14
Nov 12

Talk im Sturm, Folge 1

Endlich wieder ein Podcast. Mathias Richel und ich bemühen uns, bei einem Thema zu bleiben, aber: die Themen laufen uns immer wieder weg. Es geht um die Zukunft des Journalismus, der Arbeit, warum es gefährlich ist, mit mir einen Podcast zu machen. Außerdem beleidige ich Leute, die es vertragen können.


11
Nov 12

Wiesbaden: Drachenblut

Marcel Horn kam aus Wiesbaden und ist bis zum heutigen Tag meine einzige Verbindung nach Wiesbaden.
Wiesbaden soll ja unermesslich reich sein, in scheichischem Ausmaß, und ich will nicht ausschließen, dass Marcel Horn sehr reich war. Man sah ihm das Einkommen seiner Eltern nicht an, er könnte der Sohn eines Vaters gewesen sein, der sein ganzes Vermögen der nicaraguanischen Befreiungsarmee oder der Ronald McDonald-Stiftung vermacht hatte, und nun in selbstgewählter Armut lebte.
Ich glaube, dass es mit einiger Sicherheit so war.
Im zehnten Schuljahr kam er in unsere Klasse. Man mag es mir nicht ansehen, aber ich habe ein Herz für Neuankömmlinge. Ihr suchender Blick, ihre fragende Augenstellung berühren etwas in mir, ich glaube, es ist mein Herz.
Ich kümmerte mich also um Marcel Horn, setzte mich mit ihm in den Domkeller und trank dort mit ihm Persico Apfelsaft. Marcel Horn hatte eine sehr sanfte Stimme, mit der er nichts erzählte, er antwortete bloß mit freundlichen Nichtigkeiten auf meine Fragen und manchmal bat er die Kellnerin um mehr Apfelsaft.
Diese sanfte Stimme habe ich im Ohr, wenn ich heute an Wiesbaden denke, was ich im Grunde nie tue, es sei denn, es ist wieder einmal ein bekannter Milliardär aus Wiesbaden gestorben und die Zeitungen sind voll mit Fotos der hessischen Landeshauptstadt.
Fließt durch Wiesbaden ein Fluss? Ist es die Wies? Kreuzen sich in Wiesbaden die Wies und die Baden und werden zur Wiesbaden? Ist der Wies die größte Erhebung weit und breit oder ein großer germanischer Freiheitskämpfer, der die Römer dort schlug, wo später die Stadt entstand?

Beinahe alle Deutschen kommen aus Mittelstädten, die einander gleichen wie ein Haar dem anderen, und doch bleiben die Bewohner einander fremd. Aachener grüßen im Ausland, also ab Düren, einander mit dem Klenkes, dem abgewinkelten kleinen Finger. Der kleine Finger ist zum Aachener Wahrzeichen geworden, so erzählen Aachener Grundschullehrer es Aachener Kindern, weil man mit dem kleinen Finger in Nadelfabriken Nadeln aussortierte.

Ich habe noch nie Wiesbadener einander begrüßen sehen. Marcel Horn grüßte immer mit einem leichten, kaum merklichen Nicken, es war, als wäre er sich nicht sicher, ob eine Begrüßung erwünscht war, aber vielleicht wäre Marcel zu großer Form aufgelaufen, hätte er nur jemanden grüßen dürfen, der mit den Riten seiner Heimat vertraut ist. Der wie er gezittert hat mit den Recken des SV Wehen, der für Wiesbaden in etwa das sein muss, was Schalke für Gelsenkirchen ist, er ist nur kleiner und weniger blau (all das sind Spekulationen, möglicherweise ist Wehen kein Stadtteil von Wiesbaden, sondern das Einkaufszentrum der Stadt), der wie er nie in den Aachener heißen Quellen gebadet hat, der wie er nie den Elisenbrunnen E genannt hatte, jemand, der an den klaren Wassern der Wies, dort, wo sie auf die Baden trifft, angelte, jemand, der abends im Kerzenschein seinen Geldspeicher öffnete und ein warmes Dukatenbad nahm.

Wenn Aachener verreisen, dann bringen sie den Gastgebern Printen mit, was verschenkt der Wiesbadener? Sind es Pralinen, Mettbällchen, Geldröllchen, Geldbäumchen gar?

Würde Deutschland zerfallen in seine Einzelteile und die Mittelstädte würden unabhängige Republiken, was würde man den Wiesbadenern im Kriegsfall an den Kopf werfen?

Dass nie etwas Gutes aus Wiesbaden kam, dass der Wies nur ein Hügel ist und die Raffgier der Wiesbadenser verantwortlich dafür, dass in Aachen mittlerweile das Studentenviertel aussieht wie Lloret de Mar?

In Aachen, das auf Französisch Aix-la-Chappelle heißt, werden Paketdienste von ihren Gründern wie selbstverständlich Aix und Hopp genannt, Vermessungsfirmen Aixakt,
in Bonn heißt jede Kneipe Bonngout oder Bonnobo, welches Wortspiel bietet sich mit Wiesbaden an? Heißen Wellnessfarmen hier Genießbaden? Sicherheitsunternehmen Schließbaden? Gärtnereien Gießbaden?

Ich möchte wetten, dass man Drucke kaufen kann in einer kleinen Gallerie namens Eigenart, dass die Fußgängerzone nach einem Reichskanzler aus der wilhelminischen Zeit heißt, dass hoffnungsvolle Jungjournalisten bei der Wiesbadener Allgemeinen anfangen, über Orgelbesichtigungen zu schreiben, während kalte Karrieristen gleich bei der Wiesbadener Wochenrückschau beginnen, die einen boulevardesken Auftritt pflegt und hauptsächlich mit den Wehener Recken aufmacht, am liebsten, wenn die mal wieder Gütersloh oder Ahlen oder Aalen geschlagen haben oder immerhin kein Gegentor kassierten.

Es gibt die lokale Hiphop-Crew, nichts spricht dagegen, dass sie KWLML heißt, was Kratzen wie Leute mit Läusen bedeutet (Spötter behaupten allerdings, die Buchstaben stünden für gar nichts, aber für Spott hat man an der Wies bekanntlich nicht viel übrig), die Wiesbaden auf Spaß haben und auf Gas geben reimt und deren größter wiesbaden- und somit für Wiesbadener weltweiter Erfolg der Partykracher “Wir sind nicht Baden Baden” ist.

Auch Wiesbaden hat eine Schäl Sick, eine falsche Seite, ein Viertel, vor dem Fremde gewarnt werden, bloß wohnen hier nicht wie in den anderen Mittelstädten, Studenten, Arme, Alte und arme, alte Studenten (ich habe zehn Jahre lang Jura studiert und in Bonn-Tannenbusch gelebt), in Wiesbaden wohnen im Ghetto Ministerialbeamte und pensionierte Kassenärzte. Ebenso kennt der Wiesbadener ein Umland, dessen Bewohner schlechter Auto fahren als er. Mit den Buchstaben auf deren Nummernschildern bildet er Schmähworte, wie man es in Aachen macht mit den Heinsbergern (HS), denen ein Hirnschaden nachgesagt wird, und in Bonn mit den Siegburgern (SU), denen man hinterherruft: Sau unterwegs.

Das Denkmal, das in Wiesbaden alle Ministerialbeamtengattinnen auf Besuch einmal betrachten, könnte auf dem Marktplatz stehen, der in römischer Zeit rechteckig war, dann gotisch rund wurde unter Agolbar, Sachsenfürst und bedeutender Drachentöter, der hier 814 einen Lindenbaum pflanzte und – so die lokale Legende – einen Tropfen Blut an den Samen gab (ob eigenes oder von erlegten Drachen, darüber grübeln die Gelehrten), weswegen die Linde rot erblühte und Vorbild für den berühmten Wiesbadener Rotkuchen wurde, und somit das Wiesbadener Oktogon bildet, eine Formation, die der Stadtrat Jahr für Jahr der UNESCO als Weltkulturerbe vorschlägt, auf diesem Marktplatz mit seinen acht Ecken steht also der „Vierbeinige Preußenprinz“, eine anrührend misslungene Skulptur, deren offizieller Namensgeber, der Erbprinz Karl Jonathan, sich so gar nicht absetzt von dem unter ihm trabenden Pferd.
Wiesbaden, du bist genau wie wir und doch ganz anders, Wiesbaden, vielleicht hast du sogar einen Strand, ganz ohne Meer, du kannst das.
Wiesbaden, mir ist, als hätte man mir von dir im Traum erzählt. Du bist nicht Osnabrück, mit seinen kalten Zinnen, nicht Bremerhaven oder Ludwigsburg.
Du bist, ich kann mich noch entsinnen, der Hort des Guten und von: fuck, yeah: Drachenblut.

(Der Text ist im Magazin von Stil Royal erschienen)


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