Ein komischer Brief sei gekommen, sagte die Lieblingslektorin gestern Nachmittag und ich dachte, dass das ja eigentlich eine Tautologie ist: Extrem erfreuliche oder traurige Dinge erfährt man gleich am Telefon, die egalen per Mail, nur die komischen, die kommen immer per Post. Tatsächlich war dieser Brief so komisch, dass ich nicht lachen konnte. Ich wurde als Beschuldigter vorgeladen vom LKA Berlin. Delikt: Gewaltdarstellung. Tatort: Meine Wohnung.
Da ich nur ganz selten Kriegstänze in meiner Wohnung aufführe und dabei streng darauf achte, dass die Vorhänge zugezogen sind, schloss ich mit verbliebener Geistesschärfe, dass es sich um ein Delikt, das ich im Internet begangen hatte, handeln musste.
Ich rief also beim Landeskriminalamt an und fragte die freundliche Dame am anderen Ende der Leitung, was ich denn getan hätte, mir werde Gewaltdarstellung vorgeworfen. Ihr zuständiger Kollege sei leider nicht da und genaueres könne sie mir daher nicht sagen, aber dabei ginge es meistens um Musik. Ob ich Musiker sei, der rassistische Musik produziere? Nein, sagte, ich, ich schreibe. Meistens über meine Katze oder mein Kaninchen, dachte ich. Sie notierte meine Nummer und versprach, ihr Kollege werde mich am nächsten Tag anrufen.
Ich schaute mir nun in meinem alten Strafrechtskommentar das Delikt genauer an und dachte: Das bin doch nicht ich. Ok, ich bin wegen Bummelantentums durch die Jediprüfung gefallen, ich nehme zu viele Schutzimpfungen in Anspruch und belaste so die Solidargemeinschaft, ich rege mich bei Anne Will absichtlich auf, um irgendwie an ein bisschen Schärfe zu kommen, die meinen kaninchenlastigen Texten so sehr abgeht, aber Völkermordgutheißung, Happy Slapping und Aufpeitschung zum Rassenhass gehören einfach auch nach extremer Selbsterforschung nicht zu meinen Makeln.
Hatte ich vielleicht etwas Brutales getwittert? Ich klickte mich bis zum fraglichen Zeitpunkt durch meine Timeline und ich kann nur jedem davon abraten, das zu tun: Twitter mag als Momentmedium funktionieren, auf einem Haufen sehen die Tweets aber doch eher aus wie: Haufen. Als wäre man mit dem Ergebnis aller Morgentoiletten des vergangenen Jahres konfrontiert. Ich bin ein einziges pubertäres Schenkelklopfen, das fällt mir noch mehr auf, wenn ich gerade vom LKA beschuldigt werde, Gewalt verherrlicht zu haben.
Langsam wurde ich nervös. Ich ging auf die Homepage des LKA und schaute mir die Abteilung an, die für mich zuständig ist. Schwere und schwerste Kriminalität wird dort behandelt. Mein Magen machte einen Purzelbaum genau wie ich ihn früher gemacht habe. Langes Verharren am Umschlagpunkt und dann schief ab nach hinten links. Mein Kriminalkommissar ist zuständig für die Vergewaltigung von Kindern und Gewaltdarstellung.
Ich sah mich in einem grün gekachelten Flur zusammen mit dem Abschaum der Gesellschaft, ein Uniformierter schleppte mich in Handschellen zu einem riesigen Stempelkissen, in das er absichtlich grob meine Finger drückte. Ich würde polizeilich erfasst sein, sozial gedemütigt, innerlich taub und von den Gerichtskosten aufgefressen werden.
Ich telefonierte mit einem befreundeten LKA-Beamten aus Nordrhein-Westfalen, der mir riet, zu schweigen, was ja nun leider nicht zu meinen Kernkompetenzen gehört. Vielleicht werde in den nächsten Tagen meine Wohnung durchsucht werden, ich könnte ja die Rechner vorher in Sicherheit bringen, die wären dann nämlich erstmal weg, wenigstens drei Monate. Das Problem beim Verbringen von Rechnern in Sicherheit ist aber leider, dass sie dann auch nicht da sind, wo sie hingehören. Außerdem enden die erstaunlich engen Humorgrenzen der Lieblingslektorin spätestens bei dem Vorschlag, ihre Laptops doch mal eben beim Nachbarn unterzubringen.
Ich wurde appetitlos, ein Zustand, den ich immer begrüße, gerade vor der Badehosensaison, aber er machte mir keine Freude.
Meine Gedanken drehten sich um Bewusstseinsabspaltungen, in denen ein von Dämonen besessener Malte hitlerfreundliche Raptexte auf Vimeo veröffentlicht, um Identitätsdiebstahl und ein paar wirklich abgründige Sachen. Ich schlief ruhe- und dankenswerterweise traumlos.
Dann rief eben mein Kriminalkommissar an. Es handele sich um ein Video einer Hexenverbrennung (Link zum Artikel, Video habe ich rausgenommen). Jemand hat mich angezeigt.
Die letzten Worte des einleitenden Textes sind: “Mir ist es nicht gegeben, für die Seelen der Unglücklichen zu beten und in meiner Vorstellungswelt kann dieses Grauen auch nicht ausgeglichen oder mit Sinn ausgestattet werden. Was bleibt, ist nicht viel. Ach: Scheiße, verdammte.”
In zwei Wochen habe ich den Termin, der Kommissar war sehr nett und ich bin zuversichtlich. Aber was für seltsame Menschen es doch gibt.
Aus irgend einem Grund habe ich gelesen:
“IKEA ermittelt gegen mich wegen Gewaltdarstellung”
Das hat mir sehr seltsame, aber auch sehr schöne 30 Sekunden beschert.
Dass Dich die Anzeige verärgert ist nachvollziehbar, aber dass sie Dich als studierten Juristen erstaunt erstaunt mich. Das Video war nichts anderes als Gewaltdarstellung, und so gerne ich dein Blog lese: das Argument, dass auch Kinder das tun ist halt genau so unvermeidlich wie wahr. Trotzdem alles Gute.
Ich hab direkt bei der Überschrift an das Video denken müssen. Die Anzeige ist schon wirklich grotesk, allein wenn man bedenkt, dass der Artikel vor fast einem Jahr veröffentlicht wurde. Wenn man dann noch deine deutliche Abscheu vor dem Video bedenkt, wird vollends unverständlich. Juristisch kann ich das zwar nicht beurteilen, aber sollte dir eben diese Distanzierung vom Inhalt nicht zugute kommen? Wünsche dir auf jeden Fall, dass das Ganze glimpflich verläuft.
@Falk
Es hat eben mit dem Studium zu tun, dass ich den Gesetzestext ganz lese:
“(…) in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt”
Verherrlichung? Verharmlosung?
Ich zeige doch auch nicht die Tagesschau an, wenn ich dort Tote sehe.
Hast Du Dich nicht ausdrücklich in Deinem Text gegen diese Gewaltdarstellung gewandt und Deine Abscheu kund getan? Hast Du! Insofern hast Du m.E. nichts anderes getan, als ein Video, das durch die “strengen” YouTube-Richtlinien geschlüpft ist, zu kommentieren. Journalistisch, wenn man so will.
Wäre schön, wenn die kenianischen Behörden so gewissenhaft gegen solche Schweinereien vorgingen wie deutsche Behörden gegen jemanden, der diese unmöglichen Zustände kommentiert. Letztlich macht die Tagesschau nichts anderes. Tag für Tag.
Aber wo angezeigt wird, da wird eben ermittelt. Rechtsstaat und letztlich folgerichtig.
Wenigstens wirst Du wissen, wer Dich angezeigt hat, damit das alles einen Namen bekommt, vielleicht sogar ein Gesicht. Ich hoffe und denke, die Sache wird sich in Wohlgefallen auflösen. Ich drücke die Daumen!!!
Als ich die ersten Zeilen las, musste ich irgendwie sofort an das Video denken. So ne Scheisse. Ich hoffe, das geht alles gut aus. Viel Glück!
Wirst Du denn erfahren, wer Dich angezeigt hat? Oder weißt Du es gar schon? Kann eigentlich nur etwas Persönliches sein.
@Malte: Ja, natürlich hast Du nichts verherrlicht, im Gegenteil. Und deshalb wirst Du ja auch höchstwahrscheinlich nicht bestraft werden. Das LKA ermittelt doch bloß, und das tut es, weil eine besorgte Mutti keine Gesetzestexte liest. Und weil der auch deine Distanzierung egal ist, solang der Bengel sich mit seinen Freunden eine Hexenverbrennung anschaut.
Erstmal: Lustiger Text und lustige Situation. Wenn es nicht wirklich Leute (dich) gebe, die ihr ausgesetzt sind.
Ich erinnere mich aber, dass das mit dem Video schon ein wenig blöd von deiner Seite aus gemacht war. Da hat man den Artikel angeklickt um die ersten Sätze zu lesen und hat gleich Geschrei gehört wegen dem Auto-Play des Videos.
Klar, du bist im Recht und hast nichts verbrochen. Aber mich wundert es nicht unbedingt, dass jemand (der weniger Ahnung von Recht hat, als du) und sich darüber echauffiert/ärgert oder gar verstört wurde, dich anzeigt. Weil du – in seinen Augen – eben Gewalt “dargestellt” hast. Gegenüber ihm. Was er nicht wollte.
Ich meine es gibt Leute die zeigen andere Leute an, weil sie vor fremden Gartenzäunen parken. Da verwundert es doch wenig, dass es Leute gibt, die andere anzeigen, weil sie Videos posten, in denen Menschen verbrannt werden. Verstehst du, was ich meine?
Wünsche dir natürlich beste Zuversicht und Entspannung und einen guten Ausgang sowieso. :)
Das sind die Hater.
Alles darf passieren, solange man es nur nicht sehen muss.
Ich muss zugeben, dass ich es mir auch nicht angeschaut habe, aus Angst, das nicht mehr loszuwerden. Aber anzeigen, das ist dann schon ein wenig sehr gartennaziesk. Es passiert ja.
Na Klasse. Manche Leute haben doch echt den Schuss nicht gehört. Zeigen die auch alle an, die das letzte WikiLeaks-Video verlinken?
von mir auch Mitgefühl und viel Glück. Ich wusste allerdings auch gleich mit der Überschrift, um welches Video es wohl geht – mir war das damals sehr negativ aufgefallen. Zumal ich hier vor allem wegen pubertärer Schenkelklopfer reinklicke und mir die krasse Gewalt damals die Frühstückspause versaut hat.
Aber wird schon nix bei rumkommen.
Mal eben den Vetter zitieren:
“Ob man der polizeilichen Vorladung folgt, muss man selbst entscheiden. Eine Pflicht zum Erscheinen gibt es nicht.”
http://www.lawblog.de/index.php/archives/2005/11/29/ftpwelt-keine-belege/
“Eine Aussagepflicht besteht nur auf (schriftliche) Vorladung durch die Staatsanwaltschaft.
Davon völlig unberührt sind die normalen Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungsrechte, etwa nahe Verwandtschaft oder die Möglichkeit, sich mit einer Aussage selbst zu belasten.”
http://www.lawblog.de/index.php/archives/2009/11/04/auf-der-wache-diskutieren/
Gewaltdarstellung – Was dürfen Medien zeigen?…
Malte Welding wurde angezeigt – wegen Gewaltdarstellung. In seinem Artikel vom 14.04.2010 schildert er den Empfang eines Briefes des LKAs und seine Ratlosigkeit, um was es sich handeln könnte. Als ich das Wort “Gewaltdarstellung” in d…
Ich dachte ja es geht um den treudeutschen Nachwuchsrapper, den Du hier verlinkt hast.
ich weiß schon warum ich nie unter klarnamen gebloggt habe, diese seltsamen juristischen verwicklungen die man sich in deutschland damit einhandelt anzeigen, abmahnungen etc. … wenn wirklich was anliegt ist man natürlich trozdem dran, aber diese drive-by-aktionen spart man sich. alles gute und halt die löffel steif.
Ich finde es echt unglaublich, andererseits wieder so vorhersehbar.
Das ist alles eine große Sache.
Das ist das selbe wie damals mit den durchgestrichenen Hackenkreuzen auf der Jacken von Leuten. Oder wenn in Amerika Politiker Sexualkundeuntericht kriminalisieren wollen, weil man damit “Kinder” zu Tätern oder Opfern erzieht.
In allen 3 Fällen geht es den Klagenden überhaupt nicht um das Wohl irgendeines Menschen. Er hat nur auswendiggelernt das Menschenverbrennungen, Hackenkreuze und Sex schlecht ist. So etwas darf man nicht zeigen. Sie würden es aber nie erkennen wenn ein der Nachbar gewaltätig gegenüber seiner Frau ist, der eigene Ehemann ein Rassist ist oder der Gemeindepastor Kinder missbraucht. Das erfordert höhere Intelligenz als Auswendiglernen und außerdem auch Interesse für das Wohl anderer.
Tut mir Leid das man dir das antut.
Das ist so scheiße auf so vielen Ebenen.
Viel Glück.
@bongokarl:
Und ich erinnere mich, dass Malte auf Twitter gewarnt hatte, dass man am besten den Ton ausstellen sollte, bevor man in den Link klickt. Ich habe das getan und das Video nie angeschaut. Ich wusste, dass ich das nie wieder aus meinem Kopf kriegen würde, deshalb.
Ich hatte auch zu Beginn Deines Textes sofort an dieses Video gedacht, habe es also auch nicht vergessen können, obwohl ich es nicht mal gesehen habe.
Aber egal, dich deswegen anzuzeigen, ist absoluter Dreck! Die Person hätte sinnvolleres mit ihre Zeit anfangen können, zum Beispiel Unterschriften gegen Hexenverbrennungen in Kenia sammeln oder Kindern den verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet beibringen oder sie hätte Dich zum Beispiel einfach mal anrufen können und Dich bitten, das Video runterzunehmen, wenn es sie stört…
Ich hoffe, Du bekommst Recht und vor allem, dass Du Dich in Zukunft nicht unbewusst selbst zensierst…