaft auch.
Dass Fußball ein Mannschaftssport ist, gehört zu den gängigsten Tautologien dieses Sports, wird aber selten so deutlich wie bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Vergleicht man diese mit denen der beiden führenden deutschen Vereine, Bayern München und Borussia Dortmund, kann man kaum glauben, dass hier dieselben Spieler auf dem Platz stehen, verstärkt durch zwei Leistungsträger von Real Madrid.
Bei dem 4:4 gegen Schweden, einer Partie, bei der ein Insolvenzverwalter gut daran getan hätte, abzupfeifen, war nicht etwa eine B-Elf auf dem Platz.
Das war die Aufstellung:
Neuer – Boateng, Mertesacker, Badstuber, Lahm – Kroos, Schweinsteiger – Müller (ab 67. Götze), Özil, Reus (ab 88. Podolski) – Klose

Bis auf Mertesacker und Klose alles Spieler, die acht Monate später das Champions-League-Halbfinale unter sich ausmachen sollten. Sieben Spieler vom Alles-Gewinner Bayern München.
Sieben Spieler, die Teil einer Mannschaft waren, die Barcelona als bestes Team der Welt ablösten, spielten wie der SC Jülich 10, weil Schweden, das in keinem Match der Qualifikation besser war als eine ABBA-Revival-Band, mehr Druck im Mittelfeld machte.
Mehr Druck im Mittelfeld als Barcelona?

Es fehlt dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft an einer Holzigkeit, die die beiden Vereinsmannschaften auszeichnet. Und das liegt nicht daran, dass das DFB-Team keinen Martinez hätte oder keinen Subotic. Es liegt daran, dass ihr Verantwortlicher ein Ideologe ist.
Wie wurde Barcelona geschlagen? Durch Kopfbälle.
Wie wurde Deutschland von Spanien 2010 geschlagen? Durch einen Kopfball.
Natürlich: Der Siegtreffer von Dortmund gegen Malaga bestand aus dem Verzicht auf Taktik, auf einer Eingebung, einem Irrsinn. Tut den Langen vorne rein, Hummels bolzt Flanken nach vorn. Das klappt nur einmal von zehn, aber wenn es klappt, dann fühlt sich das an, wie Fußball unter Löw sich niemals anfühlt.
Unter Löw ist die Nationalmannschaft zu einem Bully-Team geworden: Kleine Gegner werden nun 6:1 (niemals zu Null, dafür reicht die Abwehrarbeit nicht einmal gegen Aserbaidschan) geschlagen statt früher 2:1, so dass man Pocher im Grunde ohne Unterbrechung spielen kann.
Aber wenn der Gegner auch mitmachen möchte, wird es unangenehm. Dann kann Schweden schon zu wuchtig sein und die Bullies laufen heulend zu Mama.
Paraguay? Griechenland? Das eine nur ein Testspiel, aber das andere Viertelfinale einer EM. Und Griechenland trifft zwei Mal. Die Mannschaft, so Lahm in diesem Jahr, wusste da schon, dass es gegen Italien so nicht reichen würde.
Und das ist der Grund, warum Löw nicht mehr Trainer sein darf. Die Mannschaft vertraut ihm nicht mehr. Traut ihm nicht, Lösungen zu haben von der Ersatzbank, traut ihm nicht, seine Ideologie in den Hintergrund zu stellen, traut ihm menschlich nicht.
Traut ihm keinen großen Sieg zu.
Schweinsteiger wies darauf hin, dass der Manschaftsgeist nicht gestimmt habe, die Spieler auf der Bank hätten nicht gejubelt. Es heißt, der Mannschaftsgeist komme mit dem Erfolg. Das mag wie eine Henne-Ei-Frage klingen, aber ein positives Sich-Aufschaukeln hat es unter Löw tatsächlich noch nicht gegeben. Und er selbst tötet die Stimmung zuversichtlich ab; woher soll man wissen, dass man selbst nicht der nächste ist, dem der Trainer öffentlich in den Rücken fällt?
Es lohnt sich, die beiden einzigen echten Löw-Erfolgspartien noch einmal anzuschauen.
Das 4:1 gegen England und das 4:0 gegen Argentinien.
Beim 4:1 fiel das 2:2 innerhalb von Minuten, mit einem Schiedsrichter wäre die Partie beinahe sicher gekippt.
Beim 4:0 profitierte das Team von einem frühen 1:0, Glück und Geschick in der Defensive (eine der wenigen Partien, bei der die Konzentration wirklich hoch war) und einem trainerlosen Argentinien.
Das 0:1 gegen Spanien war dann ein getarntes 0:10, seit diesem Spiel glaubt kein einziger deutscher Spieler mehr, jemals etwas zu gewinnen mit Löw, ein Glaube, der mit der EM Wissen wurde.
Löw ist kein guter Trainer, war nie ein guter Trainer und wird vermutlich nie einer sein.
Es fehlt ihm an Intelligenz. Es ist kein Zufall, dass die beiden besten Bundesligatrainer unfallfrei Interviews geben können. Auch Tuchel und Slomka sind kein Anlass, sich zu schämen. Bei Löw nur Floskeln.
Da nennt man Taktik halt Philosophie, das macht aus einem Grummler noch keinen Schopenhauer.
Bevor nun jemand einwendet, unter Löw werde so schön gespielt. Vier Tore zu kassieren von einer Mittelklassemannschaft, das ist kein schönes Spiel.
Unter Löw ist das Team wackelig, das ganze Spiel ist unausgegoren, man hat nie das Gefühl, die Spieler könnten ein Spiel nach Hause bringen.
Natürlich hat ein Nationaltrainer nicht die Möglichkeiten des Trainers einer Spitzenmannschaft. Niemand kann sicher sagen, ob Klopp, Heynckes, Tuchel oder Slomka ihre Erfolge übertragen könnten auf ein Team, dass sie nur alle paar Wochen sehen. Aber man kann sicher sagen, dass Löw nie etwas gewinnen wird.
Und ich würde mich so gerne irren.


08
Aug 13

Ein Vater

Gestern wurde ich im Zimmer, das zum Hof geht, von einem fürchterlichen Streit auf der Straße geweckt. Die Balkontür war offen, also stand ich auf, um sie zu schließen. Schon im Hofzimmer hatte ich nicht nur Gebrüll gehört, sondern einzelne Worte, ich konnte eine Frau ausmachen und einen Mann, jetzt, an der Tür stehend, verstand ich alles.
Ich trat auf den Balkon, um mir die Streitenden anzuschauen.
Sie waren deutlich jünger als ich gedacht hatte, vielleicht Mitte zwanzig. Sie sehr kräftig, nicht unbeweglich fett, eher wie ein Ringer. Schlagbereit sah sie aus.
Er ein dünnes Kerlchen, Baseballkappe, schlabberige Klamotten, aber keine Baggypants, eher einfach: Es gab für einen so dünnen Arsch keine Hosen.
Der Streit bestand im Wesentlichen aus wiederkehrenden Sequenzen, ich versuche, sie alle wiederzugeben.

1. “Immer belügst du mich!”
“Ich habe gestern gelogen, das stimmt, aber seitdem nicht mehr!”
“Na toll, seit beinahe 24 Stunden nicht gelogen!”

2. “Geh doch zu deiner Schlampe Jessi!”
“Ich war nur gestern bei Jessi, aber sonst ist da nichts!”

3. “Immer bist du weg!”
“Ich war nur einmal für 5 Tage nicht da!”

4. “Geh zu deiner schwangeren Schlampe!”
“Die ist nicht schwanger!”

5. “Dein Kind wirst du jedenfalls nicht mehr sehen!”
(Darauf sagte er nichts.)

6. “Geh halt wieder koksen!”
“Ich habe gestern aufgehört!”

Ich war erstaunt, dass er es sich leisten konnte zu koksen. Ich dachte an einen Dealer, den ich in Bonn gekannt hatte, der Freund einer Kommiltonin aus bester Bonner Familie. Der hatte das Speed mit Kopfschmerztabletten gestreckt. “Vom Speed bekommt man Kopfschmerzen, da ist das doch eine saubere Lösung”, hatte er gesagt. Kokain mit Kopfschmerztabletten, danach sah der junge Mann unter meinem Balkon also aus.
Nach zehn Minuten bekam ich das Gefühl, dass sich hier nichts mehr tun würde. Einmal hatte er versucht sie zu umarmen und sie hatte fürchterlich geschrien, aber anonsten brüllten sie nur in gleichbleibender Lautstärke, manchmal fiel er vor ihr auf die Knie und sie gab weiter vor, ihm nicht zu verzeihen.
Theoretisch könne er wohl irgendein Geld bekommen, wenn er die Therapie machen würde, sie glaubte, er habe auch so Zugang zu Geld, nicht alle Details habe ich verstanden.
Ich dachte, wie oft es einfach reicht, die Dinge nicht zu tun, von denen jeder versteht, dass sie nicht funktionieren.
Nicht lügen, nicht mit Jessi, der Schlampe schlafen, nicht koksen, nicht das Kind vernachlässigen, nicht einfach so verschwinden.
Die häufigste Ursache für Arschlochsein ist eine schwierige Kindheit und doch sagen Eltern einem diese Dinge ja meistens.
Wenn man Glück hat, leben sie einem das sogar vor: Nicht koksen, nicht mit Jessi schlafen, all das eben.
Und doch muss man es irgendwann selber merken, dass es nicht funktioniert.
Manchmal macht es Spaß mit Jessi, manchmal ist das Koks wirklich gut, aber immer landet man auf der Straße, auf den Knien, und weckt die Leute.
Die kräftige junge Frau wollte ihn nicht verlassen, der Weg weg von ihm lag offen vor ihr. Sie wollte, dass er kein Arschloch mehr ist. Sie wollte einen Vater für ihr Kind. Einen Moment dachte ich, ob ich nicht etwas sagen soll, so als Liebeskolumnist oder meinetwegen auch Mensch. Ich bin dann schlafen gegangen. Seit bald einem Tag hatte er da schon nicht gelogen. Vielleicht wird ja eine Serie draus.