Ein Autor im Jahr 2039

Moment: Natürlich weiß ich, dass niemand meine Bücher liest. Erstens bin ich kein Fantast und zweitens ist das ja schon ziemlich lange so. Der einzige außer mir ist in der Regel mein Lektor, also der zuständige EU-Beamte von der Europäischen Initiative zum Erhalt des Kulturguts Buch. So heißt sie natürlich nicht, aber ich kann mir französische Namen so schlecht merken. Der Beamte spricht es immer so aus wie der Sprecher früher in der Renault-Werbung “Créateur d´automobiles” sagte, so extra nasal und schnell.
Also der Lektor liest es wenigstes ein Mal, um zu sehen, dass niemand in dem Text raucht, sich sonnt, Minderheiten herabsetzt, Energie verschwendet, Fleisch isst, dass niemand sexualisiert wird oder ein Leser sich beleidigt fühlen könnte. Der letzte Punkt ist natürlich Realsatire, wir wissen ja, dass das Buch zehntausend Mal gedruckt wird, bevor es dann in die Bibliotheken der EU transportiert wird, wo dann Lagermaschinen durch die menschenleeren Flure fahren und die Bücher von Zeit zu Zeit auf Schimmel untersuchen.
Es könnte im Grunde egal sein, ob da nun jemand sexualisiert wird oder jemand raucht, weil es ja eh keiner liest, aber die wollen halt nichts fördern, was illegal ist, auch irgendwie verständlich.
Was ich schreibe, darf ich mir selber aussuchen, da redet mir keiner rein, und das ist eigentlich ganz schön. Es ist einfacher als noch vor zehn Jahren, als meine Bücher von Konzernen gesponsort wurden. Der Head of Cultural Understanding and Workflow von Daimler war besonders schwierig. Es sollte schon eine Geschichte mit Tempo sein, aber mit deutlich grüner Botschaft, sie wollten nicht anecken und doch ihren Standpunkt deutlich machen. Aus Versehen waren die Hauptfiguren beide heterosexuell und weiß, was für einen mittleren Eklat in der Führungsebene gesorgt hat. Dabei war es wirklich kein Ding, aus den beiden ein lesbisches Pärchen mit MS zu machen, muss ja nicht mehr von Hand tippen. Das Buch ging dann den gesamten Dezember 2027 an Mercedeskäufer, so als Kulturdreingabe.
Ist ja wirklich nicht so, dass das damals jemand gelesen hätte, also wie schon erwähnt: Nichts Neues für mich.
Meine ersten beiden Bücher, mit Abstrichen sogar das dritte, haben sich noch ganz ordentlich verkauft. Schon damals wurden Bücher hauptsächlich verschenkt, also keine Ahnung, ob die damals jemand gelesen hat, der Verlag war recht zufrieden, und so hätte das weitergehen können, aber als der Verlag von Randomhouse übernommen wurde, riet mit der dortige Hauptlektor im Vertrauen, besser in die Literatur zu wechseln, dort habe sich ein ganz zufriedenstellendes Subventionssystem entwickelt. Der Verlag allein könne nicht weiter für meine finanzielle Absicherung garantieren.
Ich schrieb von da an häufiger über Konzentrationslager und slowenische Migranten, ich schrieb manche Bücher ganz ohne Adjektive oder ohne Verben, ich zog gewiefte Parallelen zwischen Hauptakteuren des deutschen Literaturbetriebs und Größen des Dritten Reichs und so gewann ich den Wolfgang-Koeppen-Preis und viele andere dieser Art. Mal finanzierte mich Bielefeld ein Jahr lang, dann Regensburg.
Gelesen hat das natürlich kein Mensch.
Als dann die Städte unter EU-Verwaltung gestellt wurden, sah es einige Jahre so aus, dass ich als Berater durch das Land tingelte. Ich ging in Talkshows und sagte Leuten wie und überhaupt und dass man doch nicht immer. Meine Catchphrases waren der Kirche im Dorf-Satz und man solle auch mal an die Kinder denken. Ich ließ mir zu der Zeit einen ungeheuer ausgetüftelten Bart stehen und hatte mehr Geschlechtsverkehr als je zuvor. Mit Prostituierten, die waren damals noch legal.
Es ist natürlich eine Ironie der Geschichte, dass ich es ausgerechnet Kanzler zu Guttenberg und seiner Abendländischen Union mit ihrem Kulturfimmel verdanke, dass nun die EU mich wieder fürs Schreiben bezahlt. An dem arbeite ich mich ja mehr oder weniger in all meinen Büchern ab. Aber liest ja eh keiner.

7 comments

  1. “Ich schrieb von da an häufiger über Konzentrationslager und slowenische Migranten, ich schrieb manche Bücher ganz ohne Adjektive oder ohne Verben, ich zog gewiefte Parallelen zwischen Hauptakteuren des deutschen Literaturbetriebs und Größen des Dritten Reichs und so gewann ich den Wolfgang-Koeppen-Preis und viele andere dieser Art.”

    So wahr… Diese Juries gehen gefühlt wirklich nur noch nach “Wer hat am meisten gelitten und lebt in einer Krisenregion, die gerade “in” ist? Ah, da is’ ja eine/r! Hier, fang!”

  2. LeisureLorence

    Lektor? Damit ist hoffentlich eine Software gemeint. Und dass Bücher noch auf tote Bäume gedruckt werden werden, wird sich wohl schon sehr viel früher erledigt haben.

  3. @LeisureLorence
    Wird Kohle nicht auch noch aus der Erde geholt?

  4. Christian Kracht schreibt ja heute schon nur für die Kritik; da ist das doch nur eine konsequente Weiterentwicklung.

  5. Matthias Schumacher

    EU? 2039?

  6. wofür steht die abkürzung MS ? xD

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