Als ich wieder wach bin, telefoniere ich mit Anna und erzähle von meinem bevorstehenden Date.
Sie fragt, ob ich mich seelisch wieder dazu in der Lage sähe.
„Ich weiß nicht, was dich dazu verleitet zu glauben, ich hätte eine Seele.“
„Mhm, du kannst nicht einmal Aktenzeichen XY schauen, weil es dir zu brutal ist, bei Ice Age 2 hast du verstohlen in deinem Auge rumgewischt…“
„Da hätte auch Stalin in seinem Auge rumgewischt.“
„ … und in „Wir brauchen ein größeres Boot“ hast du Sachen geschrieben, da hätte Claudia Roth dich ausgelacht. Ihr Zeuge, Herr Kollege.“
„Ich verstehe den Zusammenhang trotzdem nicht. Als Kind habe ich mir unter Seele übrigens einen Maiskolben mit Flügelchen vorgestellt.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob du mit der Situation richtig umgehst. Wir haben nicht einmal über Greta gesprochen seit deinem LSD-Nahtod-Erlebnis.“
„Bei Beigbeder habe ich kürzlich von einer Near-Life-Experience gelesen, das trifft es wohl eher.“
„Mhm.“ Anna will sich nicht mehr ablenken lassen. Also muss ich ausholen.
„Darf ich ausholen? Schau, du weißt, dass es mir ein großes Vergnügen ist, darüber nachzudenken, warum koreanische Einzelhandelskaufleute mit Vorliebe für Sonderangebote plötzlich nicht mehr anrufen, warum Goldschmiede verschweigen, dass sie verheiratet sind oder warum man einem ergasiophoben Iren nicht vermitteln kann, dass man seine Anwesenheit nicht erträgt – aber: Gleichzeitig muss auch klar sein, dass man damit nur völlig notdürftig etwas erklärt, von dem die Betroffenen selbst nicht wissen, warum es in ihnen so entschieden wurde. Der Mensch ist nicht Herr im eigenen Hirn.“
Anna hat angefangen zu rauchen. Normalerweise bedeutet das, dass sie ganz und gar nicht einer Meinung mit mir ist, sich aber verbietet, mir sofort zu widersprechen. Ich kann also fortfahren.
„Wenn man Neglectpatienten…“
„Wem?“
„Das sind Menschen mit einer halbseitigen Hirnschädigung, die einen Teil ihrer Umwelt nicht mehr richtig wahrnehmen und daher vernachlässigen. Wenn man denen nun ein obszönes Bild zeigt – und zwar genau vor das Auge hält, dessen Informationen zwar gerade noch wahrgenommen werden, aber nicht mehr ins Bewusstsein dringen, dann lachen sie, wie jeder Mensch.“
„Es ist also menschlich nachvollziehbar, über Harald Schmidt zu lachen?“
„Menschlich nachvollziehbar, sozial unerwünscht.“
„Und das Video von diesem Formel1-Typen, der KZ gespielt hat im SM-Puff?“
„Das fand jeder komisch. Aber weiter. Die lachen dann also. Wenn man sie aber fragt, warum sie gelacht haben, dann erfindet die gesunde Gehirnhälfte eine Geschichte, weil sie ja nicht weiß, warum gelacht wird, gleichzeitig ihren Körper aber nicht dumm dastehen lassen will. Und dieses Geschichtenerfinden findet ständig statt. Jeder Mensch ist Philosoph, jeder interpretiert ständig nicht nur seine Umwelt, sondern seine eigenen Handlungen. Man hat durch soziologische Studien und riesige Fragebögen herausgefunden, dass Jäger einfach wahnsinnig gerne hinter Tieren herjagen. Alle Begründungen – Hege des Wildbestandes, Liebe zur Natur und so weiter – sind alles nur Interpretationsleistungen ihrer Gehirnhälfte. Ich verwechsel ja immer links und rechts: also entweder der linken oder der rechten. Und nagel mich nicht fest, was die Negelctpatienten angeht, vielleicht hatten die auch eine andere Hirnschädigung.“
„Nagel mich nicht fest ist übrigens ein Jesus-Zitat.“
„Anna, darüber wurde zum letzten Mal auf dem buddhistischen Weltkongress 1957 gelacht.“
Anna macht ein Marge-Simpson-Geräusch.
„Du redest also nicht über Greta, weil du einen Hirnschaden hast?“
„Greta will nicht mehr mit mir zusammen leben. Selbst wenn ich sie selber fragen würde – und sie redet nicht mit mir, du erinnerst dich vielleicht – und sie nicht lügen würde, was sie selbstverständlich tun würde, denn wer sagt in Beziehungsbeendigungsgesprächen schon die Wahrheit, könnte sie nur interpretieren, was in ihrem Hirn entschieden wurde. In ihrem determinierten Gehirn, das aufgrund von Vorprägungen gar nicht anders entscheiden konnte. Ich bin doch nicht wahnsinnig und denke darüber nach.“
Anna hat die Zigarette fertig geraucht.
„Du zu sein ist vermutlich kaum auszuhalten.“
„Man gewöhnt sich ja an alles.“
„Dein Vorhaben ist jetzt also, blind so weiter zu machen?“
Ich habe mittlerweile den Rest eines Joints, der noch im Aschenbecher lag, weitergeraucht.
„Ich stelle mir das Leben so vor: Man kommt auf eine Bühne und muss das Publikum unterhalten. Man weiß aber nicht, welches Stück gespielt wird und hat dementsprechend auch keinen Text. Also fängt man an zu spielen und schaut, wie das Publikum reagiert. Lacht es, macht man das, was man gerade gemacht hat, nochmal oder zumindest so etwas ähnliches. Warum das Publikum lacht, ist im Grunde egal. Darüber kann man nachdenken, wenn man abgetreten ist.“
„Also, um in deinem vulgärplatonischen Bild zu bleiben: nach dem Tod?“
„Ja. Ich hoffe, dass man mit Würmern im Schädel klarer denkt. Sag mir lieber, was ich heute anziehen soll.“
„Eine rote Unterhose. Passt gut zu deinem kleinen grünen Schwanz.“
Ich lache.
„Obszönitäten wirken immer“, sagt Anna zufrieden. Sie muss weiter arbeiten.
„Du zu sein ist vermutlich kaum auszuhalten.“
Tihi … so sind doch alle Männer, die wenigsten können es allerdings so schön rationalisieren.
“Der Mensch kann wohl tun was er will, aber er kann nicht wollen was er will….” Schopenhhauer
Als ich das zum ersten Mal bei Fanta 4 auf meiner Lauschgift Kassette hörte, konnte ich damit nichts anfangen.
Nach ein paar Jahren Zeit zum setzen lassen…großartig aber auch ernüchternd.
Die Frage ist doch: Was ist der Unterschied zwischen Herz und Seele?
Das hat mir mal jemand religiös beantwortet, es lief darauf hinaus, die Seele sei das Produkt von Herz und Hirn. Nur wo kein Hirn in Eigenregie, da auch kein Herz ohne Prägung, und in der Klammerung eine nichtige Seele? Oder ist “Seele” dann Gott?
@Tinchen
Das Herz ist der den Blutkreislauf in Gang haltende Hohlmuskel, und die Seele gibt es nicht :P
.
ach …
Mmmmmh – das würde bedeuten, dass Maltes Texte nicht das haben, was man Seele nennt…. Das würde er vielleicht unterschreiben und ich bestreiten.
WAS IST ES DANN ?
Eine Verknüpfung von kühlen Beobachtungen, die beim Leser “Wärme-Kette” erzeugen? Weil Leser nicht = Autor, nicht = strukturiert? Heißt, Malte wird von Lesern geliebt, die geistig aber nicht seelisch so strukturuiert sind wie er? Und das, wo es die Seele gar nicht gibt?!
Ne Seele gibt’s im metaphorischen Sinn, aber nicht im eigentlichen. Mach’s doch nicht so kompliziert :>
Aber eine Seele IST doch ein Maiskolben mit Flügelchen..! (schönes Bild.)
Ist das nicht aus der Bonduelle-Werbung? Oder ist Malte noch zu jung dafür?
http://www.youtube.com/watch?v=7GnoLJIIS4w
Mit anderen Worten: Der Unfriede entsteht, wenn die Prägungen zu disharmonisch für ein relativ konformes Miteinander sind und der dazu passende Partner noch nicht gefunden wurde.
Ist dem nicht mehr so, wird auch Paul verstanden werden sein getutet.