Am Abend nach der Beerdigung

schnee_dunkel

Teil 1
Teil II
Teil III

Jörg holt eine Bong aus dem Küchenschränkchen. Immer noch die alte Blubber, aus der wir früher geraucht haben, ein Totenkopf aus Keramik. Wir setzen uns an den Küchentisch und füllen im Viertelstundentakt das Köpfchen des Totenkopfs.
Wir nostalgieren ein wenig, dann erzähle ich, dass ich völlig am Boden bin. Beschissene Wohnung, ungeliebt, Halbwaise, mangelernährt und keine beruflichen Aussichten.
„Was du von dieser Elisa erzählt hast, klingt doch nicht schlecht.“
Jörg zerbröselt das Gras zwischen seinen Fingern.
„Die ist schon nett, aber, naja.“
„Was naja?“
„Irgendwie passt das nicht.“
„Vögeln tust du sie doch.“
„Aber da fehlt was. Alles ist braun.“
„Wenn was fehlt, dann schlaf doch nicht mit ihr. Je länger das geht, desto mehr tut es ihr weh.“
„Braun, braun, braun. Mein Vater hat nicht einmal geraucht. Wenn man die durchschnittliche Zeit abzieht, die Raucher früher sterben und annimmt, dass ich ungefähr so alt werde, wie es meine Gene mir vorgeben, dann lebe ich noch 30 Jahre. Das ist weniger als ich schon gelebt habe. Und was war denn schon? Wo ist die verkackte Zeit geblieben? Ein bisschen gefickt, ein bisschen Drogen genommen und schon bin ich steinalt, bekomme Hämorrhoiden, Falten, Mumienmundgeruch und dann sieche ich noch ein bisschen und dann wars das.“
Jörg zieht heftig an der Blubber, verzieht das in Rauch gehüllte Gesicht, schüttelt den Kopf und sagt: „Aber du hast doch mal geschrieben, man müsse sich die Menschheit wie Schiffbrüchige auf einem Floß vorstellen. Die Situation ist aussichtslos und auch der beste Therapeut oder Priester kann nicht versprechen, dass die Sache gut ausgehen wird. Es kommt nur darauf an, wie man sich verhält. Dreht man angesichts der Hoffnungslosigkeit durch und macht Selbstmord aus Angst vor dem Tod wie die FDP. Oder reißt man sich zusammen.“
„Du liest mein Blog. Wow.“
„Klar lese ich dein Blog. Aber darum geht es nicht. Die Lage ist beschissen, aber das ist sie doch immer. `Life is a Bitch and then you got Herpes.’ Auch von dir.“
„Willst du mir sagen, dass ich mich zusammenreißen soll?“ Ich stopfe Gras in das Totenkopfköpfchen.
„Ich sage dir gar nichts. Du sagst, dass man sich aussuchen kann, ob man durchdrehen will und der auf dem Floß ist, der alle wahnsinnig nervt oder der Held, der die anderen beruhigt.“
Ich rauche.
„Da habe ich angetrunken Das Rettungsboot von Hitchcock gesehen und du weißt ja, dass ich Filme, die älter sind als Krieg der Sterne, nicht vertrage. Und du weißt hoffentlich auch, dass das Buchstaben sind und das da auf dem Friedhof mein verwesender Vater. Tut mir rasend leid, wenn mir gerade nicht danach ist, den Helden zu geben.“
Jörg leert das Köpfchen mit einem spitzen Messer und stopft neue Mischung hinein.
„Paul, vor 23 Jahren warst du unglücklich, weil dein ganzes Leben vorbestimmt ist. Dann warst du unglücklich, weil wir nicht mit französischen Austauschschülerinnen knutschen können, dann hast du gedacht, du onanierst zu viel, dann dachtest du, du würdest immer nur ganz besonders seltsame Beziehungen zu Frauen haben, immer hattest du irgendeine bizarre, vermutlich noch gar nicht entdeckte Erkrankung, endlich hattest du genau die Frau, die du dir immer gewünscht hast, dann konnte man aber mit der nicht richtig reden, dann hattest du wirklichwirklich die richtige Frau, aber die Eltern und überhaupt: Bestimmt bist du ja nicht gut genug für die. Und jetzt: Jetzt hast du endlich einen Grund, unglücklich zu sein, du hast viel dafür getan. Du hast dermaßen beharrlich dein Talent ignoriert, dass du erst dieses Jurastudium gemacht hast, das nie was für dich war. Und Paul: Du hast Talent. Das würde anderen völlig reichen. Aber vielleicht ist der Preis für dein Talent dein ständiges Unglücklichsein. Dann akzeptier das. Und ja: Reiß dich zusammen.“
„Das war mir jetzt zuviel Text.“ Das Gras ist sehr gut.
Jörg hat immer noch die erste Playstation. Wir spielen bis tief in die Nacht das antike Tekken 2.
„Erinnerst du dich noch daran, dass wir beim Wichsen mal darüber gestritten haben, ob wir den Film mit der Tänzerin schauen sollen oder den, in dem es um Marylin Monroe ging?“
Jörg wirft den Controller wuchtig auf den Boden. „Und ob ich mich daran erinnere! Du Idiot! ‘Die Monroe-Darstellerin ist doch total niedlich.’ Nichts hat man gesehen. Überhaupt nichts. Und am nächsten Tag haben alle erzählt, dass der Film mit der Tänzerin der nackteste Film aller Zeiten war.“
„Ich habe alle Ausschnitte aus dem Film auf der Festplatte. Valérie Kaprisky. Kann ich dir schicken.“
Jörg holt seinen auf Halbmast hängenden Schwanz aus der Hose, der immer noch der größte Schwanz ist, den ich je gesehen habe. Er lässt seinen Schwanz nicken und sagt dazu im Takt des wippenden Gemächts: „Jajajajaaa!“
Ich berste vor Lachen. „Solange du noch so einen Blödsinn mit deinem Schwanz machst, muss ich mich auch nicht zusammenreißen.“
Dann verprügel ich mit Marshall Law seinen Yoshimitsu.

Gegen Morgen fahre ich zum Haus meiner Eltern. Meiner Mutter. Vor mir fährt die Müllabfuhr. Die könnte mich einpacken.

Mein altes Kinderzimmer hat meine Mutter noch am Tag meines Auszugs umfunktioniert in eine Erweiterung ihrer Bibliothek. Ich lege mich dort auf die Couch und träume, dass ich Jörg Baums Schwanz lutsche. Dann bekomme ich den Geschmack nicht aus dem Mund. Nach ein paar Stunden wache ich auf.

Meine Mutter sitzt in der Küche.
„Du siehst mitgenommen aus.“
„Naja.“ Ich mache eine Geste, die ungefähr ausdrücken soll, dass man halt so aussieht, wenn man nach der Beerdigung des Vaters erst mit dem alten besten Freund die ganze Nacht im Schneidersitz Tekken spielt (die Geste soll nicht zeigen: Und dabei die Jahresvorräte Jamaikas wegkifft) und dann auf einer viel zu kleinen Couch in seinem alten, zur Bibliothekserweiterung umgerüsteten Kinderzimmer schläft (was die Geste auch nicht zeigen soll: Und den Schwanz seines alten besten Freundes im Traum lutscht und jetzt den Geschmack nicht mehr aus dem Mund kriegt).

„Wie geht es dir denn, Mama?“
„Manchmal sitze ich vor dem Fernseher und sage ‘Hast du das gehört?’ und dann denke ich, dass ich schon senil werde. Er ist einfach nicht mehr da.“
Sie fängt an zu weinen.
Ich nehme sie in den Arm und sie macht ihren Rücken nicht steif, sondern drückt sich an mich. Ich streiche über ihren Kopf und sage, dass ich noch ein paar Tage da bleiben kann.
„Ach nein, ich schaffe das schon allein.“ Sie macht den Rücken wieder gerade. „Fahr du nur wieder nach Berlin, du musst jetzt dein Leben ordnen.“

6 Kommentare

  1. *fishermans friends rüberwerf* ;)

  2. da stellt sich die frage was schlimmer ist, Fishermans Friends oder das andere?

  3. Gut geschriebener Text!

    OT: Im Google Reader sieht man seit dem Umzug statt Umlauten nur noch ?. Zumindest bei mir. Könntest du dich da mal drum kümmern?

  4. Dreht man angesichts der Hoffnungslosigkeit durch und macht Selbstmord aus Angst vor dem Tod wie die FDP.

    ROFL.

    Das war BTW mit Abstand der beste Teil. Besonders schön finde ich, dass Paul im Traum Jörgs Schwanz lutscht ^^

  5. Wer ist eigentlich Paul???

  6. web.2.0-roman-leser

    Es mag ungebührlich fordernd klingen, aber mich interessiert spezifischer Content über “Paul”s Zeit als Jurastudent ;-)

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