Ich habe mal richtig viel Fernsehen geschaut, Ende der Neunzigerjahre ist das gewesen. Ich benutzte Fernsehen als Betäubungsmittel, um über den Tod meines Vaters hinweg zu kommen. Monatelang schaltete ich morgens Kerner an und schaute durch bis Domian. Dazwischen Arabella, VIVA, VIVA II, MTV, Nachrichten, Promi-Flashs, Raab, Dings, Soft-Erotik.
Alles war laut und hässlich, genau das, was ich brauchte, aber eines Nachts sah ich in der Wiederholung einer Bärbel Schäfer-Folge eine so brutale Überdosis von Hässlichkeit und Niedertracht (zwei Säufer freuten sich, nicht als Vater eines unglücklichen Säuglings infrage zu kommen), dass ich geheilt war.
Es ist sowieso ein Irrtum, das Fernsehen für das Medium der Schönheit zu halten. Hier regiert das Hässliche, selbst die Models, die dauernd irgendwo gecastet werden, sehen in ihrer buckelnden Eifrigkeit scheußlich aus. Schönheit gibt es nur im Zusammenhang mit Produkten, in den Ästhetik-Inseln der Werbung.
Gerade war da noch der Parfum-Mann oder der Bier-Mann oder der Chips-Mann, der mit den vielen Freunden, jetzt sitzt da wieder Rainer Calmund oder der, der mal einen Schnauz hatte oder der, der bei Bild.de Witze macht, oder der, der früher mal Fernsehen gemacht hat und jetzt seine Rente auf dem Bildschirm abfeiert: Harald Schmidt. Irgendwann wird er so eine Art großer alter Mann des Bumswitzes sein, jetzt ist er das Mehltau gewordene Mahnmal der Langeweile, ein nicht enden wollendes Schlafwandeln, nein, Irrtum: Er ist ein Ghost Jobber.
Ein Ghost Job ist eine Stelle, meistens in einer großen Firma, die längst überflüssig geworden ist, aber bei irgendeiner Umstrukturierungsmaßnahme hat irgendein 23-jähriger Unternehmensberater vergessen, diese Stelle abzuschaffen. Nun ist dem Ghost Jobber niemand mehr vorgesetzt, er muss niemandem Zahlen präsentieren, er kommt zur Arbeit, nur für den Fall, dass es mal einen arbeitsrechtlichen Prozess gibt, er will sich dann nichts vorwerfen lassen müssen, aber es ist alles so schrecklich egal. So egal.
Es ist, als hätte ich in einer Ecke des Wohnzimmers einen stummgeschalteten Jahrmarkt stehen. Würde man ihn zum Leben erwecken, dann wäre er zunächst einfach nur wahnsinnig laut, dann erst würde man die einzelnen Geräusche als Werbung deuten können oder als Frauke Ludowig oder als Polizeisirene.
Fernsehen, das sind afro-amerikanische Knastinsassen, die in der aberwitzigen Synchronisation Bühnenhochdeutsch sprechen. Fernsehen, das ist Bohlen mit seiner gebräunten Haut und seinen blassen Augen,der Blockwart des Ballermann. Fernsehen, das ist Micaela Schäfer, die nackteste Frau der Welt. Und Fernsehen, das ist Talk. Endloser Talk. Immer wieder Talk. Nicht über alles. Sondern immer über dasselbe.
Man sollte keine Sekunde glauben, dass es sich bei den auf staatstragend lackierten Abendtalkshows um etwas anderes handelt als bei den berüchtigten Nachmittagtalkshows der Neunzigerjahre. Niemand erinnert sich an den letzten Skandal, der von Journalisten einer Fernsehsendung ins Rollen gebracht wurde.
Früher deckte man Skandale auf, heute spricht man drüber. Was denkt denn wohl Helmut Dietl über Christian Wulff? Ist irgendein ehemaliger Politberater noch nicht befragt worden, ob er Guttenberg für einen Plagiator hält? Kenne ich etwa die Meinung von Roger Willemsen zur drohenden Griechenland-Pleite nicht, kann mir entgangen sein, was Veronika Ferres von der Bankenkrise hält?
Weiter in der Berliner Zeitung
Sehr gut. Ich kann leider jeden Satz unterschreiben…
Applaus dafür. Und ich unterschreibe auch.
Gut gebrüllt, Malte. Gefällt. Ich finde mich wieder. Vor über zwei Jahren sind mir Frau und Fernseher verloren gegangen. (Es war ihrer, der Fernseher). Ab und zu denke ich, eine Frau wäre schon schön. Aber nach einem Fernseher habe ich mich seither nicht gesehnt. Von meinen Bekannten haben einige auch keinen. Aber Ami-Serien auffem Rechner glotzen, das tun sie. Gut getroffen!
Hier im akademischen Tübingen ist die Fernsehbesitzerquote sowieso gering. Dafür kann man sich ein bisschen kleiner Bürgerlichkeit in mehreren Kneipen gönnen: Gemeinsam am Sonntag Abend Tatort auf der Leinwand kucken. Das macht den Tatort nicht besser, gibt aber einen festen Anker in der Woche und mit ein paar Bieren in Gesellschaft wird das Ganze dann aufgewertet.
Mich stört auch massiv, dass in fasst jeder Sendung die Menschen dazu animiert werden, schlecht über andere in der Sendung zu reden. Wenn sie das nicht machen, erledigt es der Hanswurst aus dem Off. Ich finde diese Kultur des Fertigmachens grausam und bin froh, nicht mehr in die Verlegenheit kommen zu können, das anzuschauen.
Was den Rest der Story angeht: Kultur in Deutschland ist, wie ich irgendwo mal bei ZEIT ONLINE bissig kommentierte, eben das, was Goethe bis Schiller und Bach bis Wagner gemacht haben. Wenn man es klopft und es mächtig staubt, dann ist es entweder ein Mehlsack oder das, was in Deutschland als Kultur angesehen ist.
Oh, die Welt ist schlecht und besonders das Fernsehen. Sie machen es sich in Ihrem Artikel etwas zu einfach. Fernsehen wird für die Gesellschaft gemacht und die bekommt was sie möchte. Jeder kann das beeinflussen indem man einfach solche Sendungen nicht mehr schaut. Haben solche Sendungen keine gute Quote mehr, werden sie in den meisten Fällen abgesetzt. Mal wieder das Fernsehen als Sündenbock darzustellen ist einfach zu kurz gegriffen und ja, auch langweilig weil schon hundertmal gehört. Anstatt zu beschreiben wie schlecht das Fernsehen doch ist, würde ich mir eher einen Artikel wünschen mit Ideen, wie Sie sich gutes Fernsehen vorstellen.
[...] amen. eine abrechnung mit dem deutschen fernsehen (malte [...]
Leider, Frau Peter, haben sie die feinen Differenzierungen in der Kritik so gar nicht mitbekommen. Das ist ja das Problem. Dass Fernsehen nur noch für die stattfindet, die sich am Lauten und Hässlichen nicht stören. Die, die gute Unterhaltung suchen haben sich vom TV verabschiedet oder sich gar nicht erst dran gewöhnt, wie die ganz jungen Leute, für die sich das meiste in und rund ums Netz abspielt. Damit hat gutes Fernsehen (im Moment zumindest) einen schweren Stand. Hinzu kommen wahlweise noch die Betonköpfe oder knallharten Rechner in den Sendern. – Wobei ich nicht ganz zustimmen kann. Ich finde schon, dass sich bei den Sendern zumindest ein bißchen was bewegt und dass der Zuschauer z.B. auch wieder mehr britische Serien entdeckt. Denn nicht alles, was der Ami so produziert ist reines Gold. ;)
[...] Veränderungen zu tun, sondern ist leider in vielen Punkten auch hausgemacht. Malte Welding hat in diesem Beitrag wunderbar beschrieben, was das Problem ist: Das Fernsehen latscht inhaltlich geradewegs in die [...]
[...] Welding: »Stirbt das Land? Ja, es stirbt. Vor Langeweile. Eine Abrechnung mit dem deutschen Fernsehen« (www.malte-welding.com, [...]