Die Leute, die sagen: “Historisch gesehen haben Künstler immer wenig verdient” – sagen die auch “Historisch gesehen haben Kassiererinnen immer wenig verdient”?
Hat Schlecker vor der Pleite also richtig gehandelt?
Nein, Kassiererin sein, das macht ja keinen Spaß. Künstler sein dagegen schon.
Deshalb ist es völlig in Ordnung, wenn der Letztere die Miete nicht bezahlen kann. Er hat ja Spaß.
Die unterbezahlte Kassiererin ist zu bedauern, der unterbezahlte Künstler hätte ja auch was Anständiges machen können. (Durchschnittsverdienst eines bei der Künstlersozialkasse versichteren Künstlers 2011: 13.689 €, die Musiker brachten es auf 11.700 €.)
Käme jemand auf die Idee zu sagen, die Schleckerpleite sei gerade der Beweis dafür, dass die Mitarbeiter eben nicht schlecht behandelt, nicht schlecht bezahlt worden seien?
Warum eigentlich nicht? Die Rechnung ist doch leicht: Geht das Unternehmen Pleite, obwohl es Gewerkschaften fernhält und Dumpinglöhne zahlt, dann wäre es doch mit fairen Löhnen und Gewerkschaften erst recht nicht profitabel gewesen.
Obwohl die Logik nach den Gesetzen der Mathematik frappierend ist, scheint irgendetwas nicht daran zu stimmen. Wäre es nicht irre, wenn eingesparte Lohnkosten gar nicht der Hauptfaktor des Erfolgs eines Unternehmens wären? Sondern Mitarbeiterenthusiasmus?
Aber dieser Enthusiasmus ist doch bei der Kunst, in den Medien gegeben: Die meisten Autoren, Musiker und Regisseure sind nicht bloß mit einer außergewöhnlichen Leidenschaft bei der Arbeit, sondern gleich mit zwei, drei Leidenschaften.
Aber hätten sie vielleicht noch etwas mehr Enthusiasmus, wenn sie nicht noch nebenbei alles mögliche andere tun müssten, um über die Runden zu kommen?
HEY! Don’t fuck with my Marktwirtschaft.
First rule of Marktwirtschaft is: Everyone gets what he deserves. (Formerly known as Jedem das Seine, aber das klingt nicht gut.)
Wisst ihr, wer traditionell auch wenig verdient hat?
Alle.
Am Anfang, da gab es gar kein Geld.
Dann gab es Geld und alle hatten wenig.
Dann wurden Hierarchien erfunden und plötzlich hatte einer fast Alles und die Bauern und Handwerker und Händler immer noch sehr wenig.
Oben der Adel, unten doofes Volk.
Das war schon immer arm, sagte der Adel.
Dann handelten die Händler in immer größerem Umfang, verschifften Gewürze und Gold und Geschmeide aus allen gerade erst entdeckten Kontinenten, und sie wurden reicher noch als der Adel.
Dann bauten die Handwerker Fabriken, ließen die Bauern darin arbeiten, wurden reich und reicher, reicher noch als die Händler, und sagten, dass die Bauern eben schon immer arm waren.
Dann bekamen die Bauern, die jetzt Proletarier hießen, Rentenversicherung und ein dreizehntes Monatsgehalt und Sicherheitshelme und Urlaube auf Mallorca oder in der DomRep.
Und dann fiel ihnen auf, dass die ganze Zeit Musik lief.
Und alle, die Arbeiter und die Adeligen und Händler und die Industriellen steckten sich eine Marlboro light an und sagten:
Traditionell haben Künstler schon immer wenig verdient.
Warum ist es in einer Industrie in Ordnung, wenn ein Teil der Arbeiter kaum davon leben kann, und bei einer anderen Industrie ruft die Politik zum Boykott auf? Weil es schon immer so war, dass der Geiger arm ist und der Geigerzuhörer wohlhabend?
Dann lasst uns doch gleich alle bunt anmalen und Faultiere mit Pfeil und Bogen jagen, das wäre nämlich endlich mal wirklich traditionell.
Der ganze Grund dafür, dass heute viel mehr Leute wohlhabend sind als vor 3000 Jahren, das ist nicht bloß Fortschritt oder Marktgeschehen, das ist: Die Entwicklung der Menschlichkeit. Regeln wurden geändert, Beschränkungen gekappt, Zusatzleistungen gewährt.
Die Künstlersozialkasse ist so eine Einrichtung. Hat mit Markt nichts zu tun, ist aber ein Segen.
So ein Segen kommt nie, niemals aus dem Beharrungswillen heraus. Sondern immer bloß aus der Empathie, letztlich also aus der Vernunft.
Denn von Fairness in einer Gesellschaft profitieren alle. Niemandem ginge es schlechter, wenn ein Musiker von seiner Arbeit ordentlich leben könnte, genausowenig wie wir darunter leiden, dass DM höhere Löhne zahlt als Schlecker.
Wie man das alles organisiert? Keine Ahnung.
Vielleicht sollte ich für den Piratenvorsitz kandidieren. Keine Ahnung ist da ja gerade sehr en vogue.
Es soll jeder von seiner Arbeit gut leben können. Dennoch ist es nicht so, dass die Gesellschaft dem Künstler ein Vermarktungsmodell schuldet, mit dem dieser überleben kann. Darum muss er sich bitteschön selbst kümmern, so wie alle Selbständigen sich drum kümmern müssen. Und wenn ein Selbständiger/Künstler nicht schafft, seine Leistung so zu vermarkten, dass er davon leben kann, dann muss er den Job wechseln. Selbst wenn er sich dann halt nicht mehr “selbstverwirklichen” kann. Das können viele andere auch nicht.
märkte sind aber auch so: wenn deine ware nicht nachgefragt wird bleibst halt drauf sitzen und verdienst nix. blame who? da kommt man dann ganz schnell zu, bedingunglosen grundeinkommen.
Es gilt wie immer (gibts da schon ne Regel für?) den letzten Absatz eines jeden Artikels kann man sich sparen.
Aber sonst mag ich die Argumentation sehr.
Und wo ist denn der flattr-button? *Lieber flattern als liken*
@micha: Märkte sind nicht mehr so. Das mag bei Mehl oder Milch so sein, denn das brauchen die Leute. Die meisten Dinge braucht heute aber keiner mehr. Da muss erst ein Bedarf generiert werden. Braucht man wirklich den neuen Geilette Mach256 Rasierer? Haben sich unsere Großväter etwa nicht auch anständig rasieren können? Paradoxerweise haben wir auch noch verinnerlicht, dass die Befriedigung dieses generierten Bedarfs unser alleiniger Weg zum Glück sei.
Brauchen die Leute etwa Musik und Literatur? Tut’s das nicht, was im Fernsehen kommt und im Radio? Natürlich, mir tut’s das nicht, ich habe eine Plattensammlung und einen Regalmeter noch ungelesener Bücher. Ich kenne aber genug Leute, die keine Musiksammlung und kaum Bücher haben und auch keine brauchen.
Würden wir Kultur und Marktwirtschaft konsequent zusammenbringen, so würde ab sofort keine klassische Musik mehr aufgeführt und es gäbe keine Theater mehr.
Der ganze Grund dafür, dass heute viel mehr Leute wohlhabend sind als vor 3000 Jahren, das ist nicht bloß Fortschritt oder Marktgeschehen, das ist auch und vor allem: das Ergebnis billiger Energie.
@silentjay Dann kann man sich also jeden Artikel sparen, denn ein Absatz ist immer der letzte und diesen kann man sich sparen bis kein Absatz mehr übrig ist.
Du hast ja grundsätzlich Recht, Malte. Trotzdem argumentierst du (aus meiner Sicht) am Thema vorbei, denn du schießt sich auf das Argument “Künstler haben eh nie viel verdient” ein. Du beantwortest es mit einem wunderbaren Rant, der aber leider verschwendet ist, weil das Argument, das attackiert wird, einfach saudumm ist.
Und zu deinem letzten Satz: gegen die Piraten nachtreten ist wohl zur Zeit en vogue, da möchte man wohl auch mal gegen den Strom schwimmen…
Ich lehne mich mal ein wenig aus dem Fenster und behaupte, dass hier Karl Marx grüßen lässt!
Du hast eine seltsame Art zu mäandern. Aber der Gedanke gefällt mir: Sozialschutz bzw. soziales Verhalten ist einer der wesentlichen Merkmale menschlichen Fortschritts. Aber was heißt das? Historisch gesehen ist der Sozialschutz ja nie verschenkt worden. Eigentlich müsste eine Musik-Download-Plattform der Musiker her. Warum besitzen nun gerade wieder Apple und Amazon die größten Musikläden im Internet?! Praktisch gelangen die Verwertungswege immer in der Hand von Managern, die kein Instrument spielen, aber wissen, wie man die Kasse so bedient. Manager verformen beinahe jede wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeit in eine partiell Sinnlose, das machen sie aber perfekt. Bestes Beispiel dafür sind die Parfüm-Verkaufstalente, die in die Thalia Buchhandlung verpflanzt wurden und nun eben die Verlage ausquetschen. Vermutlich ist Teil des Unbehagens an der Verwertungskultur, dass die Künstler sich ausgerechnet diese Ausquetscher als Strohhalm gesucht haben.
“Cashmusic” könnte so eine offene Plattform werden. Wäre eine öffentlich-rechtliche, demokratisch verwaltete Vertriebsplattform für Kulturprodukte denkbar, eine Art genossenschaftlicher Urheber-Direktvertrieb, wo die Manager die Mägde wären und nicht die Herren?
Nur nebenbei: Vor dem Geld gab es Grundbesitz. Landbesitzer und Landlose. Der Grundbesitz der Künstler sind ihre Urheberrechte. Wenn sie die in keiner Form mehr wahrnehmen können, irren sie wie Vertriebene durch die Welt, als “Landlose”.
“…Nein, Kassiererin sein, das macht ja keinen Spaß. Künstler sein dagegen schon. Deshalb ist es völlig in Ordnung, wenn der Letztere die Miete nicht bezahlen kann. Er hat ja Spaß…”
Der Wert der Arbeit einer Kassiererin ist eben viel einfacher einschätzbar bzw. vermittelbar, er liegt zumindest ganz klar über Null. Der Wert des Gedichtes des Künstlers G.G. über Israel ist da schon deutlich unklarer…
“…Die Rechnung ist doch leicht: Geht das Unternehmen Pleite, obwohl es Gewerkschaften fernhält und Dumpinglöhne zahlt, dann wäre es doch mit fairen Löhnen und Gewerkschaften erst recht nicht profitabel gewesen…”
Falsch. Die gesamte Organisations-Struktur eines Unternehmens ist entscheidend, nicht ausschließlich die Lohnkosten.
“…Aber dieser Enthusiasmus ist doch bei der Kunst, in den Medien gegeben…”
Die wirklich großen Geistesmenschen arbeiten nicht aus einem Enthusiasmus bzw. Spaß heraus, sie folgen einem inneren Zwang oder ggf. einer Mission, ihr Motto ist (und war immer) “Hier stehe ich, ich kann nicht anders”.
“…Wie man das alles organisiert? Keine Ahnung…..”
Wohl wahr…
Nachtrag:
“…Wie man das alles organisiert? Keine Ahnung…”
Könnte DER neue Wahlkampf-Slogan der Piraten werden.
Sofort für die Bundestagswahl die Rechte sichern…
Wenn du Piratenvorsitzender wirst, trete ich bei den Grünen aus und wähle “euch”. Ohne Scheiß jetzt.
@Ernst: Hätten sämtliche Künstler, die kaum von ihrer Kunst leben konnten, irgendwann die “Selbstverwirklichung” aufgegeben, wären wir heute wohl um 98 Prozent der Kulturschätze ärmer.
Der ganze Grund dafür, dass heute viel mehr Leute wohlhabend sind als vor 3000 Jahren … ist aber auch, dass wir heute die Ressourcen viel intensiver ausschöpfen, viel mehr Land viel intensiver beackern, viel mehr Flächen verbaut haben, viel mehr verbrennen und die Arbeitskraft auch viel effektiver ausnutzen, wir uns u.a. ein Herr an billigen Arbeitern in China halten … usw.