Greta: Die Tampon-Promotion

Schon als ich auf die Liste mit den anderen Promotern geschaut habe, ist mir ihr Name aufgefallen.
Greta Ulmenthal. Das klang so großbürgerlich mit einem Hauch von Künstlertum.
Als ich sie dann unter dem türkis-gelben Banner unseres O.B.-Standes auf dem Ringfest sah, wusste ich sofort, dass sie das ist.
Sehr klug und wohlerzogen. Sehr urban und doch, als hätte sie ihre Kindheit auf dem Land verbracht.
Ich stellte mich in ihre Nähe, ignorierte meine grauenhaften Kopfschmerzen und sortierte O.B.-Flyer.
„Wer bist denn du?“, hat sie mich plötzlich gefragt. So wie man kleine Kinder anspricht, die man niedlich findet. Sie hatte sich blitzartig vor mich geschoben.
Ich sagte: „Ich bin Controller. Das heißt: Ich schleppe Kisten.“
Dann habe ich ein Foto von ihr gemacht. Teil der Aktion “Sei ganz Du” war es, zufriedene O.B.-Kundinnen mit einer Polaroid-Kamera zu fotografieren. Es schien mir eine gute Idee, ein Bild von ihr zu haben. Ich habe das Foto heute noch (in einem Album, in meiner Wohnung, in die ich jetzt nicht mehr komme). Greta mit dem O.B.-T-Shirt, das O und das B von ihren Brüsten in 3-D gesetzt, sie hält eine Packung Tampons in die Kamera und lacht ein unangemessen lebensbejahendes Lachen, hinter ihr ist der Papp-Aufsteller mit einem jungen Mädchen, das in ein Laken gehüllt ist, zu sehen. Unter dem Mädchen steht: “A Woman is born”.

Als sie sich das Polaroid-Foto anschaute, das ich in meiner Hand hielt, konnte ich ihr Gesicht ganz aus der Nähe betrachten. Ihre vertrauenserweckende Nase mit genau vier Sommersprossen, den hellblonden Flaum auf ihren Wangen, ihre makellosen, leicht übergroßen Schneidezähne, mit denen sie auf ihren Lippen kaute, die gebräunte Haut und drei kleine Narben, die aussahen wie ein Smiley mit schiefem Mund, am Kinn.

Meine Eltern hatten in ihrer Schallplattensammlung eine Kompilation (von der jeder in der Familie behauptete, von ihm sei sie nicht) aus den frühen 70ern, auf deren Cover ein lachendes schwedisches Model in einem dieser breit geschnittenen sonnenblumenfarbenen Bikinis abgebildet war. So gesund pornographisch sah Greta aus. Ich hatte dieses Cover geliebt.

Ein kleiner dicker Junge stupste mich an und fragte, ob er auch ein Tampon haben dürfe. Er habe Nasenbluten.
Ich drückte ihm ein Give-Away in die Hand.

“Wollen wir eine Pause machen?”, fragte sie.
Klar nickte ich.
Wir setzten uns auf die Kisten, die ich controllen sollte, ließen die anderen die Tampons verteilen („Ihr kommt klar, oder?“), ich gab ihr eine JP Special, sie gab mir Feuer.
„Lebst du in Köln?“, fragte sie.
„Nein, in Berlin.“
„Na, das ist ja ein Zufall, ich auch.“ Sie haute mir aufs Knie und bewegte ihr Gesicht für einen Moment so nah an mein Gesicht heran, dass ihre Stirn an den Schirm meiner Sei-ganz-du-Kappe stieß.

„Und bleibst du heute Nacht auch noch in Köln?“, fragte sie.
„Ich werde wohl zu meinen Eltern fahren, die leben in Aachen.“
„Och. Hast du denn nicht hier irgendwelche Leute, ich übernachte bei Freunden, dann könnten wir heute noch was machen, Ellen Alien legt im Noodles Noodles Noodles auf.“
„Leidest du unter einem Wortwiederholungszwang?“
Sie prustete den Rauch aus: „Der Laden heißt so. Ist eine ehemalige Nudelfabrik oder so. Also?“

„Nee, ich kenne hier niemanden. Menschliche Kontakte sind sowieso überbewertet“, sagte ich und versuchte, dabei zu klingen als machte ich einen Scherz. Ich war drauf und dran, mich zu einem richtig anstrengenden Misanthropen zu entwickeln.

Und dann erzählte ich, dass ich unbedingt zu meinen Eltern fahren müsse, weil man Vater krank war und hörte gar nicht auf zu erzählen, hörte mir mit Grauen dabei zu, wie ich so wahr mir Gott helfe sagte, dass ich Depressionen hatte.

Ich stand da wie ein verdammter Pflegefall.

Greta berührte meine Schulter und sagte: „Puh, bist du tapfer. Dass du es überhaupt schaffst zu arbeiten. Ich würde mir Heroin kaufen und mich zuhause eingraben. Gott, das ist ja furchtbar. Aber dein Papa schafft das bestimmt.“
„Naja, tapfer“, sagte ich.
Dann saßen wir eine Weile schweigend da. Klar ist es schön, wenn man miteinander schweigen kann. Aber ich wollte so gern etwas Gutgelauntes, Cooles, Nicht-Depressives sagen. Und mit jeder Sekunde, in der ich nichts sagte, wurde der von mir geplante nächste Satz so kompliziert, dass ich die übliche Stellung von Subjekt und Prädikat vergaß.

Endlich sagte Greta etwas: „Ich hole gerade mal was zu trinken.“
Sie ging, ich schaute ihr hinterher und zog an meiner Zigarette und dachte, dass sie geht wie ein Junge. Ihre Hüfte schwang nicht. Nicht einmal die Kniegelenke schienen sich zu bewegen.
„Das habe ich dann wohl verbockt”, murmelte ich.

Ein Trupp pubertärer Ringfestbesucher blieb bei mir stehen.
“Hast du ein Tampon für mich, ich hab Nasenbluten”, fragte ein elend langer 13jähriger mit eklig hübschem Mund.
Die anderen lachten und bewegten sich mit dieser tumultartigen Art, die nur 13jährige auf Massenevents draufhaben. Mein Kopf schmerzte wieder und es gelang mir, kinderfeindlich genug zu schauen, um in Ruhe gelassen zu werden.

Dann kam Greta doch zurück, eine Hand hinter dem Rücken. Sie gab mir eine Dose von Liptons Sparkling Ice Tea als würde sie mir ein Geburtstagsgeschenk überreichen.
Mein Lieblingsgetränk.
Ich griff nach meinem Portemonnaie, aber sie wehrte mit einer generösen „Ach-lass-mal“-Geste ab.

Greta setzte sich mit ihren gelenklosen Beinen umständlich hin und sagte: „Marga hat mich vielleicht gerade angesehen. Die hat immer so eine BDM-Arbeitsethik.“
„Ach. Du kennst die auch?“
„Kaum. Die lässt sich gerne in den Arsch ficken. Mehr weiß ich eigentlich nicht.“ Sie lachte sehr vergnügt.
Sie hatte Arsch gesagt. Und ficken. „Das ist bei Marga allerdings nur eine Basisinformation. Marga ist ein Hund in einer Katzenwelt.“
„Das ist lustig. Das trifft es genau.“

Sie fixierte mich. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, mir würde die Nase bluten.
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du dich fühlen musst. Ich bin so ein naives Huhn. Der schlimmste Moment in meinem Leben war, als mir mein Fahrrad geklaut worden ist. Mein Fahrrad!“
Sie schüttelte den Kopf. Dann erzählte sie, dass ihre Eltern sehr arm waren, als sie zur Welt kam. Beide hatten ziemliche „Flausen im Kopf“ (ich fragte mich, ob Greta auch „foppen“ und „Techtelmechtel“ sagte) und studierten endlos, machten Musik, Innerlichkeitskram und Selbstfindung und die Großeltern hatten längst den Geldhahn abgedreht (mittlerweile waren die Ulmenthals wohl recht vermögend – „durch einen Medizinvertrieb“, sagte Greta, was sich als die größte Lüge herausstellen sollte, die sie mir jemals aufgetischt hat). Für Greta war nie etwas da. Dann bekam sie zum ersten Mal ein größeres Geschenk, ein blaues Fahrrad, mit elf. Sie war fast geplatzt vor Stolz, sie ist überall damit rumgefahren, um es den Nachbarskindern zu zeigen, den Eltern der Nachbarskinder, den Schulfreundinnen und deren Familien – und am nächsten Morgen war es verschwunden.
Ich stellte mir die kleine, arme, stolze Greta vor, wie sie ihr Rad suchte.
„Na komm, das ist doch aber auch schlimm. Nur ein Tag mit Rad“
„Bei dir ist doch alles viel schlimmer.“
„Nein, es ist eine größere Ehre für mich.“
„Aaaaah“, rief sie irrsinnig laut und haute mir wieder aufs Bein. „Du magst auch Woody Allen!“
„Na klar.“
„Subjektivität ist objektiv“, quietschte sie und stieß wieder an meine Kappe.
Dann verharrte sie einen Moment vor meinem Gesicht und musterte mich.

„Was machst du denn außer Controllen?“, fragte sie.
Sie setzte sich in den Schneidersitz und ihr Knie berührte meins.
„Ich studiere Jura.“
„Passt gar nicht zu dir.“
„Für diesen Satz sollte ich Geld nehmen.“
„Hörst du oft, oder? Wie alt bist du denn?“
„27.“
„Dann müsstest du bald fertig sein, mhm?“
„Ich schiebe das Examen ziemlich vor mir her.“
„Ich sollte dich in meine Obhut nehmen. Ich schreibe gerade meine Magisterarbeit darüber, wie es Unternehmen am besten anstellen, in Entwicklungsländern ihre Fabriken anzusiedeln. Entwicklungshilfe klappt nämlich nur, wenn alle Beteiligten etwas davon haben.” Sie setzte sich aufrechter hin. “Du glaubst gar nicht, wie verfilzt gerade in den Sub-Sahara Ländern die Strukturen sind. Und wie langsam alles geht. Mit chronischem Aufschiebeverhalten kenne ich mich also aus. Und zwar im großen Umfang. Da bekomme ich einen Jurastudenten auch in den Griff.“
Sie schaute mich weiter an.
Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie mir gerade gesagt hatte, dass ich ein Penner bin oder ob das ein Heiratsantrag war.

„Oh, fuck, die sind schon alle fertig.“
Unser Grouphead hatte die anderen um sich versammelt und schaute sich suchend um.
„Aber so spät ist es doch noch gar nicht, warum ist denn der schon da?“, fragte Greta. Sie nahm ihr Handy aus ihrer Tasche. „Oh, es ist schon zehn nach.“
„Echt?“
„Ja, echt. Gib mir doch deine Nummer, dann machen wir mal in Berlin was zusammen“, sagte sie.
Einen Moment lang fiel mir meine Nummer nicht ein, dann sagte ich sie ihr und sie tippte sie mit ihren staksigen Fingern in ihr Handy, steckte es wieder in ihre Tasche, meine Zigarettenpackung und ihr Feuerzeug dazu und stand umständlich aus dem Schneidersitz auf. Dann mussten wir zurück in die Tamponrealität.

16 Kommentare

  1. wtf? ;)

  2. zum ersten mal stelle ich mir leicht übergroße schneidezähne zum verlieben vor und nicht wie bei pippi langstrumpf.

  3. Vor ein paar Tagen bin ich über ein Foto von einem Kissen gestolpert und musste gleich an dich denken.
    So, und nun kann ich den Link endlich posten. :)

    Demnächst dann hoffentlich ein Erfahrungsbericht.

  4. inwiefern kannst du das jetzt posten?
    urghs

  5. Na, dass das thematisch einigermaßen passt.
    Opel oder PIsichere Artikel waren nicht so geeignet, wo du doch sonst in jedem dritten Artikel dein (kommt zumindest so rüber) Lieblingswort „Vagina“ unterbringst.

    Und was meinst du mit urghs?

    Und warum kann man hier keine Kommentare abonnieren?
    (mail nicht Feed)

  6. urghs: weil das eklig ausieht.
    ich würde auch urghs sagen, wenn mir eine vagina aus dem frühstücksei entgegen starren würde.

  7. Ich weiß, für derartiges Verhalten schimpfen einen US-Amerikaner “anal”, aber es hieß “Noodles, Noodles & Noodles” und es ging vor allem um Betten, primär das irre schwere “Jailhouse Fuck” Bett.

    Aber: “Techtelmechtel” ist ein großartiger Begriff, den nur Menschen abwegig finden, die Proletentum noch ironisch finden und gerne “Fickfreunde” sagen, weil ihre Eltern dabei bestimmt angewidert geschaut hätten.

  8. @Daniel
    aber sie kann es doch falsch gesagt haben, kann sie nicht?
    dem zweiten gedanken mag ich so nicht folgen.
    was sind fickfreunde?

  9. Natürlich, ich korrigiere ich ja auch sie – nicht dich. Würde ich doch schon aus Respekt vor deiner schriftstellerischen Leistung nicht tun. Welch Hybris. Ich glaube, wenn ich auf Augenhöhe mit deinen Figuren bin, bin ich ganz gut bedient.

    Der zweite Gedanke: Ich glaube aus einem nirgendwohin verweisenden Begriff wie “Techtelmechtel” eine gewollte Ungenauigkeit herauszulesen, die viel mit Distanz, Gelassenheit und Privatsphäre zu tun hat. Ein Wort gewordenes “so genau will das doch keiner wissen – es geht ja auch keinen was an”. Eben genau das Gegenteil dessen, was der zweite Begriff offensichtlich zu machen versucht: Bekanntschaft und Beischlaf ohne weitere Kategorisierung.

  10. @Daniel
    Ja, du erfasst die Bedeutung mit der Präzision eines Chirurgen. Sehr schön, das meine ich ganz unironisch.
    Aber ein großes Aber muss hier noch hin.
    Ich habe das Wort Techtelmechtel zwar häufiger in meinem Leben gehört, aber zwei Verwender sind mir besonders in Erinnerung geblieben:
    Eine 96jährige Witwe, die 62 Jahre zuvor ihren Mann verloren hatte und auf meine Nachfrage meinte:
    “Nein, kein Techtelmechtel mehr.”
    Und Nils (Nilz) Bokelberg.
    Nun kann es mir aber doch gegönnt werden, Nils Bokelberg aufzuziehen ob seines anachronistischen Wortschatzes, ohne dass es mir jemals in den Sinn käme, Lochschwager, Fickfreundschaft oder Rosettenkapitän ungebrochen zu verwenden.
    Also bitte.

  11. Ich fürchte ja, dass die meistens Menschen, so auch Nils (”Nilz”) Bokelberg solche Worte mit einem total lustig gemeinten Augenzwinkern (nicht: Ironie) verwenden – eben weil es dieses Spannungsfeld zwischen Omavokabular und GV zu geben scheint (was natürlich sehr offensichtlicher Unsinn ist). Aber das wird, siehe oben, der Qualität eines solches Begriffes nicht ganz gerecht … “Lochschwager”, oh Gott.

  12. ich verwende “techtelmechtel” äusserst selten und auch nur dann, wenn es wirklich passt. es gibt nämlich situationen, die kann man einfach am passendsten mit techtelmechtel beschrieben, und bevor ich mir da auf krampf was cool umschreibendes ausdenke, nehme ich doch lieber das wort, das passt und praktischerweise auch schon existiert. weder augenzwinkernd, noch ironisch. ich bin doch kein germanist.

    und augenwzwinkern (wäre das dann nicht auch ein begriff aus der frankenfeld-ära?) sowie ironie sind mir eh ein gräuel.

  13. ich kann das bestätigen, nils ist der unirionischste mensch, den ich kenne.

  14. Witzig ist er aber auch nicht. Fragt sich: was ist er dann? Ich vermute ja, dass er quasi das Techtelmechtel des Humors ist – irgendwie wird da schon Witz vollzogen, aber eher so im Privaten und keiner kriegt’s so wirklich mit.

  15. Ich hab das Gefühl diese Diskussion raubt dem “Techtmelmechtel” grad seine Ungezwungenheit.

  16. wieso hab ich denn jetzt versucht witzig zu sein? was habe ich denn daniel getan? hilfe! stinkstiefel-alarm!

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