Paul geht in Führung

„Hast du Lust, gleich Tennis zu spielen?“
„Klar, hab momentan nichts zu tun.“
Momentan. Haha.
Wir verabreden uns bei TCW Sports. Mit 15 war ich mal Vereinsmeister in dem Tennisclub, den mein Vater gegründet hat. Na gut: In meiner Altersklasse. Waren nicht so viele in meinem Alter in dem Verein.
Adrian tritt tatsächlich in weißen Klamotten an. Mir fällt ein, dass Woody Allen in Annie Hall auch Tennis spielt. Passt zu ihm genauso wenig wie zu Adrian. Ich leihe mir einen Schläger, Adrian fachsimpelt mit dem Mann hinter der Theke über Bespannungshärten und aktuelle Tennisspielerinnen, deren Namen ich mir nie merken kann, weil ich sie mit denen aktueller Supermodels durcheinanderbringe.
Weil unser Platz noch nicht frei ist, stehen wir eine Weile nebeneinander. Adrian fragt, wie ich zurecht komme. Gut komme ich zurecht, sage ich.
„Die Wohnungssuche ist nervig.“
Adrian sagt, dass er froh sei, wenigstens seine Wohnung behalten zu können. Ob ich wüsste, dass Frauen meistens die Scheidung einreichten.
„Wusste ich. Und hab es auch immer irgendwie geahnt. Aber ehrlich gesagt war ich schon überrascht. Dabei habe ich die ganze Zeit überlegt, mich zu trennen.“
Adrian fragt, warum man sich denn von Greta trennen wollen würde. Aber das sei wahrscheinlich eine blöde Frage.
„Ach, gar nicht. Ich habs ja auch nicht getan. Wir waren schon sehr unterschiedlich. Aber auch sehr ähnlich. Sehr sehr ähnlich.“
„Zu ähnlich?“ fragt Adrian.
„Oder das Gegenteil.“
„Kennst du den Neuen?“
„Ob man da jetzt schon vom Neuen sprechen kann, ich mein, der ist doch nur so eine Tröstschulter.“
„Ein Schönling ist er. Hab die beiden kürzlich im Grill Royal getroffen. Kennst du diese Typen mit Reichenfrisur?“
„Wie dieser Franjo Pooth?“
„Wer?“
„Der Mann von Verona Feldbusch.“
„Die ist verheiratet? Na egal, jedenfall siehst du beim neuen Freund von Greta: der ist mit dieser Frisur zur Welt gekommen und so liegen die Haare Tag für Tag. So einer ist der. Ist bestimmt Unternehmensberater. Der hat so einen zielgerichteten Blick, so einen „Ich weiß, was ich will“-Blick.“
„Komm, lass uns spielen.“
Jetzt habe ich die ganze Zeit dieses Arschloch vor Augen. Wie er mit dem „Ich weiß, was ich will“-Blick Greta durch unsere – meine! – Wohnung vögelt.
Ich komme schwer ins Spiel, Adrian ist erstaunlich flink auf den Beinen, er schlägt die Bälle mit einem tückischen Slice, ich treffe sie ständig mit dem Rahmen, weil ich mir Gretas glückliches Gesicht in den Armen des Zielgerichteten vorstelle.
Wie sie sein weiches Haar streichelt, nachdem er sie stundenlang mit diamanthartem Schwanz wundgestoßen hat. Sein weiches, reiches Haar, das sie mit den Fingern zerteilen kann, während sie in meinem Rabbischamhaar immer hängenblieb. Was für eine gute Entscheidung, herzlichen Glückwunsch, Frau Ulmenthal, nach der Gewinnwarnung haben Sie genau richtig reagiert, schnell abgestoßen und auf Bluechips gesetzt, deutsche Traditionsfirma von Weltgeltung, Stahlaugenbranche. In mir schäumt das Testosteron, ich will einen Ehrenmord begehen, nein, mit einem Ehrenmord anfangen und dann zu den Dingen kommen, die richtig weh tun.

Langsam zerbricht Adrians hinterhältiges Spiel an meiner Wut, die zarten, genau gezirkelten Returns prügele ich ihm zurück in den Boden, meinen Aufschlägen kann er nur hinterhersehen, ich köpfe den Überbringer der schlechten Nachricht, was soll ich auch sonst tun?

Bei 6:4, 3:0 hören wir auf. Adrian ist sichtlich beeindruckt. Gut so. Wir gehen an die Bar und versuchen, nicht über Mascha und Greta zu reden, was nicht so wahnsinnig einfach ist, wie es klingt, weil das unsere einzige Gemeinsamkeit ist. Also beleidigt Adrian mich. „Warum schreibst du denn nicht mal was Richtiges, dieser Internetscheiß, das ist doch keine Dauerlösung.“
„Glaubst du, dass das Internet verschwindet?“
„Das Internet nicht und vor allem nicht die Deppen, die dort rumschmieren. Hat nicht einmal jemand Blogs als die Klowände des Internets bezeichnet? Klowände gibt es auch und wird es immer geben. Aber du willst doch kein Scheißstüberlliterat sein.“
Ich habe das Gespräch ab „rumschmieren“ auf Autopilot gestellt. Stattdessen beobachte ich ein blond-braunes Prinzesschen, das ein rosa Lacoste-Shirt trägt. Sie schaut mich an! Sie lächelt!
Ich schaffe es nicht, zurück zu lächeln.
Jetzt wispert das Prinzesschen mit ihrer kirschhaarigen Freundin. Die Freundin hat eine muskulöse Nase und schmale Beine, sie ist dieser Typ, auf den Männer stehen, die für Perversitäten offen sind.
Jetzt schauen beide zu mir, vielleicht aber auch zu Adrians prominentem Rücken.
Mist, das kann ich nicht ausschließen.

Mir fällt ein, dass ich in die Redaktion von watchberlin muss. Matze will mich verbreiten. Verflucht. Dabei ist das Prinzesschen wirklich sehr niedlich.
„Adrian, schau mal – unauffällig! – nach rechts.“
„Ok.“ Adrian schaut. „Oha!“
„Siehst du die Blonde?“
„Klar. Aber die ist nicht blond.“
„Jaja, brunett. Ich muss weg. Kannst du mir einen Riesengefallen tun? Kannst du sie nach ihrer Nummer fragen, ich würde die gern kennen lernen.“
„Kann ich machen. Die würde mir auch gefallen.“
„Das ist super nett, ich rufe dich dann später an.“
Wir verabschieden uns, ich werfe einen letzten Blick auf das Prinzesschen, das auch unauffällig schaut, aber nicht lächelt. Hoffentlich versaut Adrian das nicht.

Ich fahre in die Kochstraße und werde von einer freundlichen Videoreporterin interviewt.
Ich sage, dass ich ungefähr so viele Leser habe wie es Contergangeschädigte in Deutschland gibt, das sage ich immer und das ist immer ein garantierter „Darf-ich-darüber-lachen?“-Lacher. Nur mit Mühe kann ich dem Impuls widerstehen, meine Arme zu den Schultern hochzuziehen, während ich das sage. Direkt nach dem Interview rufe ich Adrian an. Unter Leidensgenossen muss ich nicht so tun, als könnte ich souverän abwarten. Er hat tatsächlich die Nummer bekommen.
„Wie hat sie denn reagiert?“
„Als hätte ich sie gefragt, ob sie die Uhrzeit weiß. Völlig neutral.“
„Mhm.“
„Hätte sie mir um den Hals fallen sollen?“
„Hat sie dich erkannt?“
„Kann ich nicht sagen. Vermutlich schon.“
„Vielen Dank jedenfalls, lass uns das bald wieder machen.“
„Dass ich Mädchen für dich anquatsche?“
„Nein, du weißt schon.“
„Klar, viel Erfolg.“
Sascha Serteling hätte gesagt: Tu ihn für mich mit rein.

Ich fahre in Matzes Wohnung, setze mich auf die Terrasse, schaue in den Niveahimmel und stelle mir vor, wie das Prinzesschen mein Leben verbessert. Sogar ein Baby im rosa Lacoste-Shirt stelle ich mir vor. Ich brauche wirklich dringend eine Frau. Mein Aktienkurs auf dem Sexualmarkt ist so mies, dass der Handel ausgesetzt werden sollte.

Ich suche die Nummer, die Adrian mir gegeben hat, heraus und rufe die Lacoste-Prinzessin an.
„Ja.“
Eine erstaunlich raue Stimme.
„Ja, hallo, hier ist Paul, mein Freund hat dich nach deiner Nummer gefragt.“
Willst du mir mir gehen?
Kreuze an:
Ja
Nein
Vielleicht

„Ach, du bist das.“
„Es ist ja jetzt wohl überflüssig zu sagen, dass ich das noch nie gemacht habe, weil ich das in jedem Fall sagen würde.“
„Wäre mir trotzdem lieber.“
„Also gut: ich habe das noch nie gemacht.“
„Ich habe mich mal mit einem getroffen, den ich im Internet kennen gelernt habe. Du scheinst nicht zu stottern. Hast du Schwitzehändchen? Teilst du mir beim ersten Treffen deine sexuellen Vorlieben mit? Interessierst du dich ausschließlich für Handball und wirst du dich außer über deine sexuellen Vorlieben nur über diesen Sport unterhalten? Wenn du eine dieser Fragen mit „Nein“ beantworten kannst, dann bist du nicht so schlimm wie der Typ.“
Statt zu antworten lache ich dämlich.
Sie fragt: „Was machst du denn beruflich? Woher kennst du Adrian Stein?“
Verdammt, sie hat doch zu Adrian geschaut.
„Ich schreibe auch.“
„Was müsste ich denn von dir gelesen haben?“
„Also ich schreibe keine Romane. Weißt du, was Blogs sind?“
„Na, so Internettagebücher.“
„So ungefähr. Nur halt professionell und nicht privat.“
„Und davon lebst du?“
„Ja, seit einiger Zeit, davor war ich Anwalt.“
Anwalt findet sie gut.
„Ich studiere Medizin.“
Das klingt nach: Jura passt zu Medizin. Jetzt reden wir von gleich zu gleich.
Der Rest des Telefonats ist recht unkompliziert. Wir verabreden uns für morgen Abend.
Claudia heißt sie. Naja.

Ich fahre ins Sportstudio in der abwegigen Hoffnung, morgen toll und sportlich auszusehen. Die vielen Spiegel im Studio klären mich darüber auf, dass das aussichtslos ist. Ich sehe aus wie eine Made, die im Keller eines Hochhauses lebt und sich von Rattengift ernährt. Mein Haar ist so unseidig wie Haar nur sein kann, ich habe ein Bad-Hair-Year. Könnte noch ein Friseurbesuch helfen? Kahlschlag? Und was ist mit einem Solariumbesuch? Ein leichtes Widerstreben regt sich in mir.
„Solariumbesuch im Sommer? Im brüllendheißesten Hochsommer seit Erfindung der Klimakatastrophe?“ Mein Über-Ich, das mit der Stimme meiner Mutter zu mir redet, hält mich für einen Barbaren.
Ich gehe trotzdem auf eine der Bänke im Sportstudio, das ja nicht einfach ein Sportstudio, sondern eine Wellness- und Lifestyle-Oase ist, auf eine Wiese kann ich jetzt nicht.
Woraus setzt sich eigentlich Solariumgeruch zusammen? Ein Hauch von Kaposi-Sarkom mit Desinfektionsmittel, Idiotenhaut und Joop! Nightflight. Ich habe die Wahl, mich wegen der viel zu starken Lüftung zu erkälten oder ohne Lüftung auszulaufen. Ich entscheide mich für das Schwitzen. Unter meinem Rücken bildet sich eine Lache, ich werde gesotten. Danach sehe ich aus wie eine Made, die in eine Mikrowelle gekrochen und nicht mehr rechtzeitig rausgekommen ist. Meine Wangen sind ketchupfarben, die exponiertesten Punkte meines Hinterns sind durch.
Für einen Moment vergesse ich, dass ich verlassen bin und will Greta anrufen.
Dann denke ich, dass ich tatsächlich Greta anrufen sollte, denn ich habe ein Date und bin dementsprechend jetzt wieder ernst zu nehmen.
„Was ist, Paul?“
„Nichts Bestimmtes. Wollte nur mal hören, wie es so geht.“
„Es geht.“
„Du klingst so verhalten.“
„Ich weiß halt nicht recht, was ich sagen soll. Sage ich: mir geht’s schlecht, machst du dir Hoffnungen, sage ich: mir geht’s gut, dann tue ich dir weh.“
„Ach Quatsch. Ich freue mich, wenn es dir gut geht. Mir geht’s schließlich auch super. Meine Muskeln sind in Bestform, ich bin braungebrannt und morgen habe ich ein Date mit einer sehr tollen Frau.“

’cause my water’s clean and no one’s menu
says fresh fish filet

„Na, hey!“
„Weißt du, dieses ganze Eifersuchtsding und dieser ganze Liebesschmerz und Othello-Wahn, das liegt biologisch in uns, weil in der Urhorde so wenige potenzielle Geschlechtspartner in einer Generation waren, dass ein Betrug oder ein Verlust bedeutete, dass man sich wahrscheinlich nicht fortpflanzen konnte. Wenn man sich davon befreit, von seinem biologischen Unterbau, dann ist eine Trennung einfach nur eine Erweiterung der Optionen.“
„Der konstruktivistische Imperativ. Na, wenn der dir hilft, ist doch toll.“
„Ist doch wahr; nur weil wir mal miteinander geschlafen haben, heißt das doch nicht, dass wir nicht mehr miteinander reden sollten.“
„Paul, das denke ich ja auch nicht, und klar, oh Gott, jetzt sage ich es doch: auf jeden Fall können wir Freunde bleiben. Aber ich sehe es nicht so, noch nicht, dass wir mal miteinander geschlafen haben. Wir haben sechs Jahre miteinander verbracht, ich habe gedacht, du wärst der Vater meiner Kinder. Ich kann da jetzt nicht von jetzt auf gleich umswitchen und sagen: oh, toll, herzlichen Glückwunsch zu deinem Date, viel Spaß.“
Ich wusste, es reißt ihr das Herz heraus. Ich hätte bloß nicht gedacht, dass sie es zugibt. Kann ihr von und zu Arschlochheim mich halt doch nicht ersetzen.
„Was soll ich jetzt dazu sagen. Tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe. Dachte nicht, dass das ein Problem ist.“
„Du musst dich nicht entschuldigen.“
Allerdings muss ich das nicht. Sie ist doch schuld, nur sie, verdammt.
„Ok, also.“
„Ich melde mich dann mal bei dir, wenn alles sich etwas geklärt hat.“
„Ja, schade.“
„Machs gut, Paul.“
„Tschüss, Süße.“
„Jaja.“
Es tut ihr leid, es tut ihr leid, es tut ihr leid – sie bereut.
Ich bin der Größte, ich bin der Schönste, ich bin der Beste.
Ich fahre zurück zu Matze in die Wohnung. Keine Nackten zu sehen.

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13 Kommentare

  1. a) Ist das der direkte Anschluss zum letzten hier veröffentlichten Paul?
    b) 4. Zeile von oben: Ein “uns” zu viel.
    c) Wir waren schon sehr unterschiedlich. Aber auch sehr ähnlich. Sehr sehr ähnlich.“
    „Zu ähnlich?“ fragt Adrian.
    „Oder das Gegenteil.“
    Was ist das Gegenteil von zu ähnlich, wenn nicht “unterschiedlich”?
    d) „Die ist verheiratet? Na egal, jedenfall siehst du beim neuen Freund von Greta: der ist mit dieser Frisur zur Welt gekommen und so liegen die Haare Tag für Tag.
    DER müsste groß geschrieben werden.
    e) Karposi-Sarkinom schreibt sich ohne R im ersten Wort
    f) Tschüß ohne doppel-S
    h) Es tut ihr Leid, nicht: es tut ihr leid.
    g) Heißt das, dass dies der Vorgänger von Urbane Legende ist?

    Hm…
    Passt das alles wirklich zu Paul? Zu Yesyesyesyesyes?

  2. Da kommt schon Hoffnung auf, dass Paul endlich der neue Hank Moody wird, und dann DAS… aber… abwarten. Ich hasse übrigens Cliffhanger, hab ich das jemals erzählt?

    Naja ernsthaft, sehr schön mal wieder :)

  3. Ja, vielleicht, wahrscheinlich….

  4. Es tut ihr leid, es tut ihr leid, es tut ihr leid – sie bereut.
    Ich bin der Größte, ich bin der Schönste, ich bin der Beste.

    Den Zusammenhang kriege ich nicht hin. Wo ist da der zwingende Kontext?

    Ansonsten habe ich Dich mal wieder gerne gelesen.

  5. e) Karposi-Sarkinom schreibt sich ohne R im ersten Wort

    Und anders im zweiten. Absicht?

  6. Weißt Du, was Paul (ausmachen) fehlen könnte?

    Du-motivierte Liebe. Statt Ich-motivierter…?

  7. Wie immer sehr gut und unterhaltsam geschrieben. Ich habe mich wie immer köstlich amüsiert.

    Nichtsdestoweniger würde ich mir eine chronologische Auflistung oder zumindest eine Auflistung aller “Paul-Artikel” wünschen, weil mich das Gefühl beschleicht über die Kategorie “Texte” nicht alle Geschichten gelesen zu haben (mangels Übersichtlichkeit).
    Vielleicht wäre es ja sinnvoll aufgrund der Anzahl der “Fans” eine eigene Paul-Kategorie einzuführen.

  8. Go Paul! (Grosses Mitfiebern meinerseits da sehr hoher Identifikationsgrad momentan)

    Ähm, Tinchen, vielleicht würde sich das Medium e-Mail für Lektorat-technische Dinge eher eignen als die Kommentarsektion hier…

  9. Tinchen, wenn schon, dann auch alle finden, bitte schoen: no one’s menu -> mean?

    ;-)

  10. Rabbischamhaar FTW!

  11. @ Robin:
    :-)

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