Es fing gar nicht so schlecht an mit mir und den Ärzten. Beim Augenarzt sah ich so gut, dass ich ein Bonbon bekam, ich sah sogar so gut, dass ich meiner kurzsichtigen Mutter die Buchstaben vorsagen konnte, ich flüsterte ihr die richtigen Antworten ins Ohr, damit sie sich nicht blamierte.
Meine Abwertung durch Ärzte begann mit einem Paukenschlag. Meine gerade noch so vorbildlichen Zähnchen wurden in eine Klammer gepresst, der Kiefer hieß es, sei zu eng.
Wenn der Arzt etwas „zu“ findet, zu eng, zu klein, zu groß, zu erhaben, zu dunkel, dann hat er in der Regel diesen entschlossen zwischen Ernst und Umbekümmertheit schwankenden Ton, der dem Patienten signalisiert: Sie könnten daran sterben, aber Gottseidank gibt es ja mich. Außerdem schwingt in diesem Ton natürlich mit: Früher wäre so etwas wie Sie einfach ausgemendelt worden, aber jetzt gibt es eben Krankenkassen.
Lange Zeit hatte ich den Ehrgeiz, die Prüfungen der Ärzte zu bestehen, bei keinem Bluttest durchzufallen, ja sogar das „Aaa“ im „Sagen Sie jetzt einmal Aaaa“ versuchte ich möglichst laut und vollendet zu sprechen.
Und doch: Einen weiteren Tiefpunkt erreichte meine Patientenkarriere, als meine Zahnärztin, eine ältere Dame mit einem ehrfurchtgebietenden Bariton und nur leicht zitternden Händen, meine Zunge für zu groß befand (und das in einem zu engen Kiefer!). Wenig später fand sie auch noch erste Spuren von Karies, und ich gestand mit weit aufgerissenem Mund Eisteetrinken nach Mitternacht. Mit meiner riesigen, gierigen Zunge habe ich ihn runtergeschleckt, ja genau, ich habe es eigentlich gar nicht verdient, noch behandelt zu werden.
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*lol* ausgemendelt, wie unterirdisch boshaft schön.