Leseprobe aus “Versiebt, verkackt, verheiratet”: Windel

Hermann erklärte einem jungen Pfleger mit unnatürlich schwarzem Haar, dass die Wechselkurse zur Zeit einfach unannehmbar seien. Fast schien es, als würde der junge Mann wirklich interessiert zuhören, dabei wartete er natürlich nur darauf, dass Hermann endlich – wie nannten sie es hier? – Stuhlgang hätte.
Der Pfleger lächelte Gertrud unbeholfen zu, er mochte ein hübscher Kerl sein, das gefärbte Haar stand ihm zwar nicht gut, aber er hatte ein freundliches Gesicht mit ehrlichen Augen. Nur sah hier seine Haut fahl aus, der Tod und der viele Stuhlgang bekamen ihm nicht. Er war hässlich wie das ganze Heim. Es roch nach Desinfektionsmitteln und billigem Kaffee. Die Tür zum Baderaum stand natürlich offen, alle Türen standen hier immer offen. Dabei war Hermann doch immer so ein privater Mensch gewesen.
Hermann richtete sich nun auf. „Und was den Dollar angeht, also das ist ja ….“. Er stand gebückt mit dem Rücken zur Toilette, die Hose an den Knöcheln, er schwankte leicht und fixierte etwas in seiner Hand, das nur er sah. „Ich krieg das nicht weg.“ Er zupfte konzentriert an seiner Hand herum.
„Das war dann wohl nichts“, sagte der Pfleger. Er ging in die Hocke, um Hermann die Hose hochzuziehen und Hermann trat nach ihm, wie in Zeitlupe. „Hören Sie mal, das geht doch nicht, was Sie da, es ist doch immer das gleiche mit euch Zöllnern.“
Dann quetschte Hermann einen dicken braunen Haufen vor die Füße des Pflegers.
„Das ist doch eigentlich ganz schön“, sagte Hermann zu seiner Hand, der Pfleger sagte zu Gertrud, er müsse ihn jetzt leider erst abduschen und Gertrud dachte daran, wie reinlich Hermann immer gewesen war. Fast schon etwas zwanghaft. Er hatte es ihr übel genommen, dass sie ihn in dieses Heim gesteckt hatte, er erkannte sie seitdem nicht mehr. Ihre Töchter hatten es auch nicht verstanden, aber wie viele Nächte kann man wach bleiben, um einen tobenden, weinenden, ängstlichen Mann zu beruhigen? Manchmal glaubte sie, sie würde noch vor ihm sterben, er war immer noch so stark, sein Blutdruck der eines jungen Mannes, hatte Doktor Klemp gesagt.
Irgendwo hatte sie mal gelesen, Alzheimer sei nicht, wenn jemand seine Brille vergisst, Alzheimer sei, wenn jemand nicht mehr weiß, wozu man eine Brille benutzt. Gertrud wusste nicht mehr, ob es schleichend angefangen hatte oder ganz plötzlich, aber als sie es merkte, bekam sie nie wieder ihren Hermann zurück.
Es blieb so wenig übrig von sechzig Jahren. Abends saß sie jetzt oft vor dem Fernseher und es fiel ihr schwer, sich an mehr als die Hochzeit, das erste Kind und das zweite Kind zu erinnern, selbst die Geburt des Dritten musste irgendwo zwischen Spülen, Kochen und kleinen Sekretärinnenaufgaben, die sie zwischendurch für Hermann erledigte, verloren gegangen sein.
Sie war schon alt und ernst gewesen, als alle anderen noch jung waren. Wie lange sie schon alt war! Kein einziges Farbfoto gab es, auf dem sie jung aussah. Sie stand auf und nahm ein an den Rändern angegilbtes Fotoalbum in die Hand. Das Weizenfeld war Maisgelb gewesen, auf dem Foto war es Weiß. „Warum ist es denn maisgelb, es müsste doch weizengold sein?“, hatte sie Hermann gefragt und er hatte geantwortet, Liebe mache eben blind. Das war Hermanns Liebeserklärung gewesen. Eigentlich hatte er damit nur erklärt, dass er wusste, dass sie ihn liebt, aber sie hatte ihn schon verstanden. Sie hätten noch warten müssen, aber damals haben sie zum ersten Mal miteinander geschlafen, auf Hermann war Verlass. Sie hatten manchmal darüber gesprochen, ob die Lust wohl im Alter einfach verschwinde und Hermann hatte gesagt, das könne man nur hoffen, es sei doch furchtbar, wenn man immer noch wolle, aber der Körper mache nicht mehr mit, wie Gefängnis müsse das sein. Die Lust war dann tatsächlich ganz friedlich weggedämmert, wie Kinder hatten sie zuletzt gelebt, dachte Gertrud, wie Kinder, die sich sehr liebten, bis das eine verrückt wurde.
Hermann saß jetzt auf dem Bett und weinte. Sie konnte ihn nicht trösten. Der Pfleger zog Hermann eine riesige blaue Windel über die Beine, drehte ihn dann geschickt auf den Rücken, wogegen Hermann nur halbherzig protestierte: „Aber Sie wissen schon, dass das so nicht geht?“ Der Pfleger klebte den Klettverschluss der Windel zu und drehte sich zu Gertrud um. „Das sollte jetzt für den Rest des Tages halten.“
Sie trat ans Bett, Hermann lag dort immer noch wie ein Maikäfer, die Beine angewinkelt in der Luft, sie berührte sein Knie und er nahm ihre Hand. „Trudchen“, sagte er mit fester Stimme, „denk dir nichts, das geht vorbei. So eine Windel ist doch immer nur temporär.“
Gertrud rückte ihre Brille zurecht, strich mit ihrem Zeigefinger über Hermanns rauen Handrücken, räusperte sich und sagte, sie sei doch ganz schick, die Windel. Hermann richtete sich etwas auf, sein Gesicht war jetzt ganz nah bei ihrem, und sagte: „Liebe macht eben blind, Trudchen.“
Ganz vorsichtig zog der Pfleger die Tür zu.

Versiebt, verkackt, verheiratet gedruckt und als
eBook
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1 comment

  1. Irgendwie schnulzig, aber trotzdem eine tolle Leseprobe! Du kannst doch nicht so viel schreiben, Malte, wann soll ich denn deine Bücher lesen? Ich hab’ doch immer so viel zu lesen… ;)

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