Im Fußball ist es Sitte geworden, bei einem Tor, das man gegen einen ehemaligen Verein erzielt, nicht zu jubeln. Und so ergeht man sich auch als Teil der Doppelspitze der CDU/CSPD-Fraktion nicht in Häme, wenn man sich gerade einen Treffer gutschreiben konnte. Den Asse-Skandal präsentierte Steinmeier also nicht unter Triumphgeheul und auch der Satz “Ihre Partei hat das Land an die Atomlobby verschachert” fiel nicht. Stattdessen bröselte Steinmeier längliche Wortbrocken dahin, die nur einen Sinn ergaben, wenn man mit der Atomdebatte vertraut ist wie ein Gorlebener Bauer. Und auch sein Trikot lüftete er nur für einen Moment, zog es aber selbstverständlich nicht über den Kopf.
Ein altes Ehepaar sahen die vier (in Zahlen: 4) Moderatoren, befürchteten nacheinander “ein Duett, kein Duell” und waren irgendwie seltsam überzählig. Ein Journalist anstelle von vier (4) Moderatorendarstellern, die wirkten wie ein alter Harem, hätte dem Spiel gut getan. Nur eine Hintertorkamera vermisste der Zuschauer schmerzlich. So konnte am Ende niemand mit Bestimmtheit sagen, wer sich häufiger in seinen Worthülsen verfranst hatte. Es beckenbauerte gewaltig, leider nur auf der sprachlichen, nicht auf der spielerischen Ebene.
Bildung war kein Thema, das ist wenigstens ehrlich, denn zur Bildung hat der Bundeskanzler weniger zu entscheiden als irgendein nur seiner Mutter und engstem Freundeskreis bekannter Kultusminister eines beliebigen Stadtstaates, Flächenlandes oder Zwergenappendix.
Früh legte sich Steinmeier fest, dass er zwar gerne gewönne, aber keine Möglichkeit sieht, dies tatsächlich zu bewerkstelligen. Die Linkspartei lehnt er als Koalitionspartner ab, weil er gerne unbegrenzt in Afghanistan bliebe. Nun kann man mit guten Gründen in Afghanistan bleiben (einem Land, dessen Regierung gerade erst beschlossen hat, dass Männer ihre Frauen verhungern lassen dürfen, wenn sie ihnen sexuell nicht zu Diensten sind, was auf nebulöse Weise ein Fortschritt sein soll), es bleibt nur die Frage: Warum sollte man mit der Linkspartei nicht in Afghanistan bleiben können? In Berlin erweist sich doch eines auf jeden Fall: Keine andere Partei sieht sich so wenig an ihr Programm gebunden wie die Linke. Eine absurde Vorstellung, Petra Pau würde auf ihren Gedönsministerposten verzichten wegen irgendwelcher zivilen Opfer. Die Linkspartei hat sich in ihrer ganzen Geschichte noch nicht für zivile Opfer interessiert – oder waren die Mauertoten keine zivilen Opfer?
Die Linkspartei wegen ihrer Haltung zu irgendetwas auszuschließen bedeutet, jemanden an sein Geschwätz von Gestern zu erinnern, dem sein Gedächtnis bei einer Identitätskrise samt Namensverlust abhanden gekommen ist. Ist das klug?
Wenn nun aber Steinmeier, da hatte Merkel Recht, nur Kanzler werden kann mit der FDP – und er gleichzeitig nicht müde wurde zu betonen, wie gut es mit der CDU lief – warum ist dann die CDU/FDP-Koalition ein Schreckgespenst?
Es gibt gewaltige Unterschiede zwischen SPD und CDU. Von der Leyen, Schäuble, Jung, um nur die wichtigsten zu nennen. Sinn einer solchen Performance ist es, diese Unterschiede zu verdeutlichen. Spielt man als beinahe schon abgeschlagener Tabellenzweiter allerdings auf Unentschieden, dann ist das etwas wenig.
Dann aber die Schlussoffensive: Restverteilungsmasse. So ein Wort zaubert Steinmeier in der Schlussminute aus dem Hut, einfach so. Unwillkürlich fragt man sich, ob er auch, während er ein Frühstücksei köpft, murmelt: “Schatz, reichst du mir mal die Restverteilungsmasse und die Untersuchungsauschussschlussbesprechungsprotokolle?”. “Die Restverteilungsmasse der Volksparteien ist kleiner geworden”, lautete der ganze Satz. Die Restverteilungsmasse fühlt sich nicht mehr ganz ernstgenommen und schon gar nicht vertreten von den beiden eineiigen Eiern auf der Bühne.
Mit Mühe sah die Restverteilungsmasse Steinmeier vor Merkel (Steinmeier wird auch bei Verkündigung der Umfragen sein Trikot nicht über den Kopf gezogen haben, um sein Jesus loves You-Shirt zu zeigen), stellte aber lauter werdend die Frage: “Können Sie uns nicht noch etwas Drittes zeigen?”
Es gibt bei den Koalitionären gar keine gewünschte Alternative zur großen Koalition. Deshalb konnte es auch kein Duell geben. Es fielen keine Schüsse, man hat nicht einmal den Revolver gehoben. Eher mal zur Seite geschossen – der Verlierer an diesem Abend war Westerwelle. Das ist der einzige, der der großen Koalititon gefährlich werden kann, weil die Ergänzungsparteien links von der SPD sich immer weiter ausspalten. Und Merkel möchte die FDP nicht, weil sie weiß, welche Schwierigkeiten daraus für Sie folgen werden, wenn im nächsten Jahr die sozialen Konflikte richtig hochkochen. Die Perspektive für 2010 ist ja nicht rosig. Mit der FDP als Partner würde die CDU derartig den Bach heruntergehen in den Ländern, dass dann in Berlin gar nicht mehr zu regieren wäre. Der Gewinner des Abends ist: die Koaliton. Und nur Traumtänzer denken, da hätten sich Kontrahenten gegenüber gestanden.
Klasse Artikel. Nichts hinzuzufügen. Lesenswert. Danke. War ein netter Abend auf Deinem Blog und nicht der Letzte.
Grüße
Allerdings Lesenswert!
Danke!
Schade dass Du die billige FDP-Hetze gegen die Linken übernimmst. Ich bin etwas mehr selbstständiges Denken von Dir gewohnt. Das Gerede von “Mauermördern” passt eher in einen CSU-Flyer als in einen vermeintlich seriösen Text. Wenn irgendwer was mit diesen Sachen zu tun hatte, saß / sitzt die Person im Gefängnis und ganz sicher nicht im Bundestag. Die Identitätskrise von der Du redest, trifft die SPD, nicht die Linke.
Und zu Berlin: Koalitionen haben nunmal das Merkmal, das die kleinere Partei weniger Forderungen durchsetzen kann, als die Große.
@Onkel Doktor
Deswegen finde ich es ja bedauerlich, dass diese Koalitionsoption ausgeschlossen wird. Und ja: Vermutlich sitzen in absoluten Zahlen mehr ehemalige SEDler in der CDU als in der Linken, zumindest rechnet Gysi das immer wieder vor und der Mann ist mir sympathisch.
Andererseits hat diese Partei Oskar “Fremdarbeiter” Lafontaine in ihren Reihen und wirkt damit nicht gerade als Vertreterin der reinen linken Lehre.
Und was die Mauertoten angeht: Is es nicht so, dass die Linke noch als PDS regelmäßig in den ehemaligen Stasibezirken die meisten Stimmen erhielt? Warum war das denn so?
Lafontaines Fremdarbeiter-Äußerung war wirklich unglücklich, aber dafür wurde er auch parteiintern zurechtgewiesen. Nur muss man auch die Geschichte dahinter kennen. Lafo diffamierte nicht pauschal ausländische Arbeiter, wie das ein gewisser Ministerpräsident der CDU getan hat, sondern er kritisierte die damals gängige Praxis, dass sich deutsche Unternehmen polnische Mitarbeiter zulegen und dann unter polnischen Lohnbedingungen in Deutschland arbeiten lassen – wodurch Unternehmer natürlich lieber billig arbeitende Osteuropäer genommen haben als Deutsche – da gibt es jetzt glaube sogar ein Gesetz dagegen. Generell habe ich am “antifaschistischen” Kurs der Linken keine Zweifel.
Zu den Wahlen in diversen Stasivierteln kann ich nichts sagen, vorstellbar ist das durchaus. Aber der heutige Linke-Wähler hat sicher nichts mit der Stasi zu tun, sondern wählt die einfach weil ihm die anderen Parteien zu neoliberal/ungerecht/was auch immer sind.